Kassel, Staatstheater Kassel, September 2020 - L’ultimo sogno, Der Sturm .. IOCO Aktuell, 30.06.2020
Spielplan - September 2020
Nach Lockdown und Ersatzspielplänen senden wir Ihnen schon jetzt voller Optimismus unsere Spielplanvorschau für September 2020. Mit fünf Premieren, bzw. Uraufführungen und einem prallen Programm rundherum starten wir in eine Spielzeit, die möglicherweise noch so einige Unwägbarkeiten birgt und zugleich die letzte unter Intendant Thomas Bockelmann ist. Einiges am Spielplan hat sich seit der Präsentation im März bereits geändert: So spielen wir die berühmte Verdi-Oper La Traviata nicht in gewohnter Form, sondern bringen mit L’ultimo sogno – Der letzte Traum von Carlo Ciceri eine Annäherung an das Verdi-Werk zur Uraufführung.
Darüber hinaus wird das erste Sinfoniekonzert wird nicht in der Stadthalle, sondern im Opernhaus stattfinden, dort allerdings an vier Terminen.
Der Sturm - William Shakespeare
Fassung von Joachim Lux
Inszenierung: Thomas Bockelmann, Bühne: Sabine Böing, Kostüme: Ulrike Obermüller, Musik: Jens Kilz, Dramaturgie: Michael Volk
Mit Meret Engelhardt (Caliban / Miranda), Christina Weiser (Ariel / Ferdinand) und Jürgen Wink (Prospero)
Der Wissenschaftler Prospero, der sich als Herzog von Mailand statt zu regieren eher dem Studium und den Künsten hingegeben hat, wurde von seinem Bruder entmachtet, mit seiner kleinen Tochter Miranda auf See ausgesetzt und auf eine Insel gespült. Wie viele von Shakespeares magischen Landschaften changierend zwischen Tropenhölle und Paradies (die Kolonialisierungsgeschichte Europas mit den Berichten und Schätzen aus fernen Ländern wirkt hier in die Literatur hinein), ist das Eiland den Neuankömmlingen Experimentierfeld und Spielwiese, ein Ort, an dem der Mensch fernab der Zivilisation ganz von vorne beginnen kann: Macht und Ohnmacht des menschlichen Verstandes im Kräftemessen mit der Natur, deren Teil er doch ist – hier sind alle großen Themen Shakespeares und der Renaissance noch einmal versammelt. Mit Hilfe zweier Wesen, einem poetischen Monster namens Caliban, Sohn einer alten Insel-Hexe, und dem Luftgeist Ariel, gelingt es Prospero eines Tages, einen Sturm zu beschwören, der alle seine Feinde – seinen verräterischen Bruder samt Verbündeten – als Schiffbrüchige in seine Gewalt bringt. Miranda, die noch nicht viel von der Welt jenseits der Insel und somit noch nicht viele Männer gesehen hat, verliebt sich in einen der Gestrandeten: Ferdinand, Prinz von Neapel. Wenn Prospero auf seine Rache verzichtete, wäre die Inselromanze ein erster Schritt für eine allgemeine Aussöhnung …
Shakespeares letztes Stück ist in seiner poetischen, lebensprallen Verspieltheit, seiner Welterkundungslust, seiner Rohheit und zarten Melancholie auch ein Vermächtnis und ein Abschied des großen Theaterdichters.
Premiere: Samstag, 12. September, 19.30 Uhr, Schauspielhaus
Uraufführung - Bär im Universum
von Dea Loher
Inszenierung: Martina van Boxen, Bühne: Michael Habelitz, Kostüme: Esther van de Pas, Musik: Olaf Pyras, Dramaturgie: Julia Hagen
Mit Aljoscha Langel (Benny, ein Eisbär), Amelie Kriss-Heinrich (Polly), Lua Barros Heckmanns (Anni / Ute / Isabella) und Olaf Pyras (Rübe / Livemusik)
Eisbär Benny (mit weichem B!) ist nicht nur die Scholle und damit seine Heimat unterm Hintern weggeschmolzen, er ist auch noch der allerletzte seiner Art – im ganzen Universum. Wenn das mal nicht zum Heulen ist. Um sich selbst vor dem Aussterben zu bewahren, begibt er sich auf die Suche nach einem Eisbärmädchen und trifft Polly (mit Doppel-L!). Polly ist zwar genau wie Benny auch weiß und flauschig, aber leider kein Eisbär, sondern ein Huhn. Während sich Benny und Polly fragen, ob aus Eiern auch kleine Hühnerbärchen und Bärenhühnchen schlüpfen können, melden sich jede Menge Tiere auf Bennys Kontaktanzeige. Sie fliehen vor Buschfeuer und Wilderei, Fangnetzen und schwimmenden Müllbergen, manche haben eine Vorliebe für elektronische Musik und sie alle fürchten sich vor dem Aussterben. Doch mit wem soll man sich paaren, wenn man der Letzte seiner Art ist? Wer weist einem den komplizierten Weg durch Artensterben, Plastikmeere und Waldbrände? Und welcher Stern ist eigentlich der hellste am Himmel? Dea Lohers erstes Kinderstück erzählt einfühlsam und augenzwinkernd von den Unwägbarkeiten unserer Zeit, vom Sichverlieben und Sichverpassen, von Freundschaft und vor allem von Hoffnung. Martina van Boxen, FAUST-Preisträgerin und seit 2019 Leiterin des JUST – Junges Staatstheater Kassel, wird mit dieser Uraufführung unser Programm für junges Publikum eröffnen.
Uraufführung: Sonntag, 13. September, 15 Uhr, tif – Theater im Fridericianum
Der zerbrochne Krug
von Heinrich von Kleist
Inszenierung: Markus Dietz, Bühne und Kostüme: Mayke Hegger, Licht: Christian Franzen, Dramaturgie: Petra Schiller
Mit Bernd Hölscher (Adam, Dorfrichter), Hagen Bähr (Walter, Gerichtsrath), Lukas Umlauft (Licht, Schreiber), Rahel Weiss (Frau Marthe Rull), Christina Thiessen (Eve, ihre Tochter), Uwe Steinbruch (Veit Tümpel, ein Bauer), Sandro Šutalo (Ruprecht, sein Sohn)
Adam, Richter in Huisum, einem fiktiven Dorf bei Utrecht, ist nicht in bester Verfassung: Wunden auf dem Kopf und im Gesicht, der Fuß verletzt, die Perücke abhanden. Adam will beim Aufstehen aus dem Bett gefallen sein. Zwar klingt die Geschichte merkwürdig, doch für detaillierte Nachforschungen bleibt keine Zeit. Es ist Gerichtstag und darüber hinaus hat sich Gerichtsrat Walter angekündigt, der eine (nicht mehr ganz) geheime Inspektion durchführen will. Vor Gericht stehen sich die Familien Rull und Tümpel gegenüber, Corpus Delicti ist ein Krug, der am gestrigen Abend bei Marthe Rulls Tochter Eve zu Bruch gegangen ist. Nun fordert die Mutter Schadensersatz vom Bräutigam Ruprecht, er sei’s gewesen, als er sich unerlaubt in Eves Kammer schlich. Dieser aber leugnet standhaft und möchte die Verlobung mit Eve lösen, da er einen anderen Mann in Eves Kammer ertappt habe, der den Krug zerbrach. Adam indes setzt alles daran, mehr Dunkel als Licht in den Fall zu bringen, verstrickt sich dabei aber selbst immer mehr im Netz der Wörter. Die Einzige, die etwas zur Aufklärung beitragen könnte, schweigt sich über das nächtliche Ereignis aus. Was geschah in den „abgemessnen zwei Minuten“, in denen Adam Eves Hände hielt und schwieg? Der zerbrochne Krug ist die »witzigste, geistreichste, überraschendste Komödie in deutscher Sprache« (Peter Michalzik). Kleist analysiert aber auch Machtstrukturen, deren Missbrauch und Erhalt – wenn Eve endlich zu sprechen beginnt.
Premiere: Freitag, 18. September, 19.30 Uhr, Schauspielhaus
Uraufführung - L'ultimo sogno – Der letzte Traum
Annäherung an La Traviata in einem Akt von Carlo Ciceri / Giuseppe Verdi Text: Francesco Maria Piave, in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Musikalische Leitung: Francesco Angelico, Inszenierung: Bruno Klimek, Bühne: Hermann Feuchter, Kostüme: Tanja Liebermann, Dramaturgie: Christian Steinbock, Choreinstudierung: Marco Zeiser Celesti
Mit Vlada Borovko als Gast (Violetta Valéry), Maren Engelhardt (Flora Bervoix), Lena Langenbacher (Annina, Violettas Dienerin), Giordano Lucà als Gast (Alfredo Germont), Hansung Yoo / Cozmin Sime (Giorgio Germont), Bassem Alkhouri (Gastone, Vicomte de Létorières), Daniel Holzhauser (Barone Douphol) u.a.m.
Für die Pariser Edelkurtisane Violetta Valéry zählen nur der Rausch des Augenblicks und die unbedingte Freiheit, bis sie Alfredo Germont und mit ihm Liebe und Glück kennenlernt. Doch ihr Leben an seiner Seite endet jäh, als Alfredos Vater sie um die Auflösung der Beziehung bittet: Die Zukunft seiner eigenen Familie stünde auf dem Spiel. Schweren Herzens verlässt Violetta Alfredo und kehrt – von der Tuberkulose gezeichnet – in die Halbwelt zurück, der sie sich entflohen glaubte.
Das Staatstheater Kassel hat den aus La Spezia stammenden italienischen Komponisten und Dirigenten Carlo Ciceri beauftragt, eine Neuinterpretation von Verdis berühmter Oper „La Traviata“ zu schreiben, die den Pandemie-Einschränkungen gerecht wird und dabei die musikalische Linie Verdis unangetastet lässt. Dabei instrumentiert Ciceri verschiedene Stimmen aus der Originalpartitur für ein Orchester von rund 20 Musikern mit der Intention, Verdis musikalischem Duktus zu folgen und zugleich neue und individuelle Klangfarben zu schaffen. Der Fokus der durch notwendige Striche straffer gewordenen Erzählung liegt dabei ganz auf der Figur der Violetta, die selbst Opfer der Tuberkulose wird – Opfer einer sogenannten „stillen Pandemie“: Aus dem Rückblick der sterbenden Kurtisane wird das vorherige Geschehen aufgerollt und Violetta träumt im Fieberwahn einen letzten großen Liebestraum. Er ist auch Titel gebend für die Uraufführung des neu geschaffenen Werkes: „L’ultimo sogno“.
Uraufführung: Samstag, 19. September, 19.30 Uhr, Opernhaus
z. B. Philip Seymour Hoffman
von Rafael Spregelburd, deutsche Übersetzung von Klaus Laabs
Inszenierung: Wilke Weermann, Bühne und Kostüme: Paula Wellmann, Musik: Constantin John, Dramaturgie: Thomaspeter Goergen, Video: Christian Neuberger
Mit Eva-Maria Keller, Alexandra Lukas, Marius Bistritzky, Tim Czerwonatis, Enrique Keil, Stephan Schäfer, Artur Spannagel
Ein japanischer Teenager, der in einer Gameshow alles über seinen Lieblingsschauspieler beantworten kann, sogar die Farbe dessen Slips … jetzt, im Augenblick der Show. Sodann ein Schauspieler, der zur Identitäts-Therapie muss, weil er zwar arbeitslos ist, zugleich dauernd für Philip Seymour Hoffman gehalten wird. Und zu guter Letzt kein Geringerer als eben der legendäre Philip Seymour Hoffman, der von einer Produktionsfirma ein überaus seltsames Angebot erhält … Willkommen im magischen Realismus. Drei Handlungsstränge, in denen die Zeit nicht linear verläuft, Kausalitäten höchst subjektiv sind, das Wunderbare alltäglich, das Alltägliche dagegen wunderbar. In Südamerika, bei Jorge Luis Borges etwa oder Gabriel García Márquez, floriert dieses Genre, in dem du die Geschichte schreibst und die Geschichte dich: Transitions in eine Dritte Realität, die Zone zwischen dem echten Wirklichen und dem fiktiven Realen. In diesem Sinne zaubert (oder realisiert) der argentinische Schauspieler, Regisseur und Autor Rafael Spregelburd dieses Tableau absurder, zärtlicher, existentialistischer und verrückter Szenen um einen animierten Flughafen, den hungrigen Godzilla, ein Haus aus Papier, den Prototyp der Kartoffel und: Weihnachten im November! Und natürlich auch »zum Beispiel« – Philip Seymour Hoffman …
Deutsche Erstaufführung: Sonntag, 20. September, 20.15 Uhr, tif – Theater im Fridericianum
KONZERTE - Auswahl
1. Sinfoniekonzert
Anton Webern: 5 Stücke für Orchester op. 10, Ludwig van Beethoven: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 4 G-Dur op. 58, Franz Schreker: Kammersinfonie in einem Satz
Solist: Gerhard Oppitz (Klavier), Musikalische Leitung: Francesco Angelico
Aus der Stille heraus eröffnet das Klavier ganz solistisch das 4. Konzert für Klavier und Orchester von Ludwig van Beethoven. Nach fast sechsmonatiger Zwangs-Stille wird diese Herzmusik im 1. Sinfoniekonzert „wieder zu Herzen gehen“, so wie es Beethoven einmal selbst geschrieben hat. Gerhard Oppitz, der international gefeierte Brahms- und Beethoven-Interpret, wird diese Musik gemeinsam mit Francesco Angelico und dem Staatsorchester wieder zum Leben erwecken. Gleich viermal(!), wird er das Konzert des diesjährigen Jubilars in Kassel zu Gehör bringen.
