LETZTE LIEDER - CD - Richard Strauss, IOCO CD-Rezension, 16.04.2023
LETZTE LIEDER - CD - Richard Strauss (1864-1949)
ICH TRAGE MEINE MINNE - Richard Strauss - 17 Lieder für gemischten Chor - a capella
Rondeau Production - Bestell.Nr. ROP6241 - Neuerscheinung - link HIER!
CD - Besprechung Albrecht Schneider
“Ich wollt ein Sträußlein binden“ lautet der Text eines Gedichts des Dichters Clemens Brentano, das Richard Strauss sinnigerweise in Musik gesetzt hat. Das verleitet zum Grübeln, ob dem Komponisten einst auffiel, dass er gerade die Verniedlichung seines Namens komponierte. Wie auch immer, jedenfalls ergeben alle seine Lyrikvertonungen zusammengebunden ein Blumengesteck unterschiedlichster Blüten und auch Düfte, sofern man sich einmal synästhetisch von der Musik ansprechen lassen will. Die Dichtkunst der weithin vergessenen Gründerzeit- und Jugendstilpoeten Adolf v. Schack, Gustav Schilling, Hermann v. Gilm et alii floriert hier neben jener der Naturalisten Karl Henckel und Heinrich Hart. Ebenso pflückte der Komponist aber auch die Verse der – gemäß heutigen Sprachgebrauchs – Starlyriker Eichendorf, Heine, Uhland, Rückert, Hesse, Hölderlin und hüllt sie in das Seidenpapier seiner Musik.
Es sind schon die unterschiedlichsten Poetereien, die ihn zur Notensetzerei reizten. Der Weg führt so von dem epigonalen Münchener Ästhetizisten steil bergauf hin zu den jauchzenden Hymnen Friedrich Hölderlins, und am Lebensende finden sich, im Jahr 1948 geschrieben, die im historischen klassisch-romantischen Ton gehaltenen Vier letzten Lieder, deren letztes, Joseph von Eichendorffs Im Abendrot, mit den zwei Zeilen schließt: >Wie sind wir wandermüde – Ist dies etwa der Tod?<
Von Richard Strauss’ Gesamtgesangswerk für Solostimme, dessen Wirkung sich vielfach der ingeniös intimen und ebenso ingeniös klang-und farbsatten Orchestrierung der Klavierbegleitung verdankt, gelangt derzeit bloß wenig auf die Programmzettel der Konzerte wie der ohnehin leider nicht häufigen Liederabende. Im CD Katalog hingegen ist es mannigfach vertreten. Insbesondere die eingängigen, schwelgenden, sogar mitunter rauschhaften Stücke, wie eben die Vier letzten Lieder, wie Winterweihe oder Morgen, haben die Ikonen der Opernbühnen und Aufnahmestudios, als da sind Elisabeth Schwarzkopf, Jessy Normann, Renée Fleming, Siegfried Jerusalem, Jonas Kaufman, Fischer Dieskau und andere, ihrem Repertoire einverleibt und mithin einem aufmerksamen Publikum zumindest nähergebracht.
