Linz, Landestheater Linz, DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG - R. Wagner, IOCO Kritik, 02.05.2023
DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG - Richard Wagner
- Inszenierung aus Sicht der Eva Pogner: "Mir ist, als wär ich gar wie im Traum!" -
von Marcus Haimerl
Das Landestheater Linz feiert im April 10 Jahre Musiktheater und begeht dieses Jubiläum mit einer Neuinszenierung von Richard Wagners 1868 in München uraufgeführten Oper Die Meistersinger von Nürnberg.
Der deutsche Regisseur Paul-Georg Dittrich inszeniert Richard Wagners Oper aus der Sicht Eva Pogners. Mir ist, als wär ich gar wie im Traum! steht vor dem ersten Akt auf dem Vorhang, als Vorbereitung auf die bevorstehende Kamerafahrt in drei Akten. Der erste Akt zeigt Evas Kinderzimmer, welches sich im zweiten Akt als Bestandteil einer Flipperoberfläche entpuppt. Dieser Flipper steht schließlich im dritten Akt in Originalgröße in einem riesigen Bunker. Im ersten Akt dominiert ein übergroßer Teddybär das Kinderzimmer (Bühne Sebastian Hannak), an der linken Seite eine Fensterreihe und eine überdimensionale Spielzeuglade an der gegenüberliegenden Wand.
Die Meistersinger von Nürnberg, Linz - Einblick in die Proben youtube Musiktheater LINZ [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]
Magdalena und David sind Aufziehpuppen, sie ähnelt einer Ballerina aus einer Spieluhr, er einem Zinnsoldaten, ebenfalls aufziehbar. In diesem Zimmer schafft sich Eva einen eigenen Helden, vorerst ohne Gesicht, als Wunschvorstellung gegen das veraltete System ihres Vaters und der Meister. Mit dem Auftauchen der Lehrbuben verwandelt sich die Szene in einen kafkaesken Alptraum, sie tauchen wie Maden aus dem Bauch des Plüschtiers auf oder kriechen durch Fenster oder Spielzeuglade. Noch beängstigender wird das Auftreten der beinahe bedrohlich wirkenden Meister, erst Schachfiguren, dann mit schwarzen Spitzhüten und hässlich verzerrten Clownsgesichtern (Kostüme Anna Rudolph). Eva verliert zunehmend die Kontrolle über ihr „Spielzeug“ und beobachtet schließlich nur noch von der Deckenlampe aus.
Der zweite Akt stellt schließlich die Spielfläche des Flippergerätes dar, an den Seitenwänden eine Darstellung des historischen Nürnbergs bis hin zum Reichsparteitagsgelände mit einer großen Leinwand im Hintergrund als Kopfaufsatz und Bratwürsten als Prellkontakte. Die Ästhetik der Videoeinspielungen (Video Robi Voigt) erinnert an die Videospiele der späten 80er und frühen 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts und zitiert Nintendos Super Mario Brothers, einige blutigere Sequenzen erinnern auch an Wolfenstein 3D, die Mutter aller Ego-Shooter. Nach der Prügelfuge wird an Stangen elegante Kleidung herabgelassen. Die grellbunten Kostüme des Flipperspiels wird nun gegen Abendkleidung für die Festwiese getauscht.
Der dritte Akt spielt in einem Bunker. Hier steht in der Mitte nun jener Flipperautomat mit der Aufschrift Richard Wagner. Nach und nach bringt ein Gabelstapler nun sechs große Kisten in den Bunker, die schließlich weitere Flipperautomaten beherbergen, die anderen elf Komponisten (u.a. Monteverdi, Mozart, Rossini, Verdi, Puccini, Meyerbeer, Offenbach, Tchaikovsky oder Richard Strauss) stellen hier aber eher die Geschichte der Oper als die besungenen deutschen Meister dar. Eva übernimmt nun die Worte Stolzings: Nicht Meister! Nein! Will ohne Meister selig sein! und emanzipiert sich von der männerdominierten Gesellschaft der Meistersinger durch Abgang. Damit wird Evas Wunschvorstellung eines Ritters obsolet, Stolzing verwandelt sich zurück in die leb- und gesichtslose Puppe.
Trotz einiger spannender Ansätze besticht die Regiearbeit Paul-Georg Dittrichs mehr durch ständigen Lärm von Tritten gegen Wände und Türen oder dem lauten Klatschen mit der Hand auf die Ausstattung als durch kluge Personenführung. Auch die Videoeinspielungen des zweiten Akts dienen mehr der Ablenkung vom Bühnengeschehen, als die Handlung voranzutreiben.
Erfreulich hingegen ist die musikalische Seite des Abends. Mit Claudio Otelli ist die Partie des Hans Sachs in sehr guten Händen. Sehr kultiviert, mit schöner Diktion gerät besonders der Wahn-Monolog zu einem der musikalischen Höhepunkte des Abends.
Eine Idealbesetzung des Sixtus Beckmesser ist Martin Achrainer der nicht nur in seiner herausragenden Darstellung, sondern vielmehr auch mit seinem kräftigen, tragfähigen, aber auch besonders wortdeutlichen und ausdrucksvollen Bariton der komplexen Figur des Stadtschreibers Charakter verleiht. Heiko Börner überzeugt mit seinem baritonal gefärbten Heldentenor als Walther von Stolzing.
Erica Eloff begeistert als intensive, besonders dramatische Eva mit kräftigem, klarem Sopran, beherrscht aber auch die zarten, leisen Töne. Großartig auch Manuela Leonhartsberger als ihre Amme Magdalena mit großem, schönem Mezzosopran und Matjaž Stopinšek als David mit herrlich lyrischem Tenor. Dominik Nekel ist ein nobler Veit Pogner mit eleganten, weichen Tönen und verkörpert Evas Vater ideal.
Auch die restlichen Meister, Jonathan Hartzendorf als Kunz Vogelsang, Navid Taheri Derakhsh (Konrad Nachtigall), Michael Havlicek (Fritz Kothner), Matthäus Schmidlechner (Balthasar Zorn), Markus Miesenberger (Ulrich Eißlinger), Conor Prendiville (Augustin Moser), Gregorio Changhyun Yun (Hermann Ortel), William Mason (Hans Schwarz) und Krzystof Borysiewicz (Hans Foltz) sind hervorragend besetzt.
Eine ebenso tadellose Leistung von den Lehrbuben Sophie Kidwell, Zuzana Petrasová, Florentina Serles, Tetiana Stytsenko, Calon Danner, Xhoiden Dervishi, Hans-Jörg Gaugelhofer, Georg Hartl, Sergey Kanygin, Lucas Pellbäck, Paul Skalicki und Vladimir Šlepec.
Der Nachtwächter wurde vom großartigen Kinder- und Jugendchor des Landestheater Linz gesungen. Stimmgewaltig der Chor und Extrachor des Landestheater Linz unter der Leitung von Elena Pierini und Martin Zeller für den Extrachor. Das Bruckner Orchester Linz unter dem Dirigat von Markus Poschner spielt wunderbar präzise, elegant und überaus detailreich.
Entsprechend großer Jubel für die musikalische Seite des Abends, für das Regieteam gab es erwartungsgemäß viele Buhrufe.