Anton Webern beschwört in seinen fünf Stücken für Orchester op. 10 seine eigene Welt herauf. In knapp sechs Minuten reduziert er die Musik auf das Wesentliche und erschafft eine intensive Emotionalität, die bis dahin ihresgleichen suchte. Kaum zu glauben, dass er dieses unnachahmliche Werk mit gerade einmal Mitte Zwanzig schrieb.
Franz Schreker, der zu Beginn der goldenen 20er-Jahre als einer der bedeutendsten Opernkomponisten neben Richard Strauss galt und wenig später als „entarteter Künstler“ gebrandmarkt wurde, komponierte seine Kammersinfonie 1916. Das Werk ist eines seiner wenigen Ausflüge in die Welt der „absoluten Musik“ und verbindet die ausklingende Spätromantik mit der aufkommenden Wiener Moderne.
Sonntag, 6. September, sowie Montag, 7. September, jeweils um 17 Uhr und 20 Uhr im Opernhaus
GASTSPIELE UND EXTRAS - Auswahl
Förderverein Kasseler e.V. Jazzmusik präsentiert „Jazz im tif“ zu Gast im Schauspielhaus:
LANDSCAPES
Kongeniale Klangwelten zweier international renommierter Solisten
Markus Stockhausen (Trompete, Flügelhorn) und Ferenc Snétberger (Gitarre)
Markus Stockhausen, einer der wichtigsten europäischen Trompeter mit großer Variationsbreite, hat mit Ferenc Snétberger einen der besten akustischen Gitarristen Europas an seiner Seite. Ihr Duo ist ein Zusammentreffen zweier Charaktere, die auf intuitive Art und Weise miteinander zu kommunizieren wissen – eine spannungsvolle musikalische Gratwanderung im Grenzbereich zwischen Jazz, klassischer Musik und Weltmusik.
Über das Duo (CD „Streams“ '07) schrieb U.Steinmetzger/ Leipziger Volkszeitung): „Diese CD ist ein seltener Solitär, weil zwei Individuen bei sich bleiben, indem sie zueinander finden... Diese Musik hütet sich davor, einfach nur schön sein zu wollen, indem sie sich anbiedert. Sie ist schön, weil sie strahlt, flirrt und etwas zu erzählen hat. Sie ist hochvirtuos, ohne je eitel aufzutrumpfen.“
Sonntag, 6. September, 19.30 Uhr, Schauspielhaus
Theaterstübchen geht fremd – Ersatztermin für den 13. März 2020
Klaus Doldinger’s Passport feat. China Moses
Weltpremiere des neuen Albums - Motherhood
Re-Make oder Neudeutung? Weder noch! In Klaus Doldingers Augen ist sein neues Album Motherhood, das er mit Passport, Gesangsgästen und Solist*innen eingespielt hat, gleichsam Rückblick und Standortbestimmung. „Motherhood“ gab es schon mal, Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre. Allerdings nicht als Albumtitel, sondern als Projektname mit dem vorangestellten Artikel The.
Doldingers besondere Verdienste für Fortbestand und Fortschritt der modernen Musik aus Deutschland sind mehrfach gewürdigt worden. Um mit bald 84 Jahren wieder aufzubrechen und neue Anknüpfungspunkte für seine Komponistenhandschrift zu finden, sei die energetische Standortbestimmung MOTHERHOOD sinnvoll gewesen, erklärt er. Das Publikum muss sich die Sinnfrage hingegen gar nicht stellen. Zuhören, genießen und erkennen zu können, warum Doldinger heute so klingt wie er klingt, ist beinahe ein Segen.
Sonntag, 13. März, 19.30 Uhr, Opernhaus
„… und der Regen rinnt“. Literarisch-musikalische Eindrücke über Theresienstadt
Idee: Jugendchor CANTAMUS, Konzept und Szenario: Sophie Geismann, Clara Neher, Elena Padva, Emma Töppler, Maria Radzikhovskiy
Sara Nussbaum, Ilse Weber, Helga Weissová und Greta Klingsberg fahren zusammen in einem imaginären Zug und unterhalten sich über die Vergangenheit und die Zukunft. Alle vier waren während des zweiten Weltkrieges im Ghetto Theresienstadt. Wir wissen nicht, ob sie einander gekannt haben. Doch jetzt verflechten sich ihre Schicksale in einer literarisch-musikalischer Erzählung.
Montag, 28. September, 19.30 Uhr, Opernfoyer
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