Köln, Theater im Bauturm, Jiddische Lieder - Ny gey - Ikh bleyb, IOCO Kritik, 20.01.2022
Theater im Bauturm
JIDDISCHE LIEDER -- Ny Gey – Ikh bleyb
THEATER IM BAUTURM – KÖLN
von Albrecht Schneider
Man kann einfach nicht oft genug darauf hinweisen, darauf aufmerksam machen, ja hinausposaunen, welche Arbeit von und auf jenen Theatern geleistet wird, die abseits der mal großen, mal kleineren staatlichen und städtischen Schauspielhäuser deutsche Kultur verbürgen. Mit repräsentativ für eine minder laute, bescheidener auftretende, gleichwohl enorm vitale hiesige Theaterszene wirkt in diesem Sinne im Herzen Kölns das Theater im Bauturm. Einst in einem Architektenbüro (Bauturm!) 1983 gegründet, ist es, obschon wie meisten seinesgleichen von der Pandemie ordentlich gebeutelt, nicht allein lebendig, sondern weiterhin dem eigenen Anspruch als ein “kreatives Haus für ambitionierte Gegenwartsdramatik“ verpflichtet geblieben. Mehrfach sollten die Hüte gelüftet werden vor dergleichen Ensembles, die trotz aller ihrem “Geschäft“ immanenten und derzeit besonders heftigen Widrigkeiten nicht von einer finanziell vielfach gering ertragreichen Tätigkeit lassen wollen, nämlich den Thespiskarren durch die Zeiten zu ziehen. Also: Chapeau!
Auf dessen schlichter, doch feiner, auf 120 Zuschauer ausgerichteter, indessen wegen Corona auf 70 Sitzplätze abgemagerter Bühne haben sich Dalia Schaechter und Christian von Götz neuerlich der Jiddische Lieder des Mordechai Gebirtig angenommen. Von der Mezzosopranistin und dem Gitarristen wurde diesem hierzulande weithin unbekannten polnischen jüdischen Dichter (1877 – 1942) eine leidenschaftliche CD gewidmet. Bei IOCO besprochen, siehe link HIER!
Nunmehr sind die allzeit miteinander harmonierenden Solisten, zeitgeistnah formuliert: authentisch zu besichtigen und zu hören. Wieder einmal beglaubigt diese, neuerlich zeitgeistnah formuliert: Performance der beiden Künstler, wie, trotz aller Brillanz und interpretatorischer Perfektion einer CD, diese stets hinter einer wennschon weniger perfekt dargebotenen – was hier allemal nicht zutrifft – Musica Viva zu stehen kommt.
Es schien an dem Abend, als seien, gleich Mezzosopran und Gitarre auf den Kammerton A, genauso Verstand und Herz von Sängerin und Instrumentalist auf einen gemeinsamen Ton eingestimmt worden, derart kongenial fesselnd und einfühlsam gestalteten sie gemeinsam Klang und Sprache der Lyrik des jüdischen Poeten.
Mordechai Gebirtig war ein einfacher Möbeltischler, der, abgesehen von ein paar nicht sonderlich weiten Ausflügen, seine Heimatstadt Krakau niemals verließ. 1877 im jüdischen Stadtteil Kazimierz geboren und großgeworden, arbeitete und wohnte er dort mit Frau und drei Töchtern bis zu seiner Ermordung 1942 durch eine deutsche Soldatenkugel im Krakauer Ghetto. Seine Familie, Frau und Kinder, wurde später namenlos ebenfalls in der deutschen Ausrottungsmaschinerie ermordet. Lebenslang hat Mordechai Gebirtig Verse geschrieben und partiell vertont, dem Holocaust sind lediglich knapp 170 Gedichte des wesentlich umfangreicheren, ausnahmslos in Jiddischer Sprache verfassten Gesamtwerks entgangen. Dessen Thema ist die poetische Darstellung des kargen Daseins der Bewohner dieses Viertels, besungen werden die gefestigteren wie brüchigeren Existenzen von Frauen und Männern, Müttern und Vätern, von ihren Kindern, von Musikern, Gaunern, Huren und weiteren einheimischen Figuren auf nachdenkliche, traurige, heitere, lustige und lustvolle Weise. Als ein politisches Wesen, das heißt als bekennender Sozialist und Beobachter nicht bloß des Leben um sich herum, dichtete er überdies, das seit Urzeiten stets gefährdete jüdischen Sein vor Augen, Beschwörungen und Aufrufe zum Widerstand wider jede Form von Repressalie und Repression. Letztlich lässt sich in Mordechai Gebirtig ein Orpheus des häufig verhängnisvollen wie seltener wohlwollenden jüdischen Schicksals sehen.
