Hamburