Kiedrich, St. Valentinus Kirche, Willibald Bibo und die Kiedricher Orgel, IOCO Aktuell, 01.08.2020
Kiedricher Orgel – Kiedricher Chorknaben
Willibald Bibo, Organist - im Gespräch mit Ljerka Oreskovic Herrmann, IOCO, über St. Valentinus, seine Orgel und einzigartige Kiedricher Chorgesänge
Wenn vom Rheingau die Rede ist, denken viele Menschen zuallererst an die ungemein schöne Kulturlandschaft am Rhein, die Weinberge und das üppige Grün an den Hügeln im Sommer, die Wirtshäuser und Weinschenken und das gesellige Zusammensein – was einfach nur für pure Lebensfreude steht. Wer es aber bei der genussvollen Sättigung allein nicht belassen möchte, für den bietet sich ein Spaziergang an, der alle Sinne beansprucht und herausfordert. Die Rede ist von Kiedrich. Der malerische Ort mit etwa 4.200 Einwohnern besitzt mit der alten Kirche St. Valentinus und Dionysius und ihrer im 15. Jahrhundert entstandenen Orgel ein in weltweiten Maßstäben bedeutendes Kultur-Wahrzeichen.
Der erste karolingisch-romanische Kirchenbau in Kiedrich stammt aus dem 11. Jahrhundert und wurde dem hl. Dionysius geweiht. Valentinus’ Reliquien – eine Schenkung des in der Nähe liegenden Kloster Eberbachs – befinden sich seit dem 14. Jahrhundert in der Kiedricher Kirche, die damit zur Pilgerstätte wurde. Ab 1490 erfolgte das Patronat und als Patron der sogenannten „fallenden Krankheiten“ (wie z.B. der Epilepsie) wird Valentinus verehrt – doch in aller Welt bekannt geworden ist er als Beschützer der Liebenden. Der Valentinstag, immer am 14. Februar, ist nicht nur ein Fest für Blumenhändler, er ist der fest im Kalender vermerkte Anlass, sich die gegenseitig Liebe mittels Blumen zu bekunden.. Früher – auch das sei erwähnt – war der Valentinstag der einzige Tag, an dem Männer mit Blumen beschenkt wurden.
Heute trägt das Gotteshaus auch den Ehrentitel Basilica minor (kleinere Basilica) eine Bezeichnung, die seit dem 18. Jahrhundert vom Papst herausragenden sakralen Bauwerk zugesprochen wird. Es war "unser" Papst Benedikt XVI., der 2010 die St. Valentinus und Dionysius Kirche mit dem Titel Basilica minor auszeichnete. Heutzutage pilgern viele Menschen dorthin. Nicht allein wegen Valentinus – die Kirche zieht auch weniger gläubige Menschen an: Prächtige alte Kirchenbänke zeugen von Handwerkskunst und tief empfundenen Glauben, der Altar mit der Madonnenstatue, die lange Zeit – aus unbegreiflichen Gründen – ausgelagert und vergessen war und von einem englischen Baronet ihren rechtmäßigen Platz in der Kirche wieder erhielt – und natürlich die mächtig-prunkvolle Orgel. Dies ist der „Arbeitsplatz“ von Willibald Bibo, einem der Organisten in Kiedrich. Doch der Reihe nach.
Sir John Sutton - Ein Wohltäter aus England
Wer den Haupteingang wählt, wird sofort die Kirchenbänke bestaunen, die 1510 von Erhart Falckener aus Abensberg in Bayern angefertigt wurden und mit zahlreichen Inschriften und floralen Darstellungen im Flachschnitt versehen sind – es ist ein äußerst selten so vollständig erhaltenes Chorgestühl. Der Mittelgang führt zur Kiedricher Madonna, die auf einer Stele mittig unter dem Lettner aufgestellt ist. Der Künstler ist unbekannt, aber ihre Entstehungszeit dürfte um 1330 gewesen sein. Irgendwann verschwand die Madonna, landete auf einem Speicher – bis ihr „Entdecker“, der eingangs schon erwähnte Baronet Sutton auf den Plan trat. Sir John Sutton (3rd Bt.), 1820 in Sudbrooke Holme, Lincolnshire geboren, kam 1857 während seiner – für englische wohlhabende Adlige üblichen – sogenannten Grand Tour durch Europa nach Kiedrich. Er war begeistert und blieb – nicht nur die Gegend, der Ort, sondern vor allem die Kirche hatte es ihm angetan. Bis heute gilt er als der „Wohltäter der Kirche“ und ganz Kiedrichs. Als Dank trägt die vor St. Valentinus verlaufende Straße seinen Namen. In der Kirche ist er im Chorraum in einem Kirchenfenster – nach seinem Tod verewigt kniend worden; Sutton trat 1855 zum katholischen Glauben über – Organist Bibo ist jedoch sicher, dass Baronet Sutton dies nicht gewollt hätte – er war als bescheidener Mann bekannt.
Damals erstrahlte die Kirche nicht mehr; die große Zeit der Orgelmusik war nicht nur im Rheingau vorbei; Mozart z.B. hat nicht ein einziges Orgelkonzert geschrieben. Zudem fehlte nach dem Dreißigjährigen Krieg Geld für Erneuerungen, so dass auch in Kiedrich die Entfernung der Orgel (um 1800) erwogen wurde. In vielen Kirchen finden sich tatsächlich, nach der Barockzeit, nicht mehr alte Orgeln, sie wurden nicht mehr benutzt und benötigt, waren ruinös und sind durch neue ersetzt worden. „Man hat etwas Gescheites reingestellt“ bringt es Bibo auf den Punkt. Auch der Kiedricher Orgel drohte das Schicksal, aber das mangelnde Geld verhinderte die Entfernung aus der Kirche. Zum Glück! Und ein fast noch größerer Glücksfall war die Ankunft des englischen Adligen. Baronet Sutton war sehr kunstsinnig und bewies einen Sinn für Gotik, war musikalisch talentiert und ein guter Klavier- bzw. Orgelspieler – und erkannte trotz Mängel und schlechtem Zustand die besondere Bedeutung von Kirche und Orgel. Und er scheute die enormen Kosten nicht: Die Restaurierung der alten defekten Orgel, deren Substanz größtenteils erhalten blieb, erforderte einen Gesamtaufwand von 6.000 Gulden!
Heute in Kiedrich - Eine der ältesten spielbaren Orgeln der Welt
Willibald Bibo, einer der Organisten St. Valentinus Kirche ist mit „seiner“ Orgel bestens vertraut: „Das Besondere für mich ist, dass ich diese Orgel von Kindheit an kenne. Ich bin hier geboren, hier groß geworden. Als Kind hier in den Bänken gesessen, habe die Orgel gehört und dann auch schon im Alter von zwölf Jahren zum ersten Mal die Orgel gespielt.“ Und Bibo führt weiter aus: „Ich habe das Glück und das Vergnügen auf dieser besonderen Orgel zu spielen – und das jetzt schon seit sechzig Jahren.“ Die Orgel entstand um oder nach 1500, lange Zeit galt sie als die älteste (gotische) spielbare Orgel Deutschlands, die heutige Sicht fällt differenzierter aus, ihre historische Bedeutung bleibt jedoch unbestritten. Und es mindert nicht im geringsten den Wert dieses Instrument, im Gegenteil: Tatsache ist, so Bibo, dass es sich mit Sicherheit um eine der ältesten spielbaren Orgeln Deutschlands und Europas handelt. Die frühe Verbundenheit mit der Orgel dürfte aber seinem Berufswunsch befördert haben. Der damalige Organist war sein Cousin, der dem - noch - Schuljungen Willibald (Bibo) einfach sagte: „Ich bringe dir das bei, und dann kannst du mir helfen und mitspielen – so bin ich da reingewachsen.“
Von ihm erhielt er den ersten Klavier- und Orgelunterricht, später studierte Willibald Bibo Schul- und Kirchenmusik an der Musikhochschule in Mainz; sein Staatsexamen schloss er in Orgel mit der Note „sehr gut“ ab. Nach seinem Examen übte er zeitweise auch die Lehrtätigkeit als Dozent für Tonsatz und Kontrapunkt (das sind die Grundlagen der Komposition) und für konzertantes Orgel- und Cembalospiel an seiner Heimatuniversität aus. Hauptberuflich war Bibo Gymnasiallehrer, als Oberstudienrat unterrichtete er die Fächer Musik, Deutsch und Latein.
Lateinisches Hochamt der Kiedricher Chorknaben youtube Trailer mywayfilmproduktion [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]
Seit 1333 - Einzigartige Choralgesänge der Kiedricher Chorbuben
Wegbereiter für Andreas Scholl Elisabeth Scholl
Seine musikalische Laufbahn begann er, wie es sich für einen Kiedricher gehört, bei den Kiedricher Chorbuben – sie gestalten während des Choralhochamtes den Gottesdienst musikalisch mit und singen ihre lateinischen Gregorianischen Choralgesänge, daneben auch mehrstimmige Chormusik. Willibald Bibo hat das jahrzehntelang getan. Diese Chorgruppe setzt sich aus Knaben und Männern aus der Gemeinde Kiedrich zusammen und kann auf eine lange und einmalige Tradition zurückblicken. Seit etwa 40 Jahren gehören übrigens auch Mädchen dazu. Allerdings bezeugt Kiedrich auch in dieser Hinsicht Einzigartigkeit: Die Notation und Form des Chorals ist in „Gotisch-Germanischem Dialekt“ – Alt-Mainzer-Fassung – gehalten und wird heute nur noch dort gepflegt; nachweisen lässt sich diese Praxis aber seit dem Jahr 1333 erklingen am 2., 3. und 4. Sonntag. im Monat fast 700 Jahre Kirchen- und Musikgeschichte „In dieser Form wird es weltweit nicht noch einmal gesungen!“ erklärt Bibo bewegt und stolz zugleich.
Auch der große Wohltäter Sutton war davon überwältigt und gründete eine Stiftung – die Choral-Schola und bewahrte die alten Choralcodices für die Nachwelt auf. Die Pflege des alten Chorals führte 1973 den ganzen Chor sogar nach England: Benjamin Britten hatte ihn zu einem Galakonzert eingeladen. Und bei dieser Gelegenheit konnte auch der Wohnort von Baronet Sutton besichtigt werden. „Aus Kiedrich und den Chorbuben sind eine ganze Reihe professioneller Musiker hervorgegangen.“ Hier seien stellvertretend Andreas Scholl (Countertenor), oder auch Elisabeth Scholl (Sopranistin) genannt. Musik „spielt“ im täglichen Leben des Ortes Kiedrich immer eine zentrale Rolle.
„Grundlage unseres Schaffens, darauf baut alles auf, sind die großen Komponisten – sei es Johannes Sebastian Bach oder Heinrich Schütz oder der große Buxtehude und all die anderen. Ohne sie wären wir nicht da, wo wir sind. Ohne Bach schon gar nicht. Ich bin zwar katholisch und in der Tradition aufgewachsen, aber ich bin mit der evangelischen Kirchenmusik und Liturgie genauso verbunden. Ich habe auch oft in evangelischen Gottesdiensten gespielt. Als Kirchenmusiker hat man keine Berührungsängste“, so Bibo.
St. Valentinus Kirche - 500 Jahre alte Orgel
Nebenberuflich ist Willibald Bibo seit 1974 Leiter der Kirchenmusik an St. Jakobus im nahe gelegenen Rüdesheim – es ist seine eigentliche Kirchenmusikstelle. Dort gibt es eine moderne große Orgel, die zwar schön, so Bibo, aber doch anders klingt. Mit der Kiedricher Orgel ist er geradezu – wie er es selbst beschreibt – verwachsen. Die „Liebe“ begann im Januar 1960, als er zum ersten Mal auf der historischen Orgel spielte, seitdem hilft er immer wieder als Organist auf „seiner“ Heimatorgel aus. Derzeit ist er auch „amtierender Organist“, weil die Stelle nicht besetzt ist. Seine Zuneigung ist mit jedem Satz zu spüren und so ähnlich dürfte auch Baronet Sutton empfunden haben: eine große, lebenslange und ansteckende Begeisterung für das alte Instrument mit seinen 1000 Pfeifen. Und auf die Frage, welche Fähigkeiten für diesen Beruf – in Bibos Fall ist es eher Berufung – notwendig sind, nennt er zwei wesentliche Aspekte: genaues Studium der Literatur und freies Spiel. „Zum einen, dass ist ganz, ganz wichtig, dass man sich sehr, sehr intensiv mit den Meistern der Musik, der Orgelmusik, der Komposition beschäftigt, sie spielen lernt und mit Bewusstsein liest. Sie lernen dabei alles für die Praxis im Gottesdienst. Der Organist muss sehr gut nach Noten spielen können, also Literatur spielen können, von Bach, Pachelbel bis Mendelssohn, César Franck und Max Reger, zum anderen muss er in der Improvisation sehr gut sein. Man kann dann quasi aus der Hand spielen, dass ist dann zwar kein Bach, kein Buxtehude, das ist dann eine „Eigenmarke“, aber das muss man auch sehr gut beherrschen – das ist sehr wichtig. Für den sonntäglichen Gottesdienst stimmen sich Zelebrant und Organist immer ab, die letzte Entscheidung trifft stets der Zelebrant.“ Und Bibo bereitet sich auch nach sechzig Jahren Orgelpraxis vor, weil auch etwas gefordert werden könnte, was er nicht so oft spielt.
Die im 15. Jahrhundert um zwei Emporen erweiterte Kirche bot mit ihrem doppelt so hohen Deckengewölbe genügend Platz für eine Orgel, und es entsprach den Usancen der Zeit, (neuerrichtete) Kirchen mit Orgeln auszustatten. Deshalb dürfen die Jahre zwischen 1500 und 1520 als wahrscheinliches Einbaudatum für die Orgel gelten – gleichwohl gibt es keine schriftlichen Dokumente, die diesen Vorgang bezeugen. Aber eine Besoldungsordnung für einen Organisten und einen Calcanten (Balgtreter) von 1533 belegt die Existenz einer Orgel in St. Valentinus. Der Anstellungsvertrag für den Organisten Antonius Maius (Anton May) vom 3. Juni 1595 darf als erste Festanstellung eines Organisten in der Kirche gewertet werden. Willibald Bibo zeigt sich davon ergriffen, in welcher Reihe er sich weiß, dass er an derselben Orgel spielt wie 500 Jahre zuvor schon Anton May vor ihm: „Mir liegt immer viel daran klarzumachen, was auch das besondere an dieser Orgel ist. Sie ist ein kostbares altes Stück, und jedes Museum würde uns darum beneiden, aber sie ist kein Museumsstück. Sie ist bei jeder gottesdienstlichen Feier im Einsatz. So bleibt sie immer ein ‚junges Ding’.“
Die Kiedricher Orgel verfügt über 21 Register auf zwei Manualen und Pedal, die beiden Manuale können durch eine Schiebekoppel verbunden werden. Wie bei vielen alten Orgeln gibt es die sogenannte „Kurze Oktave“ auf den Manualen. Dies bedeutet, dass in der „Großen Oktave“ die Töne Cis, Dis, Fis und Gis nicht vorhanden sind, da man sie in den Stimmungen der früheren Zeit nicht benötigte und deshalb die Belegung der Tastatur veränderte: Die Tasten C, Cis, D und Dis fehlen, auf der E-Taste erklingt C, auf Fis ist es D und auf Gis E. Im Pedal fehlt das große Cis, da man dieses ebenfalls früher nicht einsetzen konnte. Der besonderen Klang, den Bibo hervorhebt, geht auf die Stimmung der Orgel zurück. Ihre Tonhöhe steht einen Halbton über der heutigen Normalstimmung. Und was ihr einen ganz eigenen individuellen und spezifisch-schönen Klang verleiht, ist die „Mitteltönige Stimmung“.
Bis ins 17. Jahrhundert war es Usus, die Orgel mitteltönig zu stimmen. Das hat bezüglich der die Spielpraxis zur Folge, dass Kreuz-Tonarten nur bis A-Dur (E-dur) und B-Tonarten nur bis B-dur (Es-dur) spielbar sind, alles andere darüber hinaus wird als „verstimmt“ wahrgenommen. Kurzgefasst heißt das, C-dur erklingt ganz rein, doch je weiter man sich von dieser Tonart entfernt, erzeugt es „Verstimmungen“ klanglicher Art. Aber die positiven Seiten dieser Stimmung sind, dass die Tonarten mit wenig Vorzeichen besonders schön, edel und unverwechselbar klingen. Bibo: „Diese Besonderheiten in der Stimmung geben der Orgel einen ganz eigenen charakteristischen Klang. Sie kann von zart bis äußerst brillant klingen. Was bei ihr auffällt, ist, dass sie einen sehr farbigen bis brillanten Klang hat. Aber man kann den Klang nicht beschreiben, man muss ihn hören.“
Die prächtig bemalten Flügel der Orgel werden nur noch selten geschlossen, da dieses eines gewissen Aufwands bedarf. Für die Malereien zeichnet der aus Groß-Umstadt stammende August Franz Konrad Martin verantwortlich. Martin wurde 1837 geboren, studierte an den Kunstakademien von Frankfurt am Main und Darmstadt und wurde von Baronet Sutton beauftragt, die Flügel zu bemalen. Sie entsprechen der kirchlichen Ikonographie der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts, und in dem Künstler Martin, dessen Ambition es war, die mittelalterliche Kunst neu zu beleben, fand Sutton den idealen Partner. Eine Untersuchung von 2006 ergab, das sich keine Reste ursprünglicher Darstellungen unter Martins Malereien finden lassen, die von Sutton eingeleitete Orgelrestaurierung fand zwischen 1858 und 1860, so dass dieser Zeitraum auch für Martins Ausführungen zugrunde gelegt werden kann.
St. Valentinus - Kiedrich - Die „kleine“ Orgel
Neben der großen Orgel gibt es im Chorraum ein Orgelpositiv. Es ist eine einmanualige Orgel ohne Pedal und wird zumeist als Begleitung des Chorgesangs in den Choralhochämtern eingesetzt. Auch diese Errungenschaft geht auf Sir John Sutton zurück: 1860 schenkte er dem damaligen Pfarrer, Peter Zimmermann, diese Kleinorgel. Wann sie gebaut wurde – wahrscheinlich um 1680 – ist jedoch nicht belegt. Da bei der damaligen Restauration der Orgel der belgische Orgelbauer Louis-Benoit Hooghuys aus Brügge von Sutton engagierte wurde, spricht vieles für eine Herkunft der kleinen Orgel aus Flandern. Auch in Brügge beschäftigte Sutton den zuvor erwähnten Maler Martin (St. Vivenkapelle und Schloss Lopem). Doch Sutton starb 1873 in Brügge, so dass sich Martin nach neuen Auftraggebern umsehen musste und 1886 endgültig mit seiner Familie nach Kiedrich zurückkehrte. Die Gebeine des Baronets wurden über ein Jahrhundert später, im November 1974, nach Kiedrich überführt. Im Kirchhof befindet sich die Gruft von Sir John Sutton.
Auch nach Suttons Tod waren die Orgel und die wunderbaren Glocken in Gefahr. In beiden Weltkriegen wollte man sie einschmelzen, doch glücklicherweise erkannte man auch in Berlin welch unwiederbringlicher Wert verloren gehen würde. Aber so Bibo: „Die Orgel muss immer wieder in Stand gehalten werden.“ Diesmal war es die Schweizer Orgelbau Kuhn AG in Männedorf, die eine Sanierung in den Jahren 1985-1987 durchführte und die Wartung bis heute vornimmt. Ihre Arbeit ist der Garant dafür, dass die Orgel spielbar bleibt und ihr langjähriger Organist immer wieder mit Begeisterung die Empore zu seinem Arbeitsplatz hochsteigen kann. Der Klang der Orgel kann – Willibald Bibo hat wirklich Recht – nur unzulänglich mit Worten erfasst werden, man muss sie selbst hören – das Kleinod in St. Valentinus. Noch unter dem Eindruck der Klangfülle und verzaubert von seinem Spiel, zitiert er zum Schluss einen auf Latein und Deutsch verfassten „Spruch“ aus dem alten – von Sutton geretteten – Choralcodex von 1714:
„Si cor non orat, vane vaga lingua sonorat. Hinc si numen amas Rhingave! corde canas“ „Mein Rheingauer liebst du Gott, treib im Singen nicht dein Spott, denn umbsonst wendst an die Stund, wann viel singt und Hertz an Mund.“
---| IOCO Portrait |---