Hannover, Staatsoper Hannover, Salome von Richard Strauss, IOCO Kritik, 28.11.2017
Salome von Richard Strauss
Der Traum vom liebenden Blick
Von Hanns Butterhof
Wenn zu Beginn Salome in blauem, geschlitztem Kleid aus dem Fransenvorhang, hinter dem ihr Stiefvater Herodes ein Fest feiert, ins Licht tritt, entzieht sie sich dessen lüsternem Blick. Am Ende tritt sie in den Vorhang zurück und entzieht sich, nach seinem Befehl, sie zu töten, diesem Blick für immer. Ihr kurzer Traum, von einem anderen, liebenden Blick berührt zu werden, ist ergreifend gescheitert.
An der Staatsoper Hannover haben Regisseur Ingo Kerkhoff und seine Bühnenbildnerin Anne Neuser für Richard Strauss’ Oper „Salome“ die Bühne fast völlig frei gelassen. Nach hinten wird sie von einem silbrigen Fransenvorhang abgeschlossen, hinter dem der lärmend feiernde Hof des Herodes liegt, dem König der Juden. Wenn Salome nach vorne kommt, senkt sich knapp hinter ihr eine goldene Wand. Dadurch wird die Aufmerksamkeit auf sie konzentriert und trefflich betont, dass alles, was dann dicht an der Rampe zwischen ihr und dem gefangenen Propheten Jochanaan geschieht, von einer anderen Welt, fast ein Traum ist.
Zu dem silbrigen Klarinettenlauf, der deutlich freundlich von Salome spricht, warnt der Page (Hanna Larissa Naujoks) davor, Menschen mit einem Blick anzusehen, der sie zu Objekten macht. Er steht mit dem verliebten Narraboth (Simon Bode) bei den Zuschauern im Rang, beide für einen abendlichen Opernbesuch angemessen gekleidet (Kostüme: Inge Medert). Es ist der dann glücklich eingelöste Hinweis darauf, dass nicht die mit der „Salome“ meistens verknüpfte sinnliche Sensation in exotischen Fernen zu erwarten ist, sondern dass es ums Hier und Jetzt geht.
Die Sensation besteht dann in der fesselnden Deutung der Oper, die in das innere Geschehen der Figuren musiktheatralisch hineinzieht, ohne groß etwas von außen an sie heranzutragen. In der kargen Inszenierung wird so vieles deutlich, was sonst im Gewitter der Regie-Geistesblitze untergeht.
Annemarie Kremer, die holländische Sopranistin als Gast am Staatstheater, ist gesanglich und darstellerisch beeindruckend. Ihr kräftiger Sopran glänzt in den Höhen, angesichts der Gruft des Jochanaan taucht sie in abgründige Tiefen. Ihre Salome will heraus aus der schwülen Luft des Palastes. Sie ist begierig nach der Reinheit, die ihr der gefangene Prophet zu verkörpern scheint. Sie drängt sich ihm stürmisch auf, sinnlich an ihn heran in der einzigen Art, in der sie am Hof Liebe kennengelernt hat, und der sie eigentlich entkommen möchte. Als sie damit bei Jochanaan keinen Erfolg hat, bleibt ihr nur der verzweifelte Weg, ihn als Leiche in ihren Besitz zu bringen. Ihr Werben um den Propheten, dass er sie liebend ansehen möge, und ihr finaler Gesang mit dem blutigen Haupt entsetzen nicht nur, sondern rühren zu Tränen.
Auch der Prophet Jochanaan, dem Brian Davis eine eindrücklich menschliche Statur gibt, überzeugt mit seinem warmen und gut geführten, triumphierenden Bariton. Sein in einen schwarzen Anzug gekleideter Jochanaan äußert sich gegenüber Salome prophetisch korrekt abwehrend, lässt sich aber doch von ihren sinnlichen Reizen, ihrem Liebeswollen ansprechen. Als er sie mit donnernder Orchesterverstärkung verflucht, ist das auch ein gegen sich selbst gerichteter Gewaltakt zur Selbstrettung.
Der Schleiertanz, mit dem Salome daraufhin dem zögernden Herodes (Robert Künzli) den Befehl abringt, Jochanaan köpfen zu lassen, ist ein überaus glücklicher Regieeinfall. Statt des von Strauss immer gefürchteten exotischen Tingeltangels beschreibt die Szene mehr die Phantasien des Herodes als den Tanz der Salome. Die steht sogar manchmal, ein Glas Wein in der Hand, beobachtend daneben, wenn ihr Stiefvater, blind vor Gier, in die Arme eines der mit Frauenkleidern locker behangenen Festgäste taumelt. Dann stachelt sie ihn wieder kurz an, selber tanzend, wenn auch vergeblich, nach ihr zu haschen.
Nur in dieser Szene erscheint Herodes als lächerliche Figur. Sonst gibt ihm Robert Künzli überzeugend mit messerscharfem Tenor die Statur eines statusunsicheren Mannes, der posiert und sich immer größer machen möchte, als er ist. Kühl beobachtet ihn seine mit schlichter Eleganz gekleidete Frau Herodias, von Khatura Mikaberidze mit feinem Mezzosopran zurückhaltend gegeben. Nur als Herodes den Befehl zum Töten des Jochanaan ausspricht, bricht ein erleichterter Triumphschrei aus ihr heraus.
Das Ensemble bietet eine ansprechende Leistung. Vor allem gefällt Simon Bode als stimmstarker Narraboth, dessen theaterblutiger Selbstmord etwas störend naturalistisch inszeniert ist. Wie die streitenden Juden mit ihren Karnevalshütchen muss man sich unwillkürlich die Sondierungsgespräche in Berlin vorstellen.
Hannovers GMD Ivan Repušic entfaltet mit dem Niedersächsischen Staatsorchester begeisternd die gesamte Bandbreite dieser Strauss’schen Wahnsinnspartitur, von den mit graziler Feinarbeit herausgearbeiteten lyrischen Passagen bis hin zu den expressiv gewaltigen Motivballungen von krachender Größe. Dabei gelingt ihm das Kunststück, hörbar zu machen, was in den Figuren vor sich geht. Er schafft es vor allem im Schluss, im Entsetzen über Salomes schreckliche Tat vor allem auch den Schmerz und die unendliche Sehnsucht der Salome nach dem vielleicht unerreichbar reinen Blick der Liebe deutlich zu machen, dass einem fast das Herz bricht; ist es doch die Sehnsucht, die das Publikum auch als eigenen Traum kennt.
Salome an der Staatsoper Hannover: Die nächsten Termine: 1., 10., 13., und 22.12.2017, jeweils 19.30 Uhr.
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