Krefeld, Theater Krefeld Mönchengladbach, Lohengrin - In irdischem Wettstreit gefangen, IOCO Kritik, 21.04.2017
Theater Krefeld Mönchengladbach
Lohengrin von Richard Wagner
"Gral Gesandter scheitert in irdischem Streit"
Von Viktor Jarosch
Lohengrin am Theater Krefeld, Premiere 16.4.2017, weitere Vorstellungen 22.4.2017, 7.5.2017, 20.5.2017, 25.6.2017, 2.7.2017
Am Niederrhein war man gespannt. Lohengrin im Theater Krefeld, erstmals seit über 40 Jahren. Wie würde Richard Wagners Musikdrama aufgenommen werden? Kann das Orchester die sphärische Aura von Traum- und Gralswelt spürbar machen, sind die Solisten den extremen Ansprüchen der Partien von Elsa, Lohengrin, Ortrud und Telramund gewachsen, wird die Regie angenommen? Nach der Vorstellung, zur Premierenfeier, hörte ich einen Solist zu seinem Nachbarn flüstern "einen ähnlichen Beifallsturm habe ich seit vielen Jahr am Theater Krefeld nicht erlebt." So war es, langer starker Beifall für alle, für den neuen Lohengrin am Theater Krefeld!
Die Oper Lohengrin fasziniert bis heute an allen Bühnen der Welt, ein letzter Höhepunkt der romantischen Opern. Komponist Richard Wagner war zur Uraufführung 1850 an der Hofoper in Weimar, dem heutigen Deutschen Nationaltheater, nicht anwesend. Franz Liszt, damaliger Hofkapellmeister in Weimar und späterer Schwiegervater, hatte zuvor den bewunderten wie steckbrieflich gesuchten "Dresdner Revolutionär" Richard Wagner zur Flucht in die Schweiz verholfen. Die deutscheste aller Opern Wagners offenbart in Konflikten zwischen Gralsbestimmung und irdischem Treiben eine unauflösliche Gemengelage zwischen Liebe und Leben, in der letztlich die Liebe stirbt. Der sagenumwobene mythische Gral bannte Richard Wagner über Jahrzehnte, bis zu seiner letzten Oper Parsifal. Wagners Lohengrin Komposition ist bereits revolutionär, kehrt sich ab von der Nummernoper und bringt erstmals die freie Deklamation; die Vorspiele bemalen Stimmungen; wiederkehrende Tonarten kennzeichnen die Protagonisten, A-Dur ist Lohengrin; die Orchestrierung teilt gleiche Instrumente erstmals in Gruppen welche sich trennen und wieder verschmelzen; Chöre werden zu dramatischen Akteuren. Die Dichtung der Oper speist sich aus vielen Quellen: Wagner formt seinen Lohengrin aus deutscher Geschichte, Erzählungen und deutschen Mythen; das Herzogtum Brabant der Oper ist Synonym für ein deutsches Reich; Wagners Nähe zur Revolution von 1848 ist bei der Deutung von Mythen und Realität zentraler Schlüssel. Seine Hoffnung, wenn schon nicht die Menschen selbst, so möge uns Gott, Lohengrin oder Parsifal schon auf Erden zum Heil führen, erfüllt sich nicht. Nicht in der Oper Lohengrin, nicht in irdischem Einerlei.
Die Krefelder Inszenierung des Lohengrin sucht diese Nähe zum modernen Alltag, zur Realität menschlichen Seins. Lohengrins Mystik wird als fremde, mit irdischem unvereinbare Welt gezeichnet. So verbreitet Regisseur Robert Lehmeier Mystik meist nur zu den Vorspielen und im Nachspiel; zu den sphärischen Streicherklängen des ersten Vorspieles stehen Elsa und Thronfolger Gottfried als Kind pantomimisch stumm und regungslos vor den Vorhang, zum Nachspiel deutet Gottfried im dunklen Hintergrund der Bühne nackt, erwachsen, mit Schwert, erneut Erlösung an. Die Realtät dominiert auf der Bühne. Alle Mystik verliert sich im ersten Bühnebild; doch nicht mit Wagners klassischem Heerbann, Gerichtseiche oder Rittern, sondern aus dem irdisch jetzigem Lebensalltag gezeichnet: Ein großer Saal mit halbrunder Tischformation in der Mitte, Bänke an den Seitenwänden; Bühne Tom Musch. König Heinrich (Matthias Wippich) grüßt mit elegantem wohlklingenden Timbre: "Gott euch euch, liebe Männer von Brabant, nicht müßig tat zu Euch ich diese Fahrt". Er wie seine Gefolgsleute in modern geschäftlich glattem Outfit, Männer mit Krawatten, Frauen in Gehröcken (Kostüme Ingeborg Bernerth). Friedrich von Telramund, Johannes Schwärsky, ebenfalls in Business-Outfit, ließ schon mit seiner ersten Arie "Dank, König, dir, daß du zu richten kamst.." aufhorchen; sein kräftiger dramatisch lyrischer Bassbariton wurde von präziser Diktion begleitet. Gemeinsam mit dem bald folgendem, klangschönem Sopran von Izabela Matula als Elsa von Brabant, in buntem Frühlingskleid "Einsam in trüben Tagen hab ich zu Gott gefleht..", war früh zu erkennen, daß zur Oper Lohengrin am Theater Krefeld ein unerwartet starkes Solistenensemble auf der Bühne steht. Doch, zu diesem Zeitpunkt, lagen noch drei Stunden komplexe Handlung vor Orchester, Chor und Solisten, wie auch den Besuchern.
Lohengrin (Peter Wedd) erscheint aus dem geheimnisvollen Dunkel im Bühnenhintergrund in die irdische Wirklichkeit der vorderen Bühne: Der mystifizierende Schwan bleibt unsichtbar, Wirklichkeit dominiert auf der Bühne. Mit Beginn gibt Wedd dem Lohengrin mit hell kraftvoller Stimme perfekte Bühnenpräsenz: "Nun sei bedankt, mein lieber Schwan!...". Alles Bühnengeschehen und Bilder betonen das Irdische, das Zwielichtige der heutigen Welt. Mystisches, Lohengrin, fremdeln darin unwirklich, fast Fremdkörper. Elsa bleibt immer die im heutigen Leben stehende Frau, welche, natürlich, die Herkunft von Lohengrin wissen will. Auch die folgenden Bildern betonen reales, gelegentlich allzu irdisches: Im Dunkel eines Vortragsraumes voller Bürostühle konspiriert Ortrud (Eva Maria Günschmann) mit dramatischem Mezzo in elegantem Zweiteiler mit Telramund, säht erste Zweifel in Elsa. Elsas folgende Hochzeit wird als Massenhochzeit zelebriert: Voll verhüllte Frauen sitzen neben in den Krieg ziehenden Männern in Kampfanzügen. Der Kampf Lohengrins mit Telramund wird nur angedeutet; der tote Telramund wird später in Rollstuhl und Leichensack auf die Bühne gerollt. Lohengrin holt kein Schwan ab, er wandert seitlich unauffällig ins Nichts, ins Außerirdische. Doch die Mystik stirbt nie wirklich: Hoffnung auf himmlische Erlösung erweckend erscheint Gottfried zum Ausklang im Bühnenhintergrund.
Die große Spannung der Krefelder Lohengrin Inszenierung entsteht immer wieder aus dem griffigen Gegensatz von sphärischer Mystik zu irdisch profanem Treiben. Die wunderbare Komposition, starke Stimmen und große Bühnenpräsenz der Solisten (Lohengrins "In fernem Land, unnahbar euren Schritten" ist ein glanzvoller Höhepunkt des Abends) und des Chores (Maria Benyumova) machen diesen Lohengrin zu einem besonderen kulturellen Ereignis am Niederrhein. Die Niederrheinischen Sinfoniker unter Mihkel Kütson, ohne große Krefelder Wagner-Tradition, verzaubern durch farbenreiche Klänge großer Romantik, auch patzte kein Trompeter im Hochzeitsmarsch. Wie sagte in der Premierenfeier ein Solist: "Einen ähnlichen Beifallsturm hat es in Krefeld seit Jahren nicht mehr gegeben."
Lohengrin am Theater Krefeld, Premiere 16.4.2017, weitere Vorstellungen 22.4.2017, 7.5.2017, 20.5.2017, 25.6.2017, 2.7.2017
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