Köln, Oper Köln, Der fliegende Holländer, Premiere in stürmischer See, IOCO-Kritik, 04.05.2012
Der unerschöpfliche Holländer - MythosTeufelspakt, Teufelin und Wagners romantische Erlösungsvisionen
Im Vorfeld und im Nachklang der Premiere des Fliegenden Holländer wurden romantische und markige "Rettet die Kölner Oper"-Gesänge und Reden geboten. Uwe Eric Laufenberg wurde nach der Vorstellung gefeiert. Galt der Jubel der gelungenen Holländer-Premiere oder dem Kampf Laufenbergs gegen städtische Unbill? Vermutlich beidem. Happening-Atmosphäre durchzog den Premieren - Abend.
Der Mythos des Fliegenden Holländer, eine der meistgespielten Opern der Welt, wird immer wieder neu interpretiert. Richard Wagner schrieb 1850: "Das Unvergleichliche des Mythos ist, dass er...für alle Zeiten unerschöpflich ist". Mystische Erzählungen, dauerhafte Gültigkeit reizten Wagner sein ganzes Leben. Wie die Sage/Legende vom Fliegenden Holländer, welche sich über Jahrhunderte formte. Aber erst 1831 gab ihr Heinrich Heine den heutigen Namen. Richard Wagner formte die Geschichte des durch eigene Schuld fluchbeladenen Seemanns zu einem musikdramatischen Ausdruck utopischer Hoffnung nach Verklärung.
Dietrich Hilsdorf belebt in Köln den romantischen Holländer-Mythos Richard Wagners mit neuer Gestalt und Phantasie. Der Teufel, welchem sich Holländer in einem Pakt verschrieben hat, wird in Köln als Frau mit Namen Samiel (Gabi Dauenhauer) zur leibhaftigen Teufelin. Von der Ouvertüre bis zum Ende verkörpert Samiel pantomimisch, nackt oder in strengem Anzug, das Abgründige, das Verruchte; der sichtbare Gegensatz zur aufopferungsbereiten Senta. Der mystische Handlungsgerüst des Holländer, Verdammnis versus Erlösung, konkretisiert Hilsdorf durch das erkennbar Böse, durch Samiel. Hilsdorf weigert sich auch, diesen Holländer mit einem für ihn "faulen" Erlösungsmotiv zu beenden. Die Erlösung also fällt aus in Köln: "Zu ideologisch, Erlösung von was?" Hilsdorf wählt in seiner Inszenierung den von Wagner 1843 komponierten Ur-Schluss, mit physischem Tod von Senta. Die Wahl der Urfassung, der Verzicht auf illusorische Erlösung, schafft szenische und musikalische Direktheit. Eine lebensnahe Hilsdorf Inszenierung, eine reale Interpretation des ansonsten weit verschlungenen Mythos vom Fliegenden Holländer. Eine Inszenierung, welche sich auch von Wagners Lebensträumen verabschiedet: Der Erlösung des Mannes durch Aufopferung einer Frau.
Das Bühnenbild (Dieter Richter) trifft die mystische Stimmung der Handlung besonders gut im ersten Aufzug. Tobende Gischt und Weite des Meeres werden bei wenig anderen Requisiten düster, halbdunkel auf Prospekt und der sich nach hinten schließenden riesigen Bühne abgebildet. Die Handlung und Personenführung mit Matrosen, Steuermann, Holländer und Daland (Kostüme Renate Schmitzer) entwickelt sich darinbruchlos. Die Spinnstube im zweiten Aufzug bricht, in heller, bürgerlicher Überzeichnung, die zuvor so stringent mystische Ausrichtung etwas (ver-)störend auf. Mystisches mischt sich mit Realem. Auf einem modern, länglichen Tisch sind mehrere Spinnräder platziert. Unter der Tischplatte, deutlich sichtbar, technisch komplexe Mechanik. Die Spinnerinnen in traditioneller Kleidung bewegen, arbeiten, singen. Im dritten Aufzug gewinnt die Mystik erneut die Oberhand. Erik hantiert, etwas wirr, mit einer langläufigen Flinte, Senta erschiesst sich. Die riesigen Kulissen verschieben sich zwischen den Aufzügen, von magischen unterirdischen Kräften getrieben, verwirrend wie beeindruckend.
Markus Poschner dirigierte souverän das prächtig disponierte Kölner Gürzenich-Orchester in der Ouvertüre etwas zurückhaltend aber mit feinster Klang-Balance. Vorbildlich, wie Poschner auf die Sänger einging, einen Klangteppich bereitete und niemanden zudeckte. Mit zunehmender Dramatik erfasste aber auch das Orchester der Sturm der Ereignisse.
Davon profitierten das hervorragende Ensemble. Samuel Youn, in seinem Rollendebüt als Holländer, überzeugte rundum: Seine Stimme ist ebenmäßig fest wie sein Schiff, gut verständlich mit fast unwagnerischer lyrischer Kantabilität, selbst in schwierigen Tonlagen. Die Figur des zerrissenen, zur ewigen Verdammnis verurteilten Seemanns gestaltet er eindringlich. Lars Woldt, ebenfalls im Rollendebüt als Daland, überzeugt mit sicher schönem Bassbariton und als seine Tochter verschachernder Vater. Erika Sunnegardh als Senta spielte verhalten distanziert, sang sicher und mit Kraft, wenn auch nicht immer farbig. Jeongki Cho, als Steuermann ebenfalls in einem Rollendebut, verzauberte mit hellen lyrischen Tenor. Thomas Piffka, durch seine Flinten-Requisite behindert wirkend, sang die dramatisch sehr anspruchsvolle Parie des Erik kraftvoll und wohllautend. Diane Pilcher überzeugte als Amme Mary. Auffällig war die gute Textverständlichkeit der Solisten und der Chöre dieser Aufführung. Die Hilfe der Übertitel mußte nur selten bemüht werden. Die prächtige Diktion der Kölner Solisten dürfte vielen Besuchern die Tür zu besserem Verständnis von Richard Wagners Gesamtkunstwerk geöffnet haben.
Eine glänzende Premiere in der erneut ausverkauften Oper Köln. Regisseur Dietrich Hilsdorf bereichert den Holländer-Mythos durch Ausgestaltung der Wagnerschen Urfassung: Böses Ende, alles gut! Das Publikum feierte Ensemble, Regie und Intendant Laufenberg überschwenglich. Diese packende Holländer-Aufführung wird im Mai 2012 noch acht Mal gespielt: An der Oper Köln. Als Einakter, ohne Unterbrechung, ganz im Geiste Richard Wagners. IOCO / Viktor Jarosch / 06.05.2012
---| IOCO Kritik Oper Köln |---