Kurt Weill - Hommage an den Menschen und Komponisten, Teil 1, 23.05.2020

Kurt Weill - Hommage an den Menschen und Komponisten, Teil 1,  23.05.2020
Kurt Weil 1932 © Wikimedia Commons, the free media repository / Das Bundesarchiv
Kurt Weil 1932 © Wikimedia Commons / Das Bundesarchiv

KURT WEILL - von Dessau zum Broadway Hommage an sein Leben und Wirken

von Peter M. Peters

Kurt Julian Weill wurde 1900, vor 120 Jahren in Dessau geboren. 1950, vor 70 Jahren  starb Kurt Weill in New York.  Zwei Gründe für Peter M. Peters, IOCO Korrespondent in Paris, an den großen Menschen und Komponisten zu erinnern. in der bei IOCO wöchentlich erscheinenden 6-teiligen KURT WEILL - Serie.

SERIE TEIL 1   -   Berliner Jahre

Wohl selten in der Musikgeschichte hat ein Komponist eine derartige Vielzahl von Musikstilen in sein Werk integriert und verarbeitet, aber trotzdem seinen eigene Musiksprache erhalten. Kurt Weill und sein Werk lässt sich nicht in Kategorien und Schubladen verpacken. Er war einer der einfalls- undeinflussreichsten Neuerer des Musiktheaters des 20. Jahrhundert. Kurt Weill kam am 2.März 1900 in der – im zweiten Weltkrieg fast vollständig zerstörten – jüdischen  "Sandvorstadt" von Dessau, in der Leipziger Straße 59, zur Welt. Der Vater, Albert Weill (1867-1950), aus einer Kippenheimer Rabbinerfamilie stammend, war Kantor und Religionslehrer an der Dessauer Synagoge, die Mutter, Emma geb. Ackermann (1872-1955), kam gleichfalls aus einer süddeutschen Familie von Rabbinern. Beide Eltern repräsentierten das alteingesessene deutsche Judentum: „Ich stamme aus einer jüdischen Familie,  die ihre deutsche Vergangenheit bis auf das Jahr 1340 zurückleiten kann“ (Interview von 1942).

Zaubernacht -  eine Kinderpantomime von Kurt Weill youtube Trailer Anhaltisches Theater Dessau, der Geburtsstadt von KW [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]

Dessau war die Residenzstadt des Herzogtums Anhalt und zu dieser Zeit war der theater- und musikbegeisterte Herzog Friedrich II (1856-1918) der regierende Fürst. Seit Fürst Johann Casimir (1596-1660) den erstendrei jüdischen Familien die Niederlassung in Dessau gestattet hatte, war hier – nicht zuletzt durch den aufklärerischen Einfluss des in dieser Stadt geborenen Religionsphilosophen Moses Mendelssohn (1729-1786) / Großvater von Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847) – eine der fortschrittlichsten jüdischenGemeinden in ganz Deutschland entstanden, zur Jahrhundertwende zählte Dessau unter seinen 15.000 Einwohnern 600 Bürger jüdischen Glaubens. Schon früh hatte der Vater das ausgeprägte Talent des Sohnes erkannt. Er lehrte ihn das Klavierspiel und die Anfänge in der Komposition. Der Dirigent Albert Bing (1884-1935), Schüler bei Hans Pfitzner (1869-1949), beeinflusste maßgeblich den Werdegang des jungen Weill. In der Weltmetropole Berlin studierte er bei Rudolf Krasselt (1879-1954) und Engelbert Humperdinck (1854-1921), bevor er 1919 den Posten eines Theaterkapellmeister in Lüdenscheid annahm, um von der Pike auf das Musiktheaterleben kennen zu lernen. Wieder in Berlin wurde er Meisterschüler bei Ferruccio Busoni (1866- 1924). Die anfänglichen Kompositionen des jungen Musikers waren in einem antiromantischen, harten und dissonanzenreichen Instrumentalstil erarbeitet. Jedoch bald wandte er sich fast ausschließlich dem Theater zu und bemühte sich um eine zeitgemäße, aber publikumswirksame Musiksprache.

Mit  instinksicherer Theaterbegabung

Durch den berühmten Dirigenten Fritz Busch (1890-1951) kam die Verbindung zu dem erfolgreichen expressionistischen Dichter Georg Kaiser (1878-1945) zustande; dem Librettisten seiner ersten Oper, Der Protagonist. Hier, wie auch in anderen frühen Werken für die Bühne, zeigte sich bereits die instinktsichere Theaterbegabung Weills. Tanz, Pantomime, kabarettistisches Chanson, souveräne Beherrschung der Satzkunstmittel, Milieustudie – mit diesen Begriffen lässt sich die lebendige Welt seiner suggestiven Klang-Rhythmus- Bilder umschreiben. Auch Elemente des Jazz werden zunehmend wichtig. Es war Anfang 1924, als Weill das erste Mal nach Grünheide bei Erkner, an den Stadtrand von Berlin, zu Georg Kaiser fuhr. Sicher fühlte er sich etwas beklommen, als er Deutschlands "Dramatiker Nummer eins" gegenüberstand – zumal der damals Sechsundvierzigjährige durchaus sein Vater hätte sein können. Sehr bald aber stellte sich heraus, dass Kaiser (der 1922 Weills Pantomime Zaubernacht gesehen hatte) den jungen Mann durchaus mochte und bereit war, mit ihm praktisch zu arbeiten. „Ich war beglückt, als Georg Kaiser sich erbot, mir eine große abendfüllende Ballethandlung zu schreiben. Wir gingen gemeinsam an die Arbeit. In zehn Wochen entstanden fast drei Viertel des Werkes. Die Partitur des Vorspiels und die beiden ersten Akte war vollendet. Da stockte es. Wir waren über den Stoff hinausgewachsen, die Schweigsamkeit dieser Figuren quälte uns, wir mussten die Fesseln dieser Pantomime sprengen: es musste Oper werden.“ (1926 - Bekenntnis zur Oper).

Ob von Anbeginn dieser Arbeit Kaisers 1920 geschriebenes und 1922 in Breslau uraufgeführtes Stück Der Protagonist Grundlage für die beabsichtige Ballett- Pantomime bilden sollte, ist nicht klar. Zunächst trat jedoch eine Pause ein. Im März 1924 schrieb Kurt Weill das dreisätzige Konzert für Violine und Blasorchester op.12, das letzte reine Instrumentalwerk, das in Deutschland entstand. In freier Atonalität komponiert, entwickelt sich dramatische Auseinandersetzung zwischen Soloinstrument und Orchester ebenso beeindruckend, wie der Komponist mit dem begrenzten Instrumentarium (zehn Bläser, Schlagwerk und Bässe) große Klarheit und Variabilität des Klanges erreicht. Das Konzert erlebte seine Uraufführung am 11. Juni 1925 in Paris, am 29. Oktober des gleichen Jahres erfolgte die deutsche Erstaufführung in Weills Vaterstadt Dessau, hier spielte erstmals Stefan Frenkel (1902-1976) den Solopart, der in den Folgejahren bis 1930 mit dem Werk in fast allen Musikzentren Europas konzertierte.

Der Protagonist von Kurt Weill und Georg Kaiser youtube Video von Hans Friedrich Gunther [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]

Ab Ende Mai 1924 fuhr Weill dann wieder regelmäßig nach Grünheide zu Kaiser, die Umformung der Ballett-Pantomime zu einer Oper Der Protagonist war nun beschlossene Sache, die Arbeit am Libretto begann. Inmitten dieser Arbeit erhielt er die schmerzvolle Nachricht vom Tode seines geliebten Lehrer und Freund Ferruccio Busoni. Umso mehr stürzte er sich in die Arbeit und auch sein Schmerz erfuhr Linderung durch eine neue entscheidende Begegnung. Die Kaisers hatten eine junge Tänzerin und Schauspielerin in ihrem Haus aufgenommen. 1898 in Wien als Karoline Wilhelmine Charlotte Blamauer geboren, in ärmsten Verhältnissen aufgewachsen, war sie 1913 zu ihrer Tante nach Zürich  "ausgebrochen" und hatte am dortigen Stadttheater Ballettunterricht genommen, war danach als Tänzerin und in ersten Schauspielrollen aufgetreten. Ende 1921 hatte sie sich – wie so viele junge Hoffnungsvolle – aufgemacht, um nunmehr mit dem Künstlernamen Lotte Lenja (1898-1981) die aufstrebende Kunstmetropole Berlin zu erobern . Doch trotz vielfältiger Bemühungen, "da war nichts mit Karriere, überhaupt nichts", jedenfalls zunächst nicht.

