Hannover, Staatsorchester Hannover, 2. Sinfoniekonzert - Trauer und Versöhnung, IOCO Kritik, 13.11.2021
Staatsorchester Hannover - 2. Sinfoniekonzert
- Monumentale Trauerbewältigung -
von Christian Biskup
„Trauer & Versöhnung“ lautete am 7.11.2021 das Motto des vom Staatsorchester Hannover gespielten, zweiten Sinfoniekonzerts in der Staatsoper der Niedersächsischen Landeshauptstadt. Auf dem Programm stand das Konzert für Viola und Orchester von Bela Bartók sowie die zweite Sinfonie Asrael des tschechischen Komponisten Josef Suk. Obgleich das Motto sicherlich in erster Linie auf die Konzeption der Sinfonie zutraf, ist auch das Solokonzert mit einem Todesfall verbunden.
Der Bratschist William Primrose bat den bereits schwer kranken Bela Bartok um ein Solistenkonzert. Obgleich der Komponist in großer Geldnot war, schlug er das Angebot aus. Schon bereits kurz vorher fertiggestellte Werke waren für Bartok wie ein Wettlauf gegen den Tod. Nachdem er den Auftrag doch angenommen hatte, komponierte er das Werk innerhalb von drei Monaten, bevor er als Verlierer aus dem Rennen hervorging. Am 26. September 1945 starb Bartók und hinterließ dreizehn eng beschriebene Seiten für das Violakonzert. Sein Schüler Tibor Serly nahm sich der Instrumentation und Bearbeitung an, sodass 1949 schließlich – mit dem Auftraggeber Primrose – die Uraufführung vorgenommen werden konnte. Seitdem gehört das Werk zu den bedeutendsten Vertretern seiner Gattung.
Für den Solistenpart wurde der Bratschist Nils Mönkemeyer engagiert. Als Exklusivkünstler bei Sony und Professor an der Hochschule für Musik und Theater München, gilt er als einer der herausragenden Instrumentalisten für die Viola. Leider hatte er wohl keinen besonders guten Tag. Manche Töne sprachen nicht an, allzu oft wurde der Expressivität wegen der Klang vernachlässigt. Erst ab dem zweiten Satz vermochte er durch sein inniges Spiel überzeugen. Geradezu samtig weich und strahlend gelang dieser Ruhepol zwischen den verzweifelten Kopfsatz und dem rasanten Finale. Grandios virtuos und rhythmisch prägnant konnte er im Finalsatz auftrumpfen, der unverkennbar von Bartoks ungarischer Herkunft beeinflusst war und volksmusikalische Motive aufgreift. Nach dem mitreißen Schluss anerkennender Applaus. Als Zugabe spielte Mönkemeyer eine Sarabande von Bach, ein schlichtes, inniges Stück, dass wunderbar in die Konzeption des Programmes passte, musikalisch herausragend dargeboten wurde und vor allem den puren Schönklang einer Viola offenbarte. Viel Applaus.
Nach dem 25-minütigen Solistenkonzert stand mit der 2. Sinfonie Josef Suks das Hauptwerk des Abends auf dem Programm. Obgleich Suk noch immer ein großer Unbekannter ist, gewinnt seine Musik stetig mehr Platz auf den Konzertprogrammen europäischer Orchester – nicht zuletzt mit seiner monumentalen zweiten Sinfonie.
Geboren in der Nähe von Prag, wurde er später ein Schüler Dvoraks, dessen Schwiegersohn er auch wurde, als er dessen Tochter Otilie heiratete. Anfangs auch musikalisch von Stil seines Lehrers beeinflusst, fand er erst in der Asrael-Sinfonie zu einer eigenständigen Tonsprache. Asrael ist der Name eines Todesengels und wurde zum Beinamen der Sinfonie. Anfang 1905 konzipiert, war die Sinfonie dem Andenken des 1904 verstorbenen Schwiegervaters Dvorak gewidmet. Als seine Ehefrau nur ein Jahr später starb, wurde die Sinfonie erweitert und auch ihr gewidmet. Im Oktober 1906 fertigestellt, entstand ein Werk voll dramatischer Wucht, großer Dichte und eindrücklicher Atmosphäre. Oft wird das Werk mit den Sinfonien Gustav Mahlers verglichen, obgleich doch große Unterschiede herrschen. Im Gegensatz zu Mahler ist Suks Musik absolut und frei von volkstümlichen Einflüssen und fokussiert auch nicht so sehr die emotionalen Steigerungen. Auch kann Suk nicht als großer Melodiker bezeichnet werden. Dennoch gelingt es ihm – überaus prächtig und gekonnt instrumentiert – eine Stimmung, eine Atmosphäre zu schaffen, die ganz von verzweifelter Trauer erfüllt ist. Erst in den letzten Takten klärt sich die Musik zu einem strahlenden Dur-Klang auf, der nach fast 60 Minuten Moll-geprägter Musik wahrlich erlösenden Charakter hat.
Die Aufführung, die erste dieses Werkes in Hannover, gelang dem Staatsorchester unter Leitung des Dirigenten Tomáš Netopil ausgezeichnet. Netopil, aktuell Generalmusikdirekter des Aalto Musiktheater Essen und erster Gastdirigent der Tschechischen Philharmonie, ist ein erklärter Fan der Sinfonie, die er auch bereitgs mit seinem Hausorchester für Oehms Classics aufgenommen hat. Dies merke man der Aufführung auch an. Sicher und präzise führte er die Musiker durch die schwierige Partitur. Besonders eindrucksvoll gelang der erste Satz. Die eruptiven Klangausbrüche entfalteten eine dramatische Wucht, die auch voll ausgekostet wurde. Wuchtig, aber nie grob konnte man die Schicksalsschläge Suks in der Musik nachvollziehen.
Welch ein Kontrast bildete da der zweite Satz. Äußerst schlicht und transparent agiert der Streicherapperat unter dem unendlich langen, geradezu schwebenden Ton der Trompete. Mitreißend hingegen das Scherzo, ein wahrer Totentanz, dessen Mittelteil sich zu einem leidenschaftlich-lyrischen Walzer entwickelt, der auch mit Verve dargeboten wurde. Der vierte Satz, den Suk ausdrücklich seiner Frau widmet, vereint liebende Wärme und zerreist doch fast unter dem Schmerz des Verlustes, was Netopil fein ausdifferenziert erklingen lässt. Das Finale nimmt zu Beginn wieder das wuchtige Drama des Kopfsatzes auf (tolle Paukensoli!), endet jedoch in warmen, versöhnlichen Dur-Klängen, als sei die Trauerzeit bewältigt wurden. Suk selbst schrieb dazu an einen Freund: „Weißt du, was ich durchmachen musste, bis ich dieses letzte C-Dur erreichte? Nein, es ist kein Werk des Schmerzes – sondern ein Werk übermenschlicher Kraft.“ Trotz aller Heftigkeit und einer gewissen Molllastigkeit überwiegt doch die optimistische, versöhnliche Botschaft des Schlusses. Das Publikum stand dem Werk ausgesprochen offen gegenüber. Viel Applaus für das bestens einstudierte Orchester und den fein empfindenden Dirigenten.
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