Köln, Kölner Philharmonie, Orchestre Philharmonique du Luxembourg - Gustavo Gimeno, IOCO Kritik, 21.01.2021
Kölner Philharmonie
Orchestre Philharmonique du Luxembourg - Gustavo Gimeno
Mitreißende Klänge - Große Musik aus Luxemburg
von Christian Biskup
Nicht allzu häufig hat man das Glück, in Deutschland das Orchester unseres Nachbarlands Luxemburg zu hören. Am 16. Januar 2022 nutzen rund 750 Besucher die Gelegenheit, das Orchestre Philharmonique du Luxembourg unter Leitung ihres Musikdirektors Gustavo Gimeno in der Kölner Philharmonie zu erleben. Im Gepäck hatten sie ein breites Spektrum ihres Repertoires:
Zu Beginn des Konzertes stand mit Subito con forza von Unzuk Chin eine deutsche Erstaufführung auf dem Programm. Die 1961 geborene koreanische Komponistin nimmt mit dem Werk am „non bthvn projekt“ der Kölner Philharmonie teil, für das verschiedene Komponisten und Komponistinnen um neue Kompositionen gebeten wurden. Alle sollten sich mit den Konversationsheften Beethoven beschäftigen, die er ab 1818 zur Verständigung im Alltag nutzen musste, da er mittlerweile vollkommen taub war. Einzelne Sätze oder größere Passagen sollten als außermusikalische Inspiration dienen.
Unsuk Chin entschied sich für die Zeile „Dur und Moll. Ich bin ein Gewinner.“ Wie die Komponistin selbst im Programmheft erklärt, führten „Beethovens Kommunikationsschwierigkeiten und der Verlust seines Gehörs [...] zu einer inneren Wut und Frustration, die sich möglicherweise in der extremen Bandbreite seiner musikalischen Sprache widerspiegelt, die Emotionen von vulkanartigen Eruptionen bis hin zu äußerster Gelassenheit umfasst.“
So zeigt sich auch die neue Komposition Subito con forza als ein sehr spannungsgeladenes, aufregendes Werk der neuen Musik. Da drängen sich kurze, dekonstruierte Beethovenfragmente zwischen die mächtigen Percussionkaskarden, irisierende Streicherklänge und rasante Läufe im Klavier wechseln sich ab mit kraftvoll rhythmisierten Tuttischlägen. Kurzum: Ein Werk voller Kontraste. Obgleich keine Melodien im herkömmlichen Sinne verwendet werden, ist die Musik keine Kakophonie, tonale Zentren sind vielfach erkennbar. Durch die eruptiven Ausbrüche und ruhigen Täler ist der Spannungslevel der Musik immens. Und wie es sich für ein so schicksalsträchtiges Werk gehört, endet das Werk – gemäß Beethovens 5. Sinfonie – natürlich in einem dunklen c-Moll. Das Publikum scheint die Musik zu schätzen, die Ausführenden und die anwesende Komponistin erhielten warmen Beifall.
Nach dem starken Anfang ging es auch stark weiter: Paganini-Rhapsodie op. 43 von Sergej Rachmaninow stand auf dem Programm. Als Solistin agierte die gerade einmal 28-jährige italienische Pianistin Beatrice Rana, die trotz ihrer jungen Jahre bereits eine äußerst erfolgreiche Karriere aufweisen kann. Konzerte mit Riccardo Chailly, Zubin Mehta, Paavo Järvi und anderen Größen der Musikwelt wie zahlreiche erste Plätze bei Wettbewerben (z.B. Arturo-Benedetti-Michelangeli-Preis, Van-Cliburn-Wettbewerb) zieren ihren Lebenslauf. Kein Wunder, dass sie für die Paganini-Rhapsodie engagiert wurde: sagte doch der Komponist selbst über sein Werk: „Das Ding ist ziemlich schwierig.“ Und das mag schon etwas heißen! Rasante Läufe in Oktavsprüngen, Tonleiterkaskarden, mächtige, große Akkorde. Technisch verlangt das Stück wahrlich viel vom Solisten ab. Beatrice Rana meistert dies alles mit Bravour. Dabei ist ihr musikalischer Sinn gleichwohl ausgeprägt. Ihr akkordisches Spiel ist stark und vehement gegen den großen Orchesterapparat. In den ruhigeren Passagen entwickelt sie eine fein akzentuierte Dynamik, welche die melodischen Bögen wunderbar unterstreicht. Perlend weich fallen die flinken Motive aus, dämonisch hart und unbarmherzig die berühmten Dies-Irae-Passagen. Besonders schön und kitschig-romantisch gelang die 18. Variation, die auch vom Dirigenten Gustavo Gimeno wunderbar ausgekostet wurde.
Dabei ist die junge Pianistin keine Schauspielerin am Flügel. Ihre Bewegungen sind rein sachlich, funktional auf die musikalische Darbietung bezogen. Ein Mienenspiel a lá Lang Lang fehlt glücklicherweise vollkommen. So wurde die Aufführung ein einziger Genuss, wozu auch das sehr engagiert spielende Orchestre Philharmonique du Luxembourg und Gimeno beitrug. Die orchestralen Effekte der Partitur wurden voll ausgekostet, das Zusammenspiel war tadellos. Nach dem originellen komponierten Schluss gab es tosenden Beifall für die Solistin, die mit dem – leider der Stimmung nicht ganz angepassten – Feux d'artifice aus den Preludes von Claude Debussy äußerst virtuos und delikat den ersten Konzertteil beschloss.
Als letzter Programmpunkt stand die Sinfonie d-Moll von César Franck auf dem Programm. Diese einzige Sinfonie Francks, ein Spätwerk des berühmten Orgelvirtuosen, ist eines der ersten Werke, in dem die Themen in einer zyklischen Form durch die Sätze hindurch immer wieder erklingen.
Das düstere Hauptthema des mächtigen Kopfsatzes legt Gimeno als geradezu schicksalhaft, schweres Motiv an, das er auch im Verlauf das Satzes fast schon brutal im vollen Orchester ausspielen lässt. Die Tempi sind insgesamt straff und gut aufeinander bezogen. Da hat man schon deutlich entspanntere Lesarten der Sinfonie erlebt. Sichtlich freudig erklingt das zweite Durthema. Der Schwung des Dirigenten Gustavo Gimeno, ein ehemaliger Assistent Jansons, Haitinks und Abbados, überträgt sich aufs Orchester, das mit viel Verve die zahlreichen Ohrwurmthemen des Satzes präsentiert. Dabei gerät der Orchesterklang nie zu dick, gerade im Blech ist die Transparenz des Klangs beeindruckend.
Im ruhigeren zweiten Satz kommen die Solisten des Orchesters voll zum Zuge, namentlich das Englischhorn mit seiner mittelalterlich anmutenden Tanzmelodie, die durch die Gruppen geführt wird und gerade auch harmonisch oft ungeahnte Wege geht. Gimeno nimmt den Satz zu Beginn äußerst intim und klar. Klanglich sehr durchsichtig, führt er ihn dynanisch, besonders im Scherzoteil, äußerst klar durchdacht weiter.
Im Finalsatz zeigt Gimeno mit seinem Orchester erneut, dass sie ein eingeschworenes Team sind. Freudig, triumphierend legt er das neue Hauptthema an, ohne dessen cantablen Charakter dabei zu übertönen. Den langen Phrasen geht "nie der Atem aus" und sind sehr gekonnt ausgestaltet.
Kurzum: Das Publikum ist nach dem mitreißenden Schluss begeistert und feiert das Gastorchester aus Luxemburg nach Leibeskräften.
Als Zugabe gab es den ersten Satz aus György Ligetis „Concert Românesc“, das mit feurigen Fiddle-Klängen und rasanten Läufen samt einer gehörigen Prise Humor einen mitreißenden Schlusspunkt setzte. Sehr viel Applaus und standing Ovations für das bestens aufgestellte Orchestre Philharmonique du Luxembourg.
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