Kurt Weills Wunschtraum von 1919, sich einmal "bis zum Rasendwerden" zu verlieben, ging jetzt in Erfüllung. Es hatte wohl gleich bei der ersten Begegnung mit Lenja kräftig  "gefunkt" zwischen den beiden so unterschiedlich erscheinenden jungen Leuten: der lebensfrohen, impulsiven, allen Freuden des Daseins zugewandten Lotte, einer herben Schönheit, und Kurt, einem kleinen Mann, der mit wachen, feurigen Augen, bedachtsam und immer mit leiser Stimme sprechend, dessen Kleidung im quirligen Berlin der zwanziger Jahre eher für einen Doktoranden der Theologie passend wäre als für einen Komponisten der Avantgarde. Im Mai 1925 zogen Weill und Lenja gemeinsam in eine Pension am Luisenplatz in Charlottenburg; am 28. Januar 1926 heirateten sie. Die erhaltene Korrespondenz der darauffolgenden Jahrzehnte spricht von tiefer Zuneigung; daran sollte auch eine zeitweilige Trennung ab 1932 nichts ändern. Ständig erfindet Weill neue Kosenamen, von Pummilein über Rehbeinchen bis Tütilein, sie redet ihn zumeist mit Weillchen oder Weillili an.

Anfang 1925 war Georg Kaiser mit der Arbeit an seinem Libretto so weit fortgeschritten, das Weill nun mit der Komposition von Der Protagonist beginnen konnte. Der große Tag kam schließlich am 27. März 1926 in der traditionsreichen Sächsischen Staatsoper in Dresden. Er brachte Weill den bisher größten künstlerischen Erfolg seines Lebens – mit einem Werk des Musiktheaters!

Fritz Busch dirigierte persönlich die Aufführung der Oper gekoppelt mit dem Einakter Der große Krug von Alfredo Casellas (1883-1947). Das Publikum applaudierte zwanzig Minuten, es gab über vierzig Vorhänge, auch Weill und Kaiser mussten sich wieder und wieder verbeugen. Bis 1930 wurde das Werk an mehr als fünfzehn deutschen Opernhäusern inszeniert, es war Weills gelungener Start als Opernkomponist.

Erstaunlich ist die überragende Qualität dieses Opern-Erstlings. Kein Tasten ist zu verspüren, kein Suchen und Versuchen. Dieses Operndebüt ist in jeder Hinsicht ein großer Wurf. Die Hauptrolle ist ebenso sicher auf maximale Wirkung komponiert wie die Nebenrollen mit Präzision und Aufmerksamkeit für das Detail ausgestaltet sind. Der Komponist komponiert mit großer Sicherheit und Professionalität, die sich außer durch seine enorme Begabung nur noch mit den praktischen Erfahrungen erklären lässt, die er in früher Jugend schon am Theater Dessau und dann später in Lüdenscheid machte. Weills Partitur zeigt in ihrer Verbindung von linearer Polyphonie, atonalem Material und durchdringender Chromatik einen wachen, bereits kräftig entwickelten Sinn für die Bühne und für die Wirkung der Musik. Höhepunkte sind die beiden tänzerischen Pantomimen, die von einem kleinen Orchester aus acht Bläsern auf der Bühne quasi kommentiert (in der ersten, heiteren Szene) und dann vom Orchestergraben aus begleitet (in der zweiten, tragischen Pantomime) werden. Dies mit atemberaubenden Sicherheit und einem äußerst perfektem Timing.

Obwohl manches an dem Einakter noch an Busonis Arlecchino erinnert, war sich die Kritik weitgehend einig in der Feststellung, wie sie Oskar Bie (1864-1938) formulierte: „Das ist der Schritt des Schülers über den Meister Busoni hinaus“. Bei Rudolf Kastner (1906-1957) war zu lesen: „Kurt Weill, eine der am meisten beachteten Begabungen unter den in Berlin wirkenden Neutönern, hat sich jetzt mit einem Schlag nach der Uraufführung seines neuen Operneinakters Der Protagonist als eine musikdramatische Schöpferpotenz ersten Ranges erwiesen und ist an diesem Abend in die erste Reihe unserer großen Hoffnungen gerückt.“

Bertolt Brecht Berlin © IOCO / Rainer Maass
Bertolt Brecht Berlin © IOCO / Rainer Maass

Kurt Weill - Bertolt Brecht  : ein revolutionäres Team

Begegnet waren sich die beiden mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits im März 1927 im Umkreis der Funk-Stunde Berlin, die am 18. März eine nicht erhaltene Hörspielfassung von Mann ist Mann ausstrahlte, in der Bertolt Brecht (1898- 1956) selbst mitwirkte. Weills Rezension war nahezu euphorisch: „Ein Dichter, ein wirklicher Dichter, hat mit kühnem Griff einen wesentlichen Teil aller Sendespielfragen seiner Lösung entgegengeführt.“

Zu dieser Zeit war Weill intensiv auf der Suche nach einem Libretto für den Kurzopern-Auftrag aus Baden-Baden. Nachdem er verschiedene Ideen wieder verworfen hatte, den Auftrag schon zurückgeben wollte, meldete er dann seinem Verlag am 2. Mai 1927: „Ich habe plötzlich einen sehr schönen Einfall gehabt, an dessen Ausführung ich jetzt arbeite. Titel: Mahagonny, Ein Songspiel nach Texten von Brecht. Ich denke, das kleine Stück bis Mitte Mai zu vollenden.

Bertolt Brecht _ Helene Weigel Grab in Berln © IOCO _ Rainer Maass
Bertolt Brecht _ Helene Weigel Grab in Berln © IOCO _ Rainer Maass

Da gerade Brechts Gedichtband Die Hauspostille erschienen war (der als Vierte Lektion fünf  Mahagonny-Gesänge enthält), dürfte feststehen, dass Weills"Einfall" aus der Lektüre des Buches resultierte. Er hatte daraufhin, so Lotte Lenja, sofort Kontakt zu Brecht gesucht, um diesem das Projekt vorzutragen. Es war Ende April 1927, als sich die beiden erstmals gegenübersaßen. Offenbar muss dabei der Funke gemeinsamen Wollens, auch das Gefühl des Miteinander-Könnens, sehr rasch übergesprungen sein, denn hier begann eine intensive, nahezu vierjährige folgenreiche Zusammenarbeit. Zwei nach geistiger Herkunft und bisherigem künstlerischen Weg grundverschiedene Persönlichkeiten, beinahe gleichaltrig, begegneten sich, die nur eins einte: Formen des institutionalisierten bürgerlichen Theater- und Opernbetriebs aufzubrechen, nach neuen Wegen suchen.

Wie Weill war auch der 1898 in Augsburg geborene Brecht in seinem Schaffen an einem Umbruch-Punkt angelangt. Anders als in der späteren lebenslangen Arbeitsfreundschaft mit Hanns Eisler (1898-1962) war die Beziehung Brecht / Weill indes fast ausschließlich auf die gemeinsame Produktion beschränkt. In weltanschaulichen Fragen (seit Herbst 1926 hatte Brecht das intensive theoretische Studium des Marxismus begonnen) gab es kaum Berührungspunkte – ein wesentlicher Grund für die Beendigung der Zusammenarbeit nach vier Jahren, als Brecht auch in seiner Produktion die marxistische Konsequenz zog.

Jetzt aber entstand als erstes in nur zweiwöchiger Arbeit das Songspiel Mahagonny. Weill stellte die Reihenfolge der fünf Gedichte aus der Hauspostille um, komponierte sie als Songs, schuf orchestrale Zwischenspiele sowie ein Vor- und Nachspiel. Brecht bat er lediglich um einen kurzen neuen Text für das Finale: Vier Goldgräber und zwei Prostituierte agieren, gezeigt wird im ersten Teil ihr Weg nach Mahagonny und im zweiten Teil ihr Leben in der "Traumstadt", darauf folgt das Finale mit den Schlusszeilen: „Mahagonny – das ist kein Ort – Mahagonny ist nur ein erfundenes Wort.