Mit seinem wohl bekanntesten Gedicht, Lied, Wehklage, Appel, alle Überschriften treffen zu, Undzer shtetl brent (Unser Shtetl brennt) begannen die beiden Solisten den Abend und beschlossen ihn auch. Frau Schaechter, in Israel aufgewachsen, hat Jiddisch auch erst lernen müssen; kraft ihrer Kunst wurde zwei Stunden lang diese vom Aussterben bedrohte Sprache des von den Nazis weitgehend ermordeten Ostjudentums höchst präsent. Wenngleich jedes Lied eine kurze Einführung durch dessen Interpreten erfuhr und obschon mit Konzentration manche Phrase und manches Wort durchaus zu erfassen war, mussten dessen Sujet und sprachliche Abbildung selbst einer sehr beflissenen Zuhörerschaft im Wesentlichen letztlich verschlossen bleiben. Immerhin lieferte ein Programmheftchen nachlesbar Titel, Inhalt und einige ins Hochdeutsche übertragene Zeilen des jeweiligen Gedichts. Das Manko eines nicht zur Gänze zugänglichen kleinen Kunstwerkes wurde insofern ein bisschen aufgewogen, als sich mithin die klangvolle Prosodie des Jiddischen desto mehr genießen ließ. Andererseits ist es einem komplexen Begreifen dessen, was einen Liedervortrag ausmacht, seit jeher dienlich gewesen, wenn ihm ein Studium der Texte vorausging oder ihm zumindest folgte.
Weil das Duo Dalia Schaechter und Christian von Götz schließlich in einem Theater auftrat, entsprach es in gewisser Weise dem Auftrag dieses Milieus. Sofern soeben von bloß fragmentarischem Erfassen und geringem Empfinden von eines Dichters Intention die Rede war, so sei jetzt hervorgehoben, wie Dalia Schaechter, im Hauptberuf Ensemblemitglied der Kölner Oper, dem lyrischen Ich dadurch beistand, dass sie dessen ureigene Welterfahrung mittels Mimik und Gestik immer auch szenisch veranschaulichte. Gleiches unternahm an ihrer Seite der Partner Christian von Götz, indem seine Gitarre durch jeweilige Klangfärbung, Dynamik und Rhythmik die Spiritualität des einzelnen Gedichtes zu unterstreichen verstand. Eine mitunter fast orchestral anmutende Begleitung der Sängerin. Besonders berührte, dass nach dem letzten Ton Dalia Schaechter mit einem wissenden, zarten Lächeln, gleichsam als Abgesang, das Lied endgültig verabschiedete.
Wie aus dieser Besprechung hervorgeht, wurde dem Publikum in dem voll besetzten Saal des Theaters im Bauturm ein künstlerisch gelungener, zudem aufklärerischer und, falls dazu bereit, nachdenklicher Abend geboten. Nachdenklich insofern, als in die teils heiteren, teils melancholischen, teils, wie das Undzer shtetl brent, erschreckenden Gedichte oder Gesänge eines einfachen Möbeltischlers hör- und lesbar dessen hellhörige wie hellsichtige Wahrnehmung der eigenen engen und ebenso einer weiter weg gelegenen Welt eingetragen ist. Mordechai Gebirtig repräsentiert das Fatum der europäischen Juden, das Theodor Herzl, der Mitautor des politischen Zionismus, einstmals in einem Satz zusammengefasst hat: „Das Judentum ist eine Massenherberge des Elends mit Filialen in der ganzen Welt.“
Es soll beileibe kein Vorwurf sein, wenn hier geäußert wird, Dalia Schaechter und Christian von Götz hätten nicht lediglich beiläufig davon sprechen sollen. Sehr wahrscheinlich lag es keinesfalls in deren Absicht, böse deutsche Geister zu beschwören, vielmehr ihr Publikum unterhaltend für nahezu unbekannte jüdische Dichtung Aufmerksamkeit zu wecken. Wie meisterlich ihnen das geglückt ist, bewies der anhaltende Beifall aller Besucher.
Jiddische Lieder im Theater im Bauturm: erneut am 30. Januar 2022
---| IOCO Kritik Theater im Bauturm |---