Hamburg, Staatsoper Hamburg, Fidelio von Ludwig van Beethoven, IOCO Kritik, 02.02.2018
"Befreiungsoper im Umfeld der biederen (?) 50er Jahre"
Von Patrik KleinHamburgs Staatsopernintendant Georges Delnon inszeniert nach eigener Aussage ausnahmsweise eine Produktion an seinem Haus selbst. Er nimmt sich Beethovens politisch unverhüllte Befreiungsoper Fidelio vor und löst damit die damals überaus kontrovers aufgenommene Regie von Hans Neuenfels aus dem Jahr 2004 unter der musikalischen Leitung von Ingo Metzmacher ab. Delnons Inszenierung ist für eine Koproduktion mit dem Teatro Communale di Bologna vorgesehen. Fidelio ist die einzige Oper von Ludwig van Beethoven in zwei Akten (in der Urfassung unter dem Titel Leonore jedoch in drei Akten)
. Das Libretto schrieben Joseph Sonnleithner, Stephan von Breuning und Georg Friedrich Treitschke. Als Vorlage diente ihnen die Oper Léonore ou L'amour conjugal , die 1798 in der Komposition von Pierre Gaveaux entstand. Die Uraufführungen der ersten beiden Fassungen des Fidelio fanden am 20. November 1805 bzw. am 29. März 1806 am Theater an der Wien statt. Die endgültige Fassung wurde dann am 23. Mai 1814 im Wiener Kärntnertortheaterpräsentiert.
In dieser Fassung wurde der Text überarbeitet und die Handlung straffer gestaltet. Ferner wurden die tragischen Züge der Hauptpersonen verstärkt, und die Grundidee des Werkes trat nun deutlicher hervor, nämlich die Überhöhung der konkreten edlen Tat Leonores. War zum Beispiel bei Mozart die Gesellschaftskritik noch in den Verwirrspielen eines scheinbar aufgeklärten Zeitalters versteckt, so bringt der revolutionäre Bürger Beethoven die neuen Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auf die Bühne. Bei dem recht populären und besonders in letzter Zeit häufig gespieltem Werk stellt sich hiermit erneut die Frage: Hat Beethovens einzige Oper an Aktualität und Relevanz seit über 200 Jahren verloren? Wie realistisch ist der Glaube an den Einfluss der Liebe und der Menschlichkeit in einer Welt voller Gewalt und Machtexzesse? Antworten auf diese Fragen werden von Georges Delnon auf den ersten Blick kaum erkennbar gegeben.Ging Hans Neuenfels in seiner Inszenierung von 2004 von einer radikalen Umdeutung in einer grotesken Show des Scheiterns und einem "Aus der Traum von Friede, Freiheit" aus, so muss man Georges Delnons Sichtweise mühevoll suchen. Im Opernjournal der Staatsoper Hamburg, in den Blogs der Dramaturgen (Klaus-Peter Kehr, Johannes Blum), auf Plakaten und in Interviews wird wenig bis nichts im Vorfeld verraten. Während der Ouvertüre steht auf dem schwarzen Bühnenvorhang: "Ich hatte einen Traum. Es war ein Albtraum. Als ich erwachte, war Alles wieder in Ordnung". Die Inszenierung nun zeigt dem aufgeschlossenen, vorurteilsfreien Beobachter einen Blick in die sagen wir einmal 50er Jahre in einem Überwachungsstaat. Auf der Bühne erblicket man ein geräumiges Wohnzimmer mit zeitgemäßer Ornamentiktapete, großer Terrassenfront und überdimensionaler Gardine (Bühne: Kaspar Zwimpfer; Kostüme: Lydia Kirchleitner; Licht: Michael Bauer; Video: fettFilm). Ausstattungselemente sind eine für die damalige Zeit klassische Musiktruhe der Firma Nordmende namens Fidelio, ein Klavier, ein Schreibtisch mit mechanischer Schreibmaschine, an der vor allem Rocco seine Korrespondenzen gestaltet und Tischgruppierungen mit einigen Stühlen. Es wird ein biedermeiersches Idyll gezeichnet, in der sich die handelnden Personen familiär von der Außenwelt, die durch Machtexzesse und Gewalt geprägt ist, abschotten. Dieses Idyll wird von der linken Bühnenseite gelegentlich jäh gestört und durchbrochen von langsam bis in die Bühnenmitte hineinfahrende Logistikregale. Sie legen den Blick frei auf Bücher, Akten und Gefangene. Florestans Gefängnis befindet sich in einem Art Sarkophag. Durch die riesige Glaswand schaut man videobebildert in Wälder mit unterschiedlicher Farbstimmung, in denen Rehe und zum Beispiel der "böse Wolf" überdimensional groß und in weiß bei Florestans Arie "Gott, welch Dunkel hier" in hellstem Licht erscheinen. Eine Kernaussage oder Deutung der Befreiungstat Leonores findet man scheinbar nicht. Die Charaktere der Handlung werden sehr persönlich, ja sogar intim gezeichnet mit ihren individuellen Absichten und Abgründen im Überwachungsstaat und Familienidyll. Die Sänger agieren meist an der Rampe in dem dunkel wirkenden Bühnenbild oder vor schwarzen Bühnenvorhängen fast wie bei einer konzertanten Aufführung. Zum Finale ein verklärter Einmarsch der Gefangenen, der mittlerweile auch in weiß gekleideten Schergen des Don Pizarros und ein Vermischen mit allen Beteiligten der Oper. Don Pizarro wird von zwei Beteiligten über die Terrasse nach draußen geführt. Aus dem düster nebelverhangenen graue Wald entspringt wieder frühlingshaftes Grün als Zeichen der Hoffnung. Zur Premiere am 28.1.2018 wurde die gesamte Regie dieses Fidelio mit weitgehend heftigen Missfallenskundgebungen beurteilt.Die Komposition nicht die Handlung übernimmt bei dieser Regie das Primat der Aufführung. Nach Eindrücken in der Generalprobe und - dem Vernehmen nach in der missratenen Premiere - dirigiert Kent Nagano sein Staatsorchester "auf Sicherheit". Nur sehr wenige Einsätze kommen unklar für Orchester, Chor und auch Solisten. Flott klingt es zum Beispiel bei der ausgewählten längeren dritten Konzertouvertüre Leonore. Hier erhält das Orchester lautstarken Beifall. Sicher und deutlich langsamer, die Sänger- und Choreinsätze betonender führt Nagano durch die Partie. Die Chorszenen (Einstudierung Eberhard Friedrich) insgesamt geraten zu sehr schönen musikalischen Höhepunkten. Die Sängerinnen und Sänger des Abends gestalten durchweg auf ordentlichem Niveau und machen den musikalischen Eindruck über weite Strecken hörenswert. Die schönsten stimmlichen Momente des Abends gehören Fidelio und Rocco. Simone Schneider ist Ensemblemitglied am Staatstheater am Gärtnerplatz in München gewesen und derzeit an der Staatsoper Stuttgart engagiert. Sie gestaltet die Titelpartie mit großem Einsatz, hoher Textverständlichkeit und schön dunkel gefärbtem Timbre. In den mittleren Lagen klingt ihre Stimme sehr lyrisch; sauber und kraftvoll gelingen ihr auch die Spitzentöne. Sie hat es auch etwas leichter, da sie zum Beispiel die Arie "Abscheulicher, wo eilst Du hin?" beinahe wie konzertant alleine vor herabgelassenem Bühnenvorhang gestalten kann. Falk Struckmann (Rocco) gehört zu den bedeutendsten Bassbaritonen seines Fachs. Er ist in Hamburg gerne gesehener Gast seit seinem Debüt in der Spielzeit 1994/95. Er sang hier unter anderem in Mathis der Maler, Rheingold, Die Walküre, Siegfried, Fidelio (in der Neuenfelsinszenierung als Don Pizarro), Tosca und Salome. Falk Struckmann gibt den Gefängniswärter mit prachtvollem, besonders schwarz gefärbten Klang mühelos und feinstartikulierend. Er erhält vom Publikum am Ende auch den größten Beifall. Christopher Ventris (Florestan) gehört zu Großbritanniens erfolgreichsten Tenören und ist vor allem für sein Wagner-Repertoire bekannt, auf das er seine internationale Karriere in den letzten zwanzig Jahren fokussiert hat. Mit dem Florestan feiert Christopher Ventris nun an der Hamburgischen Staatsoper sein Debut. In der zweiten Vorstellung hat er jedoch einen rabenschwarzen Tag erwischt. Er singt die Partie zwar kraftvoll, aber gestemmt und viel zu sehr gepresst, so dass ihm bei der Arie "Gott, welch Dunkel hier" die Stimme mehrfach wegbricht. Mit großer Mühe steht er seine Rolle bis zum Ende durch. Werner Van Mechelen (Don Pizarro) ist ein vielseitiger belgischer Bass-Bariton mit breitem Lied-, Konzert- und Opernrepertoire, das von Barockpartien über Mozart- und deutsches bzw. italienisches Repertoire bis hin zu modernen Komponisten mit vielen Uraufführungen reicht. Erst im Sommer des vergangenen Jahres konnte man sein Debut bei den Bayreuther Festspielen verzeichnen (IOCO Kultur im Netz berichtete), wo er einen erfolgreichen Klingsor im Parsifal in der Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg darstellte. Als "Stasi-Chef" Don Pizarro kann er in Hamburg nahtlos an seinen Bayreutherfolg anknüpfen. Er singt sehr textverständlich mit hohem Einsatz und ist bemüht die dunklen Seiten des Gefängnisleiters herauszustellen. Ein wenig prägnanter bösartig hätte es jedoch noch sein können. Don Ferrando ist der türkische Bariton Kartal Karagedik, der seit der Spielzeit 2015/16 Ensemblemitglied der Hamburgischen Staatsoper ist. Seine zu Beginn noch recht unauffällige Wirkung entwickelte er durch kluge Rollenauswahl und Debuts an kleineren und mittleren Opernhäusern zu einer mittlerweile tragenden, flexibel agierenden und klangschönen Ausstrahlung. Als Don Ferrando hat er die undankbare Aufgabe, erst am Ende der Oper und nur recht kurz aufzutreten. Er gestaltet seinen Part jedoch sehr schön lyrisch, textverständlich und mit feiner Stimmführung.Mélissa Petit (Marzelline) war von 2010 bis 2013 Mitglied des Internationalen Opernstudios der Staatsoper Hamburg. Seit der Spielzeit 2015/16 gehört Mélissa Petit zum Ensemble des Zürcher Opernhauses und debütierte mittlerweile auch an der Opéra Bastille in Paris und den Bregenzer Festspielen. Mélissa Petit gibt die Marzelline mit fein geführter Stimme und schönem dunklen Klang. Thomas Ebenstein, seit 2012 Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper, gibt den Jaquino solide mit schöner Spieltenorstimme und großem Einsatz.Zur Premiere dieses Fidelio waren die Rezensionen weitgehend höchst negativ. IOCO möchte sich diesen Philippiken nicht anschließen. Das Publikum in der zweiten fast ausverkauften Aufführung des Fidelio reagierte mit sehr freundlichem Applaus auf alle musikalisch Beteiligten. Fidelio an der Staatsoper Hamburg: Weitere Aufführungen: 4.2.2018; 6.2.2018; 9.2.2018; 27.4.2018; 2.5.18; 5.5.2018 und 9.5.2018