Von Anbeginn der Arbeit stand für beide Autoren fest, dass der Stoff weiter ausgeformt werden sollte. Das Songspiel stellte lediglich eine Stil-Studie zu dem Opernwerk dar, das beiden vorschwebte. Mahagonny als "Traumstadt" steht zunächst noch als allgemeiner Gegenentwurf zu den "großen Städten", die eindeutig negative Wendung zur kapitalistischen "Netzestadt" erfolgte dann erst in der Oper. Weills Musik wird von drei durchgreifenden Innovationen bestimmt: eine neue Zusammensetzung des Orchesters aus zehn Musikern (2 Streicher, 6 Bläser, Klavier, Schlagzeug); ein neuartiger Gesangsstil, der sich aus Elementen der populären Musik ableitet und hier zum ersten Mal als Weill‘scher Songstil die Bühne betritt, sowie die in sich geschlossenen musikalischen Nummern.

Die Dreigroschenoper hier aus den 1930er Jahren mit Lotte Lenja youtube Video von Hans Friedrich Gunther [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]

Im Juli reisten Weill, Lotte Lenja (die die Rolle der Bessie übernommen hatte und damit ihre große Karriere als Weill-Interpretin beginnen sollte) und Brecht (der Regie führte) nach Baden-Baden. Hier stieß der seit seiner Jugend mit Brecht befreundete Bühnenbildner Caspar Neher (1897-1962), bald auch von Weill nur noch "Cas" genannt, zum Team. Der in Augsburg geborene Neher sollte in den Folgejahren bis 1933 als Ausstatter wichtiger Aufführungen wie auch als Librettist für Weill große Bedeutung erlangen. Die Uraufführung von Mahagonny fand am 17. Juli 1927 im Rahmen eines Abends mit Kurzopern statt (neben dem Songspiel standen Auftragswerke von Ernst Toller (1893- 1939), Darius Milhaud (1892-1974) und Paul Hindemith (1895-1963). Nach Milhauds  Opéra-minute Die Entführung der Europa wurde auf der Bühne ein Boxring und ein großer Rundhorizont für Nehers neuartige, in verfließender Aquarelltechnik gestaltete Projektionen aufgespannt.

Bereits während der Aufführung vollzog sich die totale Spaltung des bürgerlichen Festspielpublikums der Deutschen Kammermusik Tage 1927, am Ende gab es einen Eklat. Brecht tags darauf an Helene Weigel (1900-1971): „Hier großer Regieerfolg! 15 Minuten Skandal!“ Auch die Presse reagierte größtenteils negativ, nur wenige Kritiker erkannten, dass an diesem Abend die Tür aufgestoßen worden war zu einer ganz neuen Art musikalischen Theaters. Heinrich Strobel (1898-1970) schrieb: „Die Sensation des Opernabends war Mahagonny. Das geht an Intensität des Ausdrucks über den Protagonist hinaus. Das reißt mit. Verrät wieder Weills eminente Theaterbegabung“.

Die Dreigroschenoper  - Der Welterfolg

Die Dreigroschenoper, dieses trefflich schräge "Stück mit Musik" hätte ursprünglich weniger schlagend  Gesindel  heißen sollen. Einem Freund der Autoren, Lion Feuchtwanger (1884-1958), war noch während der Vorbereitungen zur Uraufführung der allseits sogleich akzeptierte neue Titel eingefallen. Brecht hatte den Text der gerade zweihundertjährigen Beggar's Opera von John Gay (1685-1732) sehr freizügig bearbeitet. Er adaptierte die vormals so erfolgreich gegen Händels (1685-1759) italienischen Opernpomp stichelnde Geschichte aus dem Londoner Bettler-, Diebes- und Hurenmilieu, reicherte sie mit Versen von François Villon (1431-1463?) und Rudyard Kipling (1865-1936) an und aktualisierte sie schlagkräftig und sprachgewaltig zur süffigherben Kritik an der bürgerlichen Scheinheiligkeit. Erstmals versuchte Brecht mit den Stilmitteln des von ihm entwickelten "epischen Theaters" im Bereich der Oper das antikulinarische, das zum Denken und aktiver Stellungnahme herausfordernde Prinzip des Vorzeigens zu verwirklichen. Formal ist Die Dreigroschenoper ein Schauspiel mit Song-Einlagen. Die Musiknummern kommentieren das Geschehen. Sie präzisieren meist wesentliche Aspekte der psychosozialen und gesellschaftlichen Befindlichkeit der Protagonisten. Plakativ sind sie durch eine desillusionierend wirkende "Song-Beleuchtung" auch visuell hervorgehoben. Die originale Musik zur Beggar's Opera von John Pepusch (1667-1752) hätte sich, nach dem Urteil beider Autoren, mangels aggressiven Potentials einer zeitgemäß zupackenden Aufarbeitung widersetzt. Weill übernimmt lediglich die Melodie von Peachums Morgenchoral und verleiht ihr durch die klangliche Aura des Harmoniums die staubige Süße spießigen Betrugs und Selbstbetrugs.

Die Dreigroschenoper hier aus dem Jahr 2018 youtube Trailer des Staatstheater Darmstadt [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]

Im Übrigen schreibt er Musik von wahrhaft kongenialer Authentizität. Ob Weill mit barockisierenden Mustern verquer hantiert (z.B. In der Ouvertüre), ob er billige Leerfloskeln aus Tango- und Jahrmarktmusik miteinander verknüpft und hier und dort noch ein ansehnliches Quantum Operettenschmelz daruntermischt – alles klingt auf kunstvolle Weise zwingend, falsch und ungemein anziehend- anzüglich. Jeder Song ist geprägt von der nämlichen Handschrift, besitzt aber eine ganz eigene Aura der Doppelbödigkeit. Freilich, auch wenn Weill im dritten Dreigroschenfinal Händel‘sche Opernpraxis scheinbar persiflierend anklingen ließ, mit Rezitativ- und Chorpassagen, so wollte er dies keineswegs als Parodie verstanden wissen. Hier wurde vielmehr der Begriff Oper - wie Weill 1929 formulierte: „…direkt zur Lösung eines Konfliktes, also als handlungsbildendesElement herangezogen und musste daher in seiner reinsten, ursprünglichsten Form gestaltet werden. Dieses Zurückgehen auf eine primitive Opernform brachte eine weitgehende Vereinfachung der musikalischen Sprache mit sich. Es galt eine Musik zu schreiben, die von Schauspielern, also von musikalischen Laien, gesungen werden kann. Aber was zunächst eine Beschränkung schien, erwies sich im Laufe der Arbeit als eine ungeheure Bereicherung. Erst die Durchführung einer fassbaren, sinnfälligen Melodik ermöglichte das, was in der Dreigroschenoper gelungen ist, die Schaffung eines neuen Genres des musikalischen Theaters“.

Weill schrieb seine zündenden Songs für die acht Musiker der von Theo Mackeben (1897-1953) geleiteten Lewis-Ruth-Band, ein versiertes Jazz-Ensemble, das sichtbar im Bühnenhintergrund zu spielen hatte.

Die Uraufführung am 31. August 1928 im Berliner Theater am Schiffbauerdamm wurde wieder Erwarten zu einem triumphalen Erfolg, der Brecht und Weill über Nacht berühmt machte. Unzählige Theater, zunächst in Deutschland, dann überall in Europa nahmen Die Dreigroschenoper in ihren Spielplan auf. Aus der Perspektive Brechts war der Welterfolg des Stückes jedoch ein höchst zwiespältiger. Seine Absicht war es schließlich gewesen, Strukturen der bürgerlichen Gesellschaft bloßzulegen und zu entlarven. Doch das Publikum ließ sich vom verruchten Kitzel der vergnüglichen Story und von der packenden Musik Weills zur Rezeptionshaltung des Musical-Konsumenten verführen, ohne wahrnehmen zu wollen, dass es sich - so Brecht – bei der Dreigroschenoper um „…eine Art Referat über das, was der Zuschauer im Theater vom Leben zu sehen wünscht“ handelt. Diese Erkenntnis radikalisierte im Folgenden seine Versuche, das gesellschaftliche Bewusstsein der Zuschauer mit Mitteln des Theaters zu verändern.

Kurt Weill  - von DESSAU zum BROADWAYHommage an sein Leben und Wirken

 "Songstil und epische Oper" - TEIL  2  der Kurt Weill Hommage von Peter M. Peters  folgt am 30.5.2020

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