Paris, Opéra Comique, LE DOMINO NOIR - Auber, IOCO

Paris - Opéra Comique: Le Domino Noir ist eine der erfolgsreichsten Komischen Opern des 19. Jahrhunderts, nicht nur in Frankreich, sondern in vielen anderen Ländern. Als Zeichen ihrer großen Verbreitung wurde sie in vierzehn Sprachen übersetzt

Paris, Opéra Comique, LE DOMINO NOIR - Auber, IOCO
Opéra Comique Paris © Sabine Hartl, Olaf-Daniel Meyer

OPÉRA COMIQUE, PARIS - 28.09.2024 - Daniel-François-Esprit Auber: LE DOMINO NOIR (1837) - Komische Oper in drei Akten mit einem Libretto von Eugène Scribe

von Peter Michael Peters

LE DOMINO NOIR - EINE TYPISCH PARISER OPER…

Eine originelle und beliebte Komische Oper…

Le Domino Noir ist eine der erfolgsreichsten Komischen Opern des 19. Jahrhunderts, nicht nur in Frankreich, sondern in vielen anderen Ländern. Als Zeichen ihrer großen Verbreitung wurde sie in vierzehn Sprachen übersetzt. In Paris, hatte sie bis 1911 insgesamt 1195 Vorstellungen (Zahlen von Stéphane Wolff /1904-1980) – alle an der Opéra Comique – und das Annals of opera (1943) von Alfred Loewenberg (1902-1949) berichtete noch 1937 von Aufführungen am Théâtre de la Porte-Saint-Martin.

Flamme vengeresse - Le Domino Noir - youtube Anne-Catherine Gillet

Das erste vollständige Libretto ist für den spanischen Komponisten José Melchor Gomis (1791-1836) bestimmt. Das vorläufige Werk hatte den Titel: Minuit! ou la Nouvelle Cendrillon und als Alternative  Le Mystère, ou la Nouvelle Cendrillon. Die Referenz ist dreifach: Sowohl das Märchen von Charles Perrault (1628-1703) als auch zwei Komische Opern, die 1759 von Jean-Louis Laruette (1731-1792) und 1810 von Nicolas Isouard (1773-1818) komponiert wurden. Da man sich an Letzteres noch im Jahr 1837 erinnert, erscheint ein neuer Titel angemessener. Le Domino Noir unterstreicht die geheimnisvolle Aura der Person, die sich hinter diesem großen Kapuzenmantel verbirgt. Auch wenn das Geschehen vom Karneval auf den Heiligen Abend verlegt wird, sorgt die Erwähnung dieses Kleidungsstücks, das wohl zum Verstecken eines festlichen Ballkleid dient, für einen willkommenen Erwartungs-Horizont in der Komischen Oper.

 Im Jahr 1837 wurde das Libretto für Daniel-François-Esprit Auber (1782-1871), insbesondere den dritten Akt und das letzte Finale, umfassend überarbeitet. Das von Scribe auf diesem neuen Autograph vermerkte Datum „beginnt am 3. Mai 1837“ weist darauf hin, dass Auber mit der Komposition frühestens Ende Mai oder Anfang Juni begann, um für die einige Monate später geplante Uraufführung am 2. Dezember noch rechtzeitig fertig zu sein. In diesem Jahr 1837 planten Scribe und Auber das Werk für die berühmte Diva der Opéra Comique, Laure Cinti-Damoreau  (1801-1863), die sich gerade von einer schweren Krankheit erholt hatte.

Scribe verfügt über ein reiches und vielfältiges Repertoire an dramatischen Techniken. Einige davon werden im Le Domino Noir umgesetzt: Die dialogische Auseinandersetzung mit dem Stück, die Verflechtung von Komik, Ironie und Ernsthaftigkeit, z. B. der Bericht von Angèle de Olivarès über ihre nächtliche Rückkehr vom Ball.

