Hannover, Staatsoper Hannover, TRIONFO - Vier letzte Nächte - nach G. F. Händel, IOCO Kritik, 22.09.2020
TRIONFO - Vier letzte Nächte - nach G F Händel
- Die Zeit breitet im verborgenen ihre Flügel aus... -
von Christian Biskup
Trionfo - Vier letzte Nächte: so der Titel der ersten Opernproduktion im großen Haus der Staatsoper Hannover. Diese, auf einem eher unbekannte Händel - Oratorium nach einem Libretto des Kardinals Benedetto Pamphili basierend, entwickelte sich dank des dramatischen Musikgehalts und der Inszenierung von Elisabeth Stöppler zu einem nachdenklichen Opernabend.
Die Entstehungsgeschichte des Werkes ist schon kurios. Nach einem Erdbeben im Jahr 1703 durften in Rom für fünf Jahre keine Opern aufgeführt werden. Zu lasterhaft erschien dem Papst das Leben der Stadt – und scheinbar auch die Gattung Oper. Da jedoch Georg Friedrich Händel im Jahr 1707 – gerade einmal 22 Jahre alt – in Rom weilte, mussten stattdessen eben Oratorien komponiert werden. Eines davon ist Il trionfo del Tempo e del Disinganno - Der Triumpf von Zeit und Erhellung. Doch anders als in den bekannteren geistlichen Werken des deutsch/englischen Komponisten sind die Handlungstragen der vier Allegorien – die Schönheit (Bellezza), das Vergnügen (Piacere), die Zeit (Tempo), die Erhellung / Desillusionierung (Disinganno), die von ihren Fragen, Sehnsüchten und Ängsten erzählen.
Trionfo - Vier letzte Nächte - vorgestellt von Elisabeth Stöppler ..... youtube Trailer der Staatsoper Hannover [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]
Die Zeit breitet im verborgenen ihre Flügel aus...
Wenn sich jedoch der Vorhang der Bühne öffnet, wird nicht einfach ein Oratorium vorgestellt. Regiesseurin Elisabeth Stöppler und Dramaturg Martin Mutschler hauchen den Allegorien ein Leben ein, machen das Werk dadurch zu einer Handlungsoper. So wird die Schönheit, B., (für Bellezza) als Hausfrau mit Kind, voller Träume und Wünsche, dargestellt. Sie fühlt sich eingeengt, fühlt die Zeit verrinnen ohne, dass sie wirklich zum Leben kommt. Sie sehnt sich nach dem Vergnügen, P. (Piacere) Vom Brustkrebs gezeichnet, im Hier und Jetzt lebend, ist sie wie ein Sehnsuchtsort für B., die jedoch die Abgründe der Figur nicht sieht. Denn P. ist verzweifelt. Sie hat das Leben gelebt, aber jetzt? Ihre Zeit verrinnt stetig; jede Nacht kann ihre letzte Nacht sein, der sie nicht fliehen kann. Und dann ist da auch noch D., die Erhellung und Desillusionierung. Er ist Schriftsteller, jedoch unfähig zu schreiben, die Welt richtig zu fassen. So verzweifelt er jedoch ist, eine helle Seite kann er jeder Situation abgewinnen. Bleibt nur noch die Zeit, T., die sich fragt, wer er/sie eigentlich ist. Es zeigt sich, dass er eigentlich seit Jahren ein Mädchen sein will, die Zeit jedoch noch nicht dafür da war.
Stöppler versucht die Figuren in eine logische Handlung einzubinden, was dank dem Umschieben verschiedener Nummern gut gelingt. Besonders die Figur T. (Zeit / Tempo) kommt jedoch nicht voll zum Tragen und hinterlässt mehr Fragen als sie Klarheit schafft. Klar wird jedoch: alle Figuren fürchten die Zeit, hadern mit ihr, die als Uhr an der Wand tickt und gleichzeitig im Verborgenen ihre Flügel ausbreitet, wie eine Figur es singt. Jede Figur sitzt zu Beginn in ihrer eigenen kleinen Welt; doch die Zeit bringt sie Zusammen – und auch wieder auseinander. Dies ist das Glück für B. - T. und D. können sie überzeugen, dass das Leben im Hier und Jetzt nicht das Glück der Welt verspricht. B. sagt sich von ihrem Kind los um sich zu entfalten, wandert jedoch nicht den Pfaden des Vergnügens nach. Jede Figur muss ihren eigenen Platz im Rinnsal der Zeit finden, so könnte die Moral der Inszenierung sein. Der himmliche Chor "Thou knowest, Lord, the secrets of our hearts" aus der Beerdigungsmusik von Henry Purcell beschließt den Abend, der einen der elementarsten Konflikte der Menschen betrifft: das Leben mit der Zeit!
In musikalischer Hinsicht war der Premierenabend ungemein beglückend. Das absolute Highlight der Aufführung war das Orchester unter Leitung des jungen, dynamischen Dirigenten David Bates. Da es immer schwer ist, einem großen, auf Romantik und Spätromantik eingespielten Sinfonieorchester barocke Töne zu verleihen, kann man dem Ensemble zu dem Klangereignis nur beglückwünschen. Stets den großen Bogen atmend, kostet Bates die Affekte der Partitur hör- und sichtbar aus. Wenn man das lebendige Orchesterspiel in Hannover hört, wird dem Publikum schnell bewusst, weshalb Händel als der "Popstar des Barock" galt.
Auch die Sänger verdienen größte Würdigung, allen voran die Niederländerin Nina van Essen, die in der Rolle der P. (Vergnügen) nicht nur als Kolloraturakrobatin, sondern auch schauspielerisch überzeugen konnte. Besonders die Arie „Lascia la spina, cogli la rosa“, die später im Rinaldo so berühmt gewordene Nummer, gelang bezaubernd schön. Ihre Stimme sehr zurücknehmend, kongenial vom Orchester begleitet, gelang ein Augenblick berückender Intimität, sodass auch das Publikum erst nach einer gefühlten Ewigkeit zu großen Bravorufen aufbrauste.
Ebenfalls höhen- und koloraturensicher erwies sich Nicolas Tamagnas kultiviert geführter Countertenor in der Rolle des D., Disinganno. Sehr expressiv im Ausdruck, verdeutlichte er die dramatische Dimension der Textvorlage äußerst intensiv. Ebenfalls überzeugend agierten Sarah Brady in der Rolle der B. sowie Sunnyboy Dladla als Time, der besonders in der Mittellage über ein äußerst wohlklingendes Timbre verfügt.
Dank der ausgeklügelten Corona-Sicherheitsbestimmungen, konnte man eine entspannte Aufführung im großen Haus erleben, welches nur mit 312 statt über 1200 Plätzen belegt werden durfte. Das Publikum feiert den ersten Opernabend der Saison frenetisch. Sowohl für Orchester und das Ensemble auf der Bühne als auch für die Regie ist die TRIONFO - Vier letzte Nächte ein voller Erfolg. Keine Buhs, nur schier endloser Applaus! Danke!
Trinfo - Vier letzte Nächte an der Staatsoper Hannover; die nächsten Termine: 22.9.; 24.9.; 2.10.; 9.10.; 17.10.; 23.10.; 30.10.2020 und mehr ---| IOCO Kritik Staatsoper Hannover |---