Nunmehr gilt die Betrachtung einer CD der recht rührigen Rondeau Produstions, die 17 Lieder von Richard Strauss präsentiert, allerdings in einer Einrichtung für jeweils alternierend vielstimmigen Chor ohne Instrumente. Prima vista begegnet man dergleichen Modifikationen zunächst mit Vorsicht, denn Mozarts Kleine Nachtmusik für Orgel oder vier Trompeten ist vielleicht amüsant für die Spieler, nur nicht zwangsläufig für Zuhörer. Auf der vorliegenden CD wird freilich ganz und gar anhörenswert musiziert. Gleich deren Nr. 1 Morgen aus den 4 Liedern für Singstimme und Orchester op.27 Nr.4, hier gesetzt für 16-stimmigen Chor a capella und Solovioline, wie auch die folgenden sechzehn Piecen, stimmen trotz ihrer neuen Erscheinungsform ein auf Musik und Wort, die den Liedkomponisten Richard Strauss charakterisieren. Das originale orchestrale Vorspiel des hier ersten Liedes regiert eine etwas schwerblütige Melodie, vorgetragen von der auf sanftem Streicherkissen gebetteten und mit Harfenzupfgirlanden gesäumten Solovioline, die jene Aura schafft, die der schwärmerische Text des Dichters John H. Mackay intendiert. Auf unserer Aufnahme fehlt, wie erwähnt, das Orchester; dessen Aufgabe übernimmt der Chor und exekutiert den Prolog mittels Vokalisen, bis der Liedtext einsetzt. Das verhangene, abgetönte Stimmengewebe, durchzogen von dem Silberfaden der Melodie einer auch hier präsenten Sologeige, ist dem Originallied adäquat: ein bisschen sentimental, ein bisschen Salon, ein bisschen Décadence, so wie die Kunst des ausgehenden 19. Jahrhundert sich eben nicht selten darzustellen liebte.
Ähnliches geschieht Beim Schlafengehen, der Nr. 3 der Vier letzten Lieder op.150, deren Basslinie der orchestralen Einleitung der Chorbass übernimmt, die anderen sechzehn Stimmen gesellen sich zu der Vokalise, steigern sich und münden in die Anfangsworte: >Nun der Tag mich müde gemacht<, während die Solovioline (Helmut Winkel) gleichsam den Cantus firmus dazu singt.
Der KammerChor Saarbrücken unter seinem Leiter Georg Grün trifft als ein wahrlich vielstimmiges Instrument stets den richtigen Ton, womit beileibe nicht die ihm immanente Ton- und Intonationsreinheit gemeint ist, vielmehr dessen Verständnis und Empfindung für die doch recht komplexe Gefühlsästhetik der Straussschen Gesänge. Schließlich entstanden sie in den unterschiedlichsten Stilepochen von 1885 bis 1948. Von biedersinniger Liedertafel indessen und frommbravem Cäcilienverein sind die Saarländer so weit entfernt wie der “Minnesänger“ Heinrich Heine vom Barden Heino. Die Kunst des Richard Strauss ist allzeit imstande, einerseits, sinnlich oder besser geschmacksempfindlich und zugleich eine Spur respektlos gesprochen, Naschwerk zu komponieren wie der eben erwähnte Morgen oder Allerseelen - wobei letzteres Lied hier durch seine beschnittene polyphone a capella Fassung viel an Süße einbüßt und um etliches herber klingt – wie sie andererseits die Liebeshymnen eines Hölderlin in die ihnen gleichwertigen Klänge bindet. Auf dieser respektablen Aufnahme sind sie aber nicht vertreten.
Eine umfassende Kenntnisnahme seines Liedschaffens vermag diese CD LETZTE LIEDER aufgrund ihres Formats nicht zu leisten, doch immerhin eine ungefähre von jener Poesie, die Strauss der Vertonung für wert befand, und auch von Feuer, Sentiment und Ernst, von all demjenigen, was eben diese Musik ausmacht. Sie erfasst die etwas papierenen Herzschmerz- und Brustlustergüsse aus den Münchener Dichterstuben ebenso melodiös-harmonisch wie sie es in oft strengerer Faktur mit den Werken zeitloser Lyriker tut. Die bislang dieses Genres Unkundigen sollten, um das oben gewählte Bild des Blumenstraußes letztmalig zu strapazieren, die vorliegende Aufnahme auch dazu nutzen, es nicht mit diesem Sträußlein Lieder in der hier präsentierten eigenwilligen, freilich zweifelsohne perfekt gelungenen chorischen Fassung genug sein zu lassen, vielmehr sich alsbald dem ganzen originalen Liederstrauss mit seinen Blüten, Aromen und bisweilen leicht vergilbten Blättern zuzuwenden, wie sie auf Tonträgern aller Arten aus weiblichen und männlichen Kehlen aller Höhen und Tiefen angeboten werden.