Der 1. Akt von Le Domino Noir ist außergewöhnlich, weil er wie ein Theaterstück mit einem langen Dialog beginnt. Die Handlung spielt während eines Weihnachtsballs in den Gemächern der Königin von Spanien in Madrid. Die Anzahl der neun Charaktere ist beachtlich. In der ersten Szene erscheint ein lächerlicher reicher Engländer, Lord Elfort, ein komischer Typ, den wir bereits in Fra Diavolo (1830) des gleichen Scribe und Auber mit Lord Kokbourg und in der letzten Komischen Oper von Auber Le premier jour de bonheur (1868), mit Sir John Littlepol begegneten. Wie sein Vorgänger zeichnet sich Elfort durch sein fehlerhaftes Französisch und seinen englischen Akzent aus. Die einzigen Interessen, die er auf dem Ball findet, sind sehr prosaisch: Alkohol und Whist. Angeblich war er unbestrittener Meister dieses Spiels in London, wurde aber dennoch von einem, wie er immer bösartig-ironisch sagte: „kleinen spanischen Diplomat“ in diesem Spiel geschlagen… Schließlich ist er auch noch eifersüchtig und war überzeugt, dass  seine Frau in Horace de Massarena verliebt ist.

Le Domino Noir - Szenenphoto - Leo Vermot-Desroches (Juliano), Chor © Stefan. Brion

 Diese alberne Figur hebt die beiden anderen Charaktere Comte Juliano und Horace dadurch mehr hervor, zwei Freunde, die als völlig gegensätzlich anzusehen sind. Juliano betrachtet die Welt mit Distanz und Ironie an, seine Einstellung zur Liebe, zur Ehe – er löscht die Leidenschaft einfach aus - und zum Leben sind pragmatisch. Er kommt nur um viel Spaß an diesem Ball zu haben und nimmt die Romantik von seinem Freund Horace, dessen Glück er dennoch fördern möchte, kaum ernst. Horace ist sehr gutaussehend, bescheiden und ehrlich und vor allem der sensibelste Mann, den man sich vorstellen kann. Das unerwartete Treffen mit seiner Geliebten lähmt ihn mit außergewöhnlicher Emotionen. Ob sie um Mitternacht verschwindet oder später in einem unerwarteten Kontext wieder auftaucht, das grenzt an Wahnsinn! Horace ist das Vorbild des romantischen Träumers, aber ohne das Pathos des romantischen Helden. Seine Unfähigkeit und Passivität machen ihn völlig abhängig von Juliano, desgleichen auch von der damaligen Königin von Spanien, um sein Glück endlich in der Liebe zu finden.

Scribe entwickelt mit viel Ironie die Neigung der Figur zum Übernatürlichen. Als Juliano ihn fragt, ob er an Erscheinungen glaubt, antwortet Horace: „Warum nicht? Jetzt, wo wir die Inquisition nicht mehr haben, können wir ohne Gefahr an Magie, an Hexerei glauben.“ Das Irrationale erscheint in dämonischer Form im 2. Akt, als Angèle wie ein „schwarzer Geist“ in Julianos Zimmer erscheint und dort Gil Perez zum Zittern bringt.

Die Hauptrolle der Angèle ist ebenso attraktiv wie auch anspruchsvoll! Im 2. Akt ist eine wirkliche Schauspielkunst erforderlich, die in der Lage ist, die Stufen zu überwinden, die den Ausdruck intensiver Angst von der Gereiztheit trennen, die für die Interpretation der spanischen Jota begleitet von den erforderlichen Kastagnetten ist. Die Rolle ist wie geschaffen für die talentierte Diva Cinti-Damoureau, die Hector Berlioz (1803-1869) für ihre bewundernswerten „Fähigkeiten und ihren Geschmack“ lobte. Angèle kommt in den meisten Musikstücken vor. Sie singt die Romanze: „Le trouble et la frayeur“ im Trio des 1. Akts, das Couplet: „Qui je suis?“ Une fée“,  das aragonesische Rondo (Jota) und die Cavatinen: „L’heure, la nuit, tout est propice“ und : „Mes chère soeurs“. Mehrere ihrer Arien werden in Ensembles platziert. Und sie nimmt an drei Duetten mit drei verschiedenen Männern sowie an allen Ensembles teil. Aber es ist Brigitte de San Lucar, die in ihren Couplets des letzten Akts das Geschwätz: „On jase tant“ und die Koketterie der Nonnen: „Être à la fois prude et coquette… cela s’apprend du couvent“ lächerlich macht.

Le Domino Noir - Szenenphoto mit Cyrille Dubois (Horace), Anne-Catherine Gillet (Angèle) und Chor © Stefan Brion

 Mit seinem 3. Akt steht Le Domino Noir in der revolutionären Tradition antiklerikaler Stücke, die das Leben in Klöstern in einem wenig schmeichelhaften Licht erscheinen lassen, wie etwa an der Opéra Comique: Les Rigueurs du cloître (1790), ein lyrisches Drama von Henri-Montan Berton (1767-1844) oder Les Visitandines (1792), Komische Oper von François Devienne (1759-1803), die 1825 und 1830 wiederbelebt worden. Die Kritik von Scribe ist weniger grob, da er sich damit begnügt, die Schwächen und Intrigen einiger Einzelner darzustellen, ohne sie auf die gesamten religiösen Institutionen auszudehnen. Auch wenn sein Kloster tatsächlich ein Ort der Eifersüchteleien und unangenehmen Gerüchten ist,  jedoch die betreffenden Personen sind mehr als lächerlich: Der Pförtner des Klosters, Gil Perez, eine Art unhöflicher und unsympathischer Tartuffe (1669), Titelfigur eines Dramas von Jean-Baptiste Poquelin, genannt Molière (1622-1673) oder auch die Schwester Ursule,  obwohl völlig inkompetent, verweigert sie an Angèle jegliche Fähigkeit einer Äbtissin des Klosters zu werden. Gesellschaftskritik geht immer mit Humor und Ironie einher! Angèles szenisches Spiel, die Komik der einzelnen Charaktere und der vielen Situationen, die nicht völlige Dunkelheit, erinnert auch ein wenig an das letzte Finale aus Le nozze di Figaro (1768) von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791).

Wie üblich ergeben sich durch den Kompositions-Prozess Änderungen an den Texten der Arien und Duette, die zum Singen vorgesehen sind. Die Cavatine: “Dans l’ombre et le mystère„ wird durch: „Qui suis-je? Une fée“ ersetzt, deren Text Scribe später unter bereits komponierter Musik neu schrieb. Tatsächlich entwirft Auber oft Melodien, ohne die Texte des Librettisten zu respektieren und manchmal geht er so weit, die Musik einer originalen Melodie zu komponieren und dann einen prosodischen Rahmen für Scribe bereitzustellen, der sich genau an die stimmlichen Anforderungen anpassen muss. Auber ersetzt außerdem den im 2. Akt des autographischen Libretto vorgesehenen Fandango durch einen Cachucha, einen andalusischen Tanz, der durch die außergewöhnliche Tänzerin Fanny Eissler (1810-1884) in Le Diable boiteux (1836) in Mode gebracht wurde, ein Ballett von Jean Coralli (1779-1854) zu der Musik von Casimir Gide (1804-1868), uraufgeführt an der Opéra Royale. Diese Abläufe und Arrangements während der Komposition sind typisch für die Scribe-Auber-Zusammenarbeit.

Le Domino Noir - Szenenphoto mit Marie Lenormand (Jacinthe) © Stefan Brion

Auber bewies in Le Domino Noir seine außergewöhnliche Begabung als Musikdramatiker. Dies zeigt sich bereits in der ersten Nummer der Partition, einem Trio in dem er verschiedene Genres zusammenführt: Am Anfang ein kurzes gesprochenes Melodrama mit Orchestermusik, dann ein Dialog und ein Trio, in dem der melodische Stil der Soprane in Koloraturen zum Ausdruck kommt und die schrillen Triller stehen im Gegensatz zur Silbenaussage. Angèles Cavatine: „Le trouble et la terreur“ stellt sich der Bolero von Brigitte entgegen, vor dem letzten Finale mit Trio. Der für das Salonorchester der Königin vorgesehene Kontratanz wird von einem hinter den Kulissen verborgenen Bühnenorchester ausgeführt. Die theatralische Wirksamkeit einer solchen Verräumlichung wird im 2. Akt erneuert: Ein Bühnenorchester und das Graben-Orchester werden getrennt, um einen Militärmarsch darzustellen, der außerhalb der Sichtweise zu hören ist und das sich langsam zersetzt, wenn sich die Garde entfernt. Und im 3. Akt deklamiert Horace auf der Bühne, während hinter den Kulissen der „Lobgesang mit Chor“ von Angèle und den Nonnen erklingt. Die geistliche Musik umhüllt genau diesen Akt des Klosters mit weißen Synkopen der Ritornelle von Brigitte „Au réfectoire“, dem von der Orgel begleiteten Lobgesang und dem Chor der Nonnen. Diese ernste Seite, die Aubers Muse annehmen kann, manifestiert sich vom Beginn des Werks, z. B. im Moll-Teil der Ouvertüre, dann in Adèles Cavatine „Le trouble  et la frayeur“ und erneut in der Kavatine von Horace: „Amour, viens terminer mes tourments“.

Die spanischen Farben, die in der Ouvertüre vorhanden sind und unter anderem auch das Motiv des ersten Duetts und des Aragonesen zitiert, zieht sich durch die gesamte Partitur. Hispanismen treten in vielen Formen von Tonwiederholungen, Chromismen, Verwendung des Moll-Modus, überflüssigen Sekunden im Orchester, in vielen Triolenketten und typischen melodischen Verzierungen auf. Diese Eigenschaften konzentrieren sich auf das arogonesische Chanson: „La belle Inès“, eine Art Nachahmung des Jota, mit den Rufen „Ah!“ und die Orchestrierung kombiniert Triangel, kleine Flöte und Kastagnetten. Unter dem Titel „La Gitana“ oder „El jaleo de Jeres“ wird der zweite Teil der großen Koloraturarie vervollständigt und natürlich besonders mit dem Höhepunkt von Angèles Arie „Flamme vengeresse“, die europaweit zu einem Riesen-Hit wird! Berlioz bestätigt, dass diese Melodie bereits in einem pas de deux während einer Wiederaufnahme von La Muette de Portici (1828) verwendet wurde und er schätze sie sehr als authentisch spanisch. Mit seinen musikalischen Hispanismus begründete Auber die große Mode für die spanische Musik und deren Inspiration. Viele französische Komponisten der folgenden Generationen vertieften diese spanische Idee: Georges Bizet (1838-1875), Emmanuel Chabrier (1841-1894), Édouard Lalo (1823-1892), Jules Massenet (1842-1912), Claude Debussy (1862-1918) und Maurice Ravel (1875-1937).

Le Domino Noir - Szenenphoto mit Anne-Catherine Gillet (Angèle) et Cyrille Dubois (Horace) © Stefan Brion

 Wie in anderen Komischen Opern wurden je nach dramaturgischen Bedürfnissen unterschiedliche Chorbesetzungen eingeführt: Männerchor mit zwei Tenören und Bass für die Soldaten (1. und 2. Akt), Frauenchor mit Sopran und Alt oder zwei Soprane für die Nonnen (3. Akt) und zwei Soprane, zwei Tenöre und Bass im letzten Finale begleiten das Solisten-Septett. Die Finale der Akte basieren auf drei spezifische Formeln. Der erste mit etwa 400 Takten lange und mit mehreren Tempowechsel versehene Satz ist ein Duett zwischen Horace und Angèle, das mit der Flucht von Angèle endet. Die zweite dramatischere und abwechslungsreichere enthält mehrere Solo-Arien, darunter „Nous allons avoir grâce“ Couplet von Gil Perez, „L’heure, la nuit, tout m’est propice“ Cavatine von Angèle und die bereits erwähnte Cavatine von Horace. Das letzte besteht ungefähr aus einem tutti, von dem Berlioz sagte: „Ein Satz voller Energie, bin erstaunt über die Stimmen in Oktave und Unisono“ und der auch Auber sehr lobte.

 Laut Berlioz schrieb Auber „…zu diesem etwas riskanten und unwahrscheinlichen, aber lebhaften und amüsanten Stück eine seiner schönsten Partituren […] Ja, wir erkennen an, dass Monsieur Auber es tut, aber es ist genau das, was am meisten passend für eine Komischen Oper ist. Ja! Sein Stil hat in diesem Werk keine Veränderung erfahren. Aber dieser Stil ist leicht, hell, fröhlich, oft voller pikanter Projektionen und koketten Absichten. Fast die gesamte Rolle für Madame Damoreau-Cinti ist mit entzückender Leichtigkeit und Anmut geschrieben. Die Arien „Deo gratias“ erschien für alle außerordentlich komisch zu sein! Der Nonnen-Chor im dritten Akt ist vielleicht eine von Monsieur Aubers glücklichsten Ideen. Es ist bezaubernd auf der Bühne und auch das musikalische Ergebnis ist  köstlich“. Der Kritiker von France Musicale ist begeistert von der Musik „…sprühend vor Geist, sehr angenehmen Versen, mit Zartheit geschriebene Romanzen“ und er hält auch den Chor der Nonnen für „das vielleicht beste und komischste Musikstück, das wir im Moment kennen“.

 Im Jahr 1842 erzielte Damoreau-Cinti großen Erfolg in der Rolle der Angèle in Saint-Petersburg. Noch 1875 lobte der berühmte österreichische Kritiker Eduard Hanslinck (1825-1904) in Die moderne Oper Le Domino Noir, der inzwischen fast auf allen Bühnen in Deutschland gespielt wurde, in den skandinavischen Ländern, sowie in England usw. und erwähnte seine „Brillanz, seine Fröhlichkeit und seinen ritterlichen Stil“. Der außergewöhnliche internationale Erfolg von Le Domino Noir zeigt sich sowohl in seiner Präsenz in den Programmen der Opernhäusern als auch in den sehr zahlreichen Editionen seines Librettos und seiner Partitur, die nicht nur für die Theater, sondern auch für den Gebrauch in bürgerlichen Salons verwendet wird. Es gibt sieben französische Ausgaben für Stimme und Klavier, acht zweisprachige deutsche Ausgaben mit vollständigem Libretto, vier italienische Übersetzungen, drei englische und eine russische. Die Bearbeitung von Melodien und Arien aus Le Domino Noir, die sowohl für Amateure als auch für Kammermusik-Ensemble gedacht sind und in ganz Europa und den USA veröffentlicht wurden, sind sehr zahllos. Der Verlag Troupenas hat eine Gesamtfassung der Oper für Streichquartett veröffentlicht, was auf eine sehr starke Nachfrage hinweist.

 Durch den Stil, den er in seinen komischen Opern verwendet, steht Auber in der Tradition von André-Ernest-Modeste Grétry (1741-1813), Pierre-Alexandre Monsigny (1729-1817), Domenico Della Maria (1769-1800) und durch sein musikalischen Schreiben in der Tradition von Franz Joseph Haydn (1732-1809), eher denn Ludwig van Beethoven (1770-1827), Gaspare Luigi Pacifico Spontini (1774-1851) oder Giacomo Meyerbeer (1791-1864). Die Ironie und der Humor gemischt mit Sarkasmus charakterisieren Le Domino Noir und präsentieren sich als wahre Antithesen zum Pathos und der großen emotionellen  Romantik von Berlioz. Es besteht kein Zweifel, das Scribe und Auber die Vitalität der anderen Seite der Romantik bekräftigen wollten: Lächelnd, populär und unterhaltsam, nur ein brillantes Werk wie Le Domino Noir kann sich noch heute rehabilitieren...

Le Domino Noir - Szenenphoto mit Victoire Bunel (Brigitte), Leo Vermot-Desroches (Juliano) und Anne-Catherine Gillet C © Angèle, Stefan Brion

 

LE DOMINO NOIR - Wiederaufnahme- l’Opéra Comique Paris - 28.9.2024:

 Der Geist von Auber weht im Salle Favart…

Die überaus erfolgreiche Wiederaufnahme von Aubers Komischer Oper Le Domino Noir ist wohl im weiten Maße der geistreichen und humoristischen Inszenierung der beiden talentierten französischen Regisseure Valerie Lésort und  Christian Hecq, Sociétaire de la Comédie Française, zu verdanken. Ein paar kleine stimmliche Schwächen tun dem unwahrscheinlichen Erfolg dieser brillanten Inszenierung keinen Abbruch!

 Auber wird in Paris selten geehrt. Dies ist ein Paradox angesichts des großen Erfolgs, den er in seiner Zeit in Frankreich und in ganz Europa hatte und der Tatsache, dass er sowohl von Berlioz und Richard Wagner (1813-1883) sehr gelobt wurde. Liegt es an dem Genre der Komischen Oper, das vom heutigen Publikum oft sehr verachtet wird? Man vergisst nebenbei, dass Auber auch eine große Oper komponierte: La Muette de Portici für die Pariser Oper! Gérard de Nerval (1808-1855) betonte seinerzeit die Mehrdeutigkeit des Genres: „Was ist denn eine Komische Oper?“ […] Ist es eine Farce-Oper […] oder vielmehr: Ist es überhaupt keine Oper?“ was darauf hinauslief zu sagen, dass wir uns im Genre des Theaters sehr weiterentwickelt haben, aber jedoch im Genre der Lyrik noch immer sehr verschlossen sind und dass somit dies auch heute noch beunruhigend sein kann. Liegt es daran, dass seine Musik im Vergleich zu seinen Zeitgenossen wenig schmeichelhaft ist, sowohl Meyerbeer, der sich bald als König der großen französischen Oper behaupten wird als auch Gioachino Rossini (1792-1868) und später auch Jacques Offenbach (1819-1880), der absolute Referenzen auf dem Gebiet der Komischen Oper etablierte? Liegt es auch daran, dass die Dialoge ein wenig veraltet wirken und die Argumente der Librettos weniger ätzend sind als andere Werke: Die sich teilweise subversiv-satirisch sehr in ihren politische Kontext eingeschrieben haben?

 

Und doch ist Le Domino Noir eine der zweiundzwanzig Opern des Komponisten, die er mit dem großen Librettisten Scribe zusammen erarbeitete und der auch der Ursprung zahlreicher anderer Librettos für Rossini, Halévy, Meyerbeer und Offenbach war.

 

Genau dieses brillante Libretto ist ein Musterbeispiel seiner Art! Trotz der Fülle an Charaktere bleibt die Handlung stets klar und ausreichend straff. Es ist selten, dass in einem lyrischen Werk eine solche Spannung über die Identität  einer Figur herrscht: Eben die von Angèle, die nach vielen Vermutungen seitens Horace erst im 3. Akt endlich enthüllt wird. Die Abenteuer sind voller Witz und Ironie geregelt!  Horace, der vorgibt zu schlafen, aber eingreift, als Angèle und Brigitte über ihn reden. Das perfekt geregelte Hin und Her zwischen Backstage und Schauplatz des Geschehens – der Maskenball im 1. Akt, die Küche, das Schlafzimmer im 2. Stock. Die Varieté-Seite der Parade in Jacinthes Zimmer oder Angèles Rückkehr ins Kloster usw. Bis hin zu einer komischen und abgelenkten Anspielung auf Aschenputtel, die mit Perault und auch mit den Gebrüdern Grimm: Jacob Grimm (1775-1863) und Wilhelm Grimm (1786-1859) Pate steht, unterstreicht das Ganze die Intelligenz dieses komischen Werks, indem die politischen Hintergründe mit einem klimpernden Auge und einem verschmitzten Lächeln behandelt werden: Die „katholische“ Königin von Spanien, der „ketzerische“ Engländer Elfort und ein äußerst bescheidener Antiklerikalismus, der während der Juli-Monarchie aktualisiert wurde, hervorgehen…

 Eine der großen Stärken der Aufführung ist die Art und Weise, wie Lesort und Hecq drei völlig unterschiedliche Farbgebungen verarbeiten konnten und sich dabei auf die Qualität des Textes verlassen konnten, ohne diesen jemals zu beeinträchtigen. Sie verstanden es zu veranschaulichen, ohne zu verraten und zu aktualisieren, ohne das aus den Augen zu verlieren, was Auber einzigartig macht. Das ist bei der französischen Kostümbildnerin Vanessa Sanninos die farbenfrohen und oft urkomischen Kostümen der Fall, ebenso wie bei der Szenografie des französischen Bühnenbildner Laurent Peduzzi, in denen kein Detail fehlt, das die komische Entwicklung der Geschichte unterstützt. Aber auch die lustigen extravaganten und überaus extremen Bewegungen und Choreografien der französischen Choreografin Glysleïn Lefever, menschliche Trompe-l’oeil und Marionetten von Lesort und der französischen Designerin Carole Allemand. Alle beteiligten Sänger waren außerdem großartige Schauspieler und dass unter der fachlichen Führung der beiden Regisseure.

 Lediglich die teilweise schrillen klirrenden hohen Töne könnten bei uns zu einem Vorbehalt führen, natürlich besonders dann, wenn es bei dem sonst so hochkarätigen französischen Tenor Cyrille Dubois als Horace vorkommt. Vielleicht sollte er sich ein wenig mehr schonen! Keine zu schweren Partien für seinen Stimmumfang! Denn hier muss er seine stimmlichen und szenischen Mittel besonders anstrengen, um die Jagd nach seinem „schwarzen Dominostein“ als der aus Bahn geratenen Liebhabers zum Ausdruck zu bringen.

 Andererseits wenn die belgische Sopranistin Anne-Catherine Gillet als Angèle diese geheimnisvolle Figur mit großem Schalk porträtiert und auch die Duette und Arien mit viel Elan vorträgt in der Begleitung der hervorragenden französischen Mezzo-Sopranisten Victoire Bunel als Brigitte, fehlt es der Stimme doch manchmal an Farbe. Und auch fällt es ihr schwer, dem sehr anspruchsvollen Spektrum zu folgen, das für die große Damoreau-Cinti geschrieben wurde und von Sumi Jo in der Aufnahme von Richard Bonynge (*1930) verewigt wurde. Dies gilt weniger für „La belle Inès fait Florès“ im 2. Akt als vielmehr für die virtuose Arie des 3. Akts „Je suis sauvé […] „Ah! Quelle nuit“ […] „Flamme vengeresse“.

 

Der französische Tenor Léo Vermot-Desroches vermittelt Comte Juliano auf brillante Weise die ganze Lebhaftigkeit des parteiliebenden Freundes, der sich kaum um Horaces Wahnvorstellungen kümmert. Die französische Mezzo-Sopranistin Marie Lenormand  spielt eine Jacinthe von burlesker Perfektion, die ans Erhabene grenzt und zur Noblesse der Idee der Komischen Oper beiträgt. Der französische Bariton Laurent Montel als Elfort wäre nicht davon entfernt, das gleiche Niveau zu erreichen, wenn er einmal sparsamer mit einfachen komischen Effekten umgehen würde.

 Als Ursule erinnert die französische Schauspielerin Sylvia Bergé, die den Charakter einer unflexiblen Nonne, aber mit selektiver Wut verkörpert, an die Vielseitigkeit der großen Künstler der mythischen Comédie Française. Schließlich erfreuten wir uns an dem französischen Bass Jean-Fernand Setti in der Rolle des Gil Perez, indem wir seine wunderschöne schwarze samtige Stimme entdeckten.

 Um den Erfolg zu vervollständigen brauchte man einen Dirigenten im Orchestergraben, der dieses Repertoire liebte und auch kannte. Dies war der Fall mit dem neuernannten Direktor der Opéra Comique, der sehr talentierte französische Dirigent Louis Langrée, der es versteht dem Orchestre de Chambre de Paris einen eleganten Klang zu verleihen und der nie den sorgfältigen Stil aus den Augen verliert, der notwendig ist um dieses Herzstück der Komischen Oper wieder zum Leuchten zu bringen. (PMP/08.10.2024)