Leipzig, Oper Leipzig, Don Carlo von Giuseppe Verdi, IOCO Kritik, 09.11.2017
Don Carlo von Giuseppe Verdi
Sternstunde: Fest der Stimmen in Escorial-Schwarz beherrschtem Hell-Dunkel
Von Guido Müller
Die Oper Leipzig hat sich unter den vielen von Verdi autorisierten Fassungen seiner Oper nach Friedrich Schillers riesigem Versdrama für die vieraktige, bis heute am meisten gespielte Mailänder Fassung von 1884 entschieden, in der weniger das Liebesdrama zwischen dem spanischen Infanten Don Carlos und seiner französischen Stiefmutter Elisabeth von Valois wie in der fünfaktigen französischen Erstfassung als das düstere menschliche und politische Drama um den Marquis Rodrigo de Posa zwischen der Männer-Freundschaft zu Don Carlo, der Loyalität zum König Philipp und dem Freiheitswillen gegen politische und religiöse Unterdrückung im Zentrum steht. So wird der politische Ideendiskurs im Gewand einer Familientragödie auch im Sinne Friedrich Schillers deutlicher.
Und was für ein Ausnahmesänger und ungeheuer präsenter Bühnendarsteller singt in dieser dritten Vorstellung seit der Premiere als Gast aus Hamburg erstmalig in Leipzig diesen Marquis Posa. Der am Beginn einer großen internationalen Karriere stehende deutsch-türkische Bariton Kartal Karagedik sprüht seit dem ersten Auftritt vor schauspielerischem Charisma und höchster stimmlicher Überzeugungskraft in seiner Paraderolle. Die Figur des Freiheitskämpfers Posa passt ihm wie auf den Leib geschneidert und unwillkürlich muss man an die politischen Verhältnisse seines Heimatlandes Türkei denken.
So werden Kartal Karagediks Duette mit dem eher weichen Freund im Harlekinkostüm, dem mit warmem Schmelz in allen Lagen stimmschön singenden, erfreulich vibratoarmen und darstellerisch überzeugenden südamerikanischen Tenor Gaston Rivero (Don Carlo), der seine sichere Stimme nicht in der Verdi-Tenor-Vitrine ausstellen muss, und vor allem die im Zentrum der Inszenierung stehende große Auseinandersetzung mit dem an allen bedeutenden Opernhäusern singenden düsteren Bass Riccardo Zanellato (König Filippo II.) zu Höhepunkten des Abends. Soweit überhaupt eine musikdramatische Steigerung möglich ist gelingt sie ihm und dem Infanten in der Konfrontation mit der phänomenalen Kathrin Göring als zugleich eiskalt kontrollierte wie emotional hochexplosive Prinzessin Eboli. Diese Sängerin ist ein besonderes Juwel der zunächst unterkühlt und stark kontrolliert wirkenden stimmlichen und darstellerischen Expressivität in dem an kostbaren Stimmen wahrlich nicht armen und so internationalen Leipziger Ensemble, die immer große Steigerungen zeigt.
Zu diesen sängerischen Edelsteinen des Leipziger Ensembles zählt auch die israelische Sopranistin Gal James als Elisabetta, die obwohl reiner Spielball der Intrige zunehmend starkes eigenständiges stimmliches und dramatisches Profil über die Opferrolle hinaus gewinnt.
Dies wiederum fordert die Rolle des Großinquisitors vom ersten Ton an dem ukrainischen Bass und Gast Ievgen Orlov ab, der sehr ausdrucksstark und mit voller bedrohlicher und zugleich eleganter stimmlicher Präsenz in seiner Rolle überzeugt.
Die junge bayerische Sopranistin Magdalena Hinterdobler, seit 2014 Leipziger Ensemblemitglied, verleiht dem Pagen Tebaldo gesanglich und spielerisch ein gelungenes Profil. Dies gelingt auch in den kleineren Partien gesanglich ausdrucksvoll Randall Jakobsch als Mönch, stimmschön Karin Ullrich als Gräfin d'Aremberg, der griechischen Sopranistin Danae Kontora als kristallklarer Stimme von oben und dem ungarischen Chortenor Maté Gálin der Doppelrolle als Graf von Lerma und Herold. Der Chor der Oper Leipzig unter Alessandro Zuppardo begeistert mit seinem präzisen, homogenen und kraftvollen Gesang.
Der absolute Glücksfall für Sänger, Orchester und Publikum aber dieser von einem durchgehend großen musikdramatischen Feuer durchglühten und zugleich zutiefst beseelten Aufführung ist die musikalische Leitung durch Felix Bender. Der junge Dirigent aus Halle (Saale) und zuletzt kommissarische Generalmusikdirektor in Chemnitz ist ein besonders herausragender Vertreter der Dichte musikalischer Talente und der enorm hohen musikalischen Ausbildungsqualität in Mitteldeutschland.
Der vormalige Leipziger Thomaner Felix Bender studierte von 2006 bis 2011 Orchester dirigieren an der Hochschule für Musik „Franz Liszt“ in Weimar. Er war u.a. Assistent von Herbert Blomstedt am Leipziger Gewandhaus und bei Heribert Beissel. Als Gast dirigierte Bender bereits das Konzerthausorchester Berlin, das Philharmonische Orchester Ulm, die Staatskapelle Dresden, die Dresdener Philharmoniker und er nahm zahlreiche Rundfunkaufnahmen mit dem MDR Sinfonieorchester auf. Felix Bender dirigiert am Opernhaus Chemnitz mit außergewöhnlicher Anerkennung sowohl beim Publikum wie der Kritik das große Opernrepertoire von Händel und Mozart bis Wagner und Richard Strauß. Außerdem debütierte er sehr erfolgreich mit Gounods Faust an der Oper Leipzig sowie mit Mozarts Zauberflöte am Aalto-Theater Essen. 2008 erhielt Bender den 1. Preis und den Publikumspreis beim Ring Award in Graz und 2011 wurde er in die Förderung des Dirigentenforums aufgenommen.
Das unter den Weltspitzenorchestern rangierende Gewandhausorchester und der in der großen Leipziger Tradition des Thomanerchors wie des eleganten und gebildeten Felix Mendelssohn Bartholdy stehende junge Dirgent Felix Bender harmonieren perfekt zusammen. Sie zeichnen Verdis packendes nervöses Musikdrama Don Carlo, für mich zusammen mit Falstaff sein Hauptwerk, eher mit dem Silberstift auch in aller instrumentalen Finesse als mit dem breiten goldenen Pinselstrich, der die prächtige Sächsische Staatskapelle oft auszeichnet. Bender ist zudem kein auf billigen und vordergründigen Effekt setzender Blender sondern ein wahrer Kapellmeister der gedanklich tiefen konzeptionellen Durchdringung einer Partitur, die eine ganze Vorstellung auf phänomenale Weise vom ersten Takt bis zum verklingenden Schluss trägt. Da wird Musiktheater zum intellektuellen und sinnlichen Ereignis, das man sich in jeder Vorstellung wünscht.
Felix Bender vermag es mit dem Gewandhausorchester zugleich feinste polyphone instrumentale, melodische, farbklangliche und rhythmische Details der Partitur zum Klingen zu bringen wie den großen musikalischen Bogen über jeden der vier Akte zu schlagen und außerdem noch mit langem Atem zu steigern. Zugleich begleitet er mit diesem Weltklasseorchester in einer sehr feinen und sowohl fordernden wie nie durch Lautstärke überdeckenden Weise die Sänger in einem intensiven Dialog durch elegante und präzise Zeichengebung und Blickkontakt. Selten habe ich ein so beglückendes und intensives Dirigat erlebt. Bender empfiehlt sich damit besonders nachdrücklich für eine GMD-Stelle, für die Chemnitz leider der Mut zur Berufung nach seinem viel beachteten Intermezzo als Vertreter fehlte. Bender zeigt an diesem Abend, dass er nicht nur ein begnadeter Händel-, Wagner- und Gounod-Dirigent ist sondern auch ein großer Verdi-Interpret.
Zu Sternstunde(n) wird der Abend last-but-not-least aber auch optisch durch das von Escorial-Schwarz beherrschte Hell-Dunkel und atemberaubend schöne Lichtwirkungen der flexiblen Bühnenräume auf der Drehbühne, die simultan sichtbare Handlungen erlaubt in der Bühnenkunst von Markus Meyer und dem immer neu faszinierenden Lichtdesign von Guido Petzold.
Und in diesen magischen Räumen zeigt uns der Regiemeister Jakob Peters-Messers eine sehr feine psychologisch und überaus spannungsvoll choreographierte Personenregie sowohl der Hauptdarsteller wie der Gruppen des großen Chors und der heraus tretenden Solisten. Durchgehend mit herausragenden Stimmschauspielern stringent und atemberaubend erzählt verzichtet die Inszenierung mit prächtigen und die Personen perfekt charakterisierenden Kostümen (Sven Bindsell) auf ablenkende oderüberinterpretierte aktualisierende Mätzchen.
Das lässt sich kaum mit trockenen Worten nacherzählen, wie perfekt die dramatische Spannung zwischen den Sängerdarstellern von Szene zu Szene im Zusammenspiel mit der genialen Musik Verdis wächst. Auch die immer heiklen Momente mit den Gesandten aus Flandern und dem Autodafé werden optisch und spielerisch ganz besonders glaubwürdig umgesetzt.
Diese Inszenierung und musikalische Umsetzung von Verdis Don Carlo an der Oper Leipzig sind ein nachdrückliches und ganz besonders überzeugendes Plädoyer für die gewählte Mailänder Fassung und ihre kompositorische und politisch-ideelle Schlagkraft. Daher am Ende großer Jubel des Publikums und besonders nachdrücklicher Beifall und Bravorufe für den herausragenden Dirigenten Felix Bender, den wir hoffentlich nicht nur in Leipzig oder Chemnitz sondern bald auch in einer leitenden Position als Chefdirigent oft wieder erleben möchten.
---| IOCO Kritik Oper Leipzig |---