Hannover, Staatsoper Hannover, Der Barbier von Sevilla - Gioacchino Rossini, IOCO Kritik, 18.02.2020
Der Barbier von Sevilla - Gioacchino Rossini
- (K)eine haarige Angelegenheit -
von Christian Biskup
Mit nur 23 Jahren schrieb Gioacchino Rossini sein wohl bekanntestes Werk Il Barbiere di Siviglia – und wenn nicht in der legendären Dauer von 13 Tagen, so doch wohl in wenigen Wochen. Die Premiere 20. Februar 1816 in Rom war ein Fiasko – von dem sich Rossini und das Werk nach der Komödie Le Barbier de Séville ou La précaution inutile von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais, aber glücklicherweise schnell erholten. Bis heute feiert das Werk einen Siegeszug über die Bühnen – so auch in der Produktion des Staatstheaters Hannover. Es ist schon erstaunlich, wie gut der gut 200 Jahre alte Humor auch noch heute funktioniert und das Publikum mitreißt. Das Libretto von Cesaren Sterbini ist temporeich, gut nachverfolgbar und vor allem im seinem Aufbau und Gestaltung auch für heutige Inszenierungen ungemein dankbar:
Graf Almaviva hat sich in die ihm unbekannte Rosina verliebt, die unter der Fuchtel des Doktor Bartolo gehalten wird, der sie selber gerne ehelichen möchte. Da passt es gut, dass der stattbekannte Barbier Figaro Zugang zum Hause Bartolos hat und verspricht – gegen ein schönes Sümmchen selbstverständlich – den Grafen in das Haus des Doktors einzuschleusen. Dort im Haus rechnet man schon mit dem Nebenbuhler und es wird kräftig überlegt, wie man diesen loswerden könnte, wobei sich auch der Musiklehrer Basilio eifrig engagiert. Rosina hat derweil schon einen Liebesbrief an den sich als mittelloser Student Lindoro ausgebenden Grafen geschrieben. Dieser – nun in der Rolle eines betrunkenen Soldaten – bittet um Einquartierung im Hause des Doktors. Ein Bescheid, dass Bartolo von der Pflicht der Einquartierung befreit sei bringt das Fass zum Überlaufen.
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Lärm und Zank bringt die Wache auf den Plan. Der Graf gibt sich jedoch dieser zu erkennen und wird – zur Überraschung der Anwesenden – freigelassen. Im zweiten Akt wagt sich der Graf als Vertretungsmusiklehrer Don Alonso erneut in Bartolos Haus. Als Vertrauensbeweis übergibt er dem Hausherrn den Liebesbrief den Rosina geschrieben hat. Nun kann die Gesangsstunde beginnen. Als Bartolo ein romantisches Lied an sein Mündel anstimmen möchte, unterbricht Figaro die Szene – die Rasur ist an der Reihe. Doch da taucht der gar nicht kranke Basilio auf. Die Stimmung droht zu kippen, doch mit Geld und Genesungswünschen wird er wieder nach Hause geschickt. Doch Bartolo hat die derweil stattgefundene Verabredung Don Alonsos mit Rosina mitbekommen und wirft sie hinaus. Er zeigt Rosina den Liebesbrief, die sich als Opfer eine Täuschung sieht. Sie willigt in die Heirat mit ihm ein. In der Nacht klärt der Graf noch schnell alles auf – der Heirat steht nichts mehr im Weg!
Die Handlung wird von Regiesseurin Nicola Hümpel zeitlos in recht abstrakten Räumen angesiedelt. Ein Hof mit Balkon ist angedeutet, ein Raum in Doktor Bartolos Haus, in der Mitte stets eine große Projektionsfläche. Was auf der Bühne von Oliver Proske erstmal trist anmutet, weiß die Regiesseurin, die mit Perfomances und Installationen mehrfach preisgekrönt wurde, mit sehr viel Leben zu füllen. Und doch ist man im Publikum auf die Leinwand fixiert. Mit Kameras wird das bis ins kleinste Detail enstudierte mimische Spiel wie im Kinosaal angeworfen, was besonders zu köstlichen Momenten beim vor Wut zerissen Bartolo führt. Jeder kleine Augenblick des Gefühlslebens wird unmittelbar erfahrbar. Und trotz dieser Fixierung ist die Figurenführung exquisit.
Die Regisseurin nimmt das Tempo des Librettos auf, nutzt die köstliche Situationskomik aus und sorgt doch für große Bilder, so wenn sich Rosina furienhaft gegen die Projektion des übergroßen Bartolos wirft und auch mal der Mittelfinger mehr oder weniger dezent in seine Richtung weist. Die komischen Momente überwiegen doch. Das Publikum lacht lauthals wenn der Barbier die Canzone des Grafen mit seinem Rasier-Lederriemen statt mit der Gitarre begleitet, wenn Figaro zur Rasur einen großen Schaumberg in Bartolos Gesicht klatscht, wenn der Graf als peppiges Prince-Double als Vertretungsmusiklehrer auftaucht und die Gesangsstunde vom zum Klavier umfunktionierten Sofa aus leitet. Alle Figuren werden mit Charakter gefüllt und die Inszenierung zeichnet sich durch eine komische Frische aus, die nichts mit altbackenem Humor zu tun hat. Der einzige wirkliche Minuspunkt sind die Übertitel, die zum Teil verspätet aber vor allem so stark verkürzt sind, dass große Textstellen fehlen, was besonders in den konversationsreichen Rezitativen zu bemängeln ist.
Auch in musikalichen Dingen bewegt sich die Staatsoper auf erstklassigem Niveau. Anna-Doris Capitelli kann als Idealbesetzung für die Rolle der Rosina gelten. Ihr angenehm angedunkelter Mezzo nimmt die Koloraturen fließend mit Leichtigkeit. Ihr Stimme ist in allen Lagen klar und direkt, niemals schrill. Spielfreudig wirft sie sich aus den Armen Bartolos in die Arme des Grafen. Dieser wird von dem südafrikanischen Tenor Sunnyboy Dladla gesungen. Wie sein Name schon zu ahnen gibt, ist sein Spiel euphorisch und mitreißend. Sein sehr vibratoreicher Tenor hat Schmelz und Wärme, wobei seine Stärke in den leisen hohen Tönen liegt. Seine Canzonen und Cavantinen gelingen hervorragend mit ihren klar gesungenen Melismen.
Als etwas schrägen Charakter, mit hoch aufgestylten Haaren und rosasamtenen Umhang (Kostüme von Esther Bialas) gibt Hubert Zapiór den leicht exzentrischen Barbier. Stimmlich kann er durch geradezu teils akrobatische Wechsel zwischen Brust- und Kopfstimme punkten. Obgleich sein kraftvoller Bariton in seiner berühmten Arie etwas dem Tempo hinterherhingt, gelingt ihm ein musikalisch überzeugend überschwängliches Rollenportrait, in das er sich vom Spiel her geradezu hineinstürzt. Welch Gegensatz ist da Daniel Miroslaws Basilio, den er elitär und etwas spießig anlegt. Mit einem voluminösen Bass ausgestattet, konnte er besonders mit der La calunnia-Arie überzeugen und sorgt zudem für so manchen Lacher durch sein lebhaftes Spiel im Quintett des zweiten Aktes.
Als spielerischen Höhepunkt ist Frank Schneiders Darstellung des Doktor Bartolo zu bezeichnen. Was der Mensch an verschiedenen mimischen Ausdrucksmöglichkeiten für seine Wut ob des Nebenbuhlers hat, ist schon den Besuch wert. Musikalisch ist besonders die lebhafte Gestaltung seiner Rezitative hervorzuheben. Auch die weiteren Rollen waren rollendeckend besetzt. James Newby gab den Fiorillo, Carmen Fuggis eine ebenfalls wunderbar schräge Berta, Darwin Prakash den Offizier. Eduardo Strausser leitete das klein besetzte Niedersächsische Staatsorchester Hannover sicher, transparent und meistens äußerst sängerfreundlich. Mit Eleganz und Leichtigkeit, aber auch mit italienisches Feuer führte er klanglich angenehm trocken durch die Partitur. Musikalisch und szenisch ein absolut runder Abend.
Das mit 1200 Plätzen ausverkaufte Haus liebte die Vorstellung und brachte tobend und jubelnd Sängern und Orchester lautstakt ihre Begeisterung zum Ausdruck
Der Barbier von Sevilla an der Staatsoper Hannover; die nächsten Termine 21.2.; 7.3.; 15.3.; 30.4.; 7.5.; 9.5. 2020
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