Kittsee, Sommerfestival Kittsee, Carmen - Georges Bizet, IOCO Kritik, 26.07.2019
Carmen - Georges Bizet
Sommerfestival im romantischen Schloss Kittsee
von Marcus Haimerl
In Österreich, in der nordburgenländischen Marktgemeinde Kittsee, im Dreiländereck Österreich-Ungarn-Slowakei, liegt in einer Parkanlage das namensgebende romantische Barockschloss Kittsee. Nach einer fünfjährigen Pause bildet es seit 2017 wieder die malerische Kulisse für ein kleines, hochwertiges Sommerfestival. Auf der im Schlosshof gelegenen Bühne erlebte das Publikum 2017 Emmerich Kálmáns Czardasfürstin. 2018 erklangen dort mit Le nozze di Figaro von Wolfgang Amadeus Mozart erstmals Opernklänge.
Auch in diesem Jahr entschied man sich mit Georges Bizets Opéra comique Carmen für große Oper. Die Uraufführung von Carmen fand 1875 in der originalen Dialogfassung in Paris statt. Das Libretto nach der 1845 veröffentlichten Novelle Prosper Mérimées stammt von Henri Meilhac und Ludovic Halévy. Mit Carmen schuf Georges Bizet einen Welterfolg und die vermutlich meistgespielte Oper des gesamten Repertoires; 1905 fand an der Opéra-Comique Paris bereits die 1.000ste Aufführung von Carmen statt. Georges Bizet konnte den großen Erfolg seiner Oper nicht mehr erlebn: er starb am 3. Juni 1875, drei Monate nach der Uraufführung von Carmen, im Alter von nur 36 Jahren.
In Kittsee wählte man die Dialogfassung von Carmen, die - mit burgenländischem Lokalkolorit versehenen - deutschen Dialoge stammen von Florian Stanek. Der Werktreue verbunden wird auf Französisch gesungen. Da es keine Übertitelungsanlage gibt, hat man sich bereits im Vorjahr bei Le nozze di Figaro überlegt, die Handlung zwischendurch unterhaltsam erzählen zu lassen.
2019 erzählt in Kittsee der Komponist Georges Bizet die Dialogfassung höchstpersönlich. Da Bizet seinen Erfolg nicht erleben konnte, ist in Kittsee er gefangen zwischen Diesseits und Jenseits und „verdammt“ die Aufführungen seiner Oper Carmen auf der ganzen Welt miterleben zu müssen. Mit geschmackvollem Humor und zeitgemäßen Bonmots erzählt der Komponist vom Schicksal der in einer Zigarettenfabrik (in Kittsee fast schon burlesk „Tschick-Fabrik“ genannt) arbeitenden Zigeunerin Carmen, die von den Männern Sevillas begehrt wird. Als sie den Sergeanten Don José verführt, löst sie schließlich eine letale Kettenreaktion aus. Nach einer Messerstecherei in der Fabrik, an der auch Carmen beteiligt ist, soll José Carmen verhaften, ermöglicht dieser aber die Flucht und geht dafür selbst in den Arrest. Wieder frei schließt er sich gemeinsam mit Carmen einer Gruppe von Schmugglern an. Doch, die Liebe der Zigeunerin gehört bereits einem anderen: sie hat ein Auge auf den Torero Escamillo geworfen, was sie vor José nicht verbirgt. Auch nicht das Bauernmädchen Micaëla, von der Mutter Josés als dessen Braut ausersehen, kann ihn von seiner Besessenheit für Carmen abbringen. Erst als Micaëla ihm offenbart, dass seine Mutter im Sterben liegt, entschließt er José, mit ihr zurück nach Hause zu kommen. Carmen kündigt José ein baldiges Wiedersehen an, das vor der Stierkampfarena in Sevilla stattfindet. Es kommt zur finalen Begegnung: Nachdem José – rasend vor Eifersucht und Bitterkeit – die geliebte Zigeunerin Carmen erstochen hat, lässt er sich bereitwillig festnehmen.
In die Rolle des erzählenden Georges Bizet, der das Publikum schon vor Beginn der Vorstellung unterhält, schlüpft der Wiener Schauspieler und Bariton Johannes Glück, der diesem Part mit authentischem französischen Akzent überzeugend Leben einhaucht.
Für die Regie zeichnet der deutsche Tenor und Regisseur Domink Am Zehnhoff-Söns verantwortlich. In der reduzierten Kulisse, die Arkaden werden von einem in den Farben rot, gelb und blau wie Rauchschwaden bemalten Prospekt bedeckt und eine Statue, Tische und Sessel gehören zur Ausstattung, widmet sich Dominik Am Zehnhoff-Söns intensiv der Personenführung und schafft damit eine ungemein spannende Umsetzung dieser Oper.
In der Titelrolle der Carmen erlebt man die russische Mezzosopranistin Sofiya Almázova. Intensiv, leidenschaftlich und verführerisch, ausgestattet mit sicherer Höhe und kräftiger Mittellage verzaubert sie neben Don José auch das Publikum. Der koreanische Tenor Stefano Hwang singt nicht nur einen soliden Don José mit schönem Schmelz, sondern überzeugt auch in seiner Darstellung, vor allem im Finale.
Intensiv berührend ist die Micaëla der dominikanischen Sopranistin Nathalie Peña Comas in den lyrischen Passagen dieser Rolle, verfügt aber auch über die nötige stimmliche Dramatik. Mit der für die Partie notwendigen Arroganz und voller, kräftiger Stimme überzeugt der kolumbianische Bariton Andres Alzate als Stierkämpfer Escamillo. Ebenso überzeugend als Carmens Freundinnen harmonieren Miki Sasakawa als Frasquita und Stephany Peña als Mercédès. Erstklassig besetzt wurden auch die kleineren Rollen: In einer Doppelrolle als Remendado und Morales erlebt man den charismatischen albanischen Sänger Branimir Agovi, der italienische Tenor Marco Ascani begeistert als Schmuggler Dancaïro und der österreichische Bass Gregor Einspieler setzt mit seinem kräftigen, volltönenden Bass als Zuniga musikalisch und darstellerisch neue Maßstäbe.
Die musikalische Leitung lag, wie auch schon in den Vorjahren in den Händen von Joji Hattori, der als solider Kapellmeister das hochmotivierte Festival-Orchester Kittsee leitete.
Zu den erwähnten Künstlern kommen noch eine große Zahl an Chorsängern, Tänzern und Statisten, die das Bühnenerlebnis gemeinsam mit den großartigen Lichteffekten noch um ein Vielfaches beeindruckender scheinen lassen. Die künstlerische Gesamtleitung lag bei der dramatischen Sopranistin Cathrin Chytil, die gemeinsam mit der Mezzosopranistin Celia Sotomayor und dem Tenor Pavel Kvashnin den Kopf des Ensembles Operavia bildet.
Mit entsprechendem Jubel dankte das hochzufriedene Publikum den Künstlern für einen wahrhaft beeindruckenden Abend eines immer bedeutsamer werdenden Festivals abseits der großen burgenländischen Festspiele. Für das kommende Jahr ist nach Information des Intendanten Christian Buchmann wieder eine Operette geplant. Man darf gespannt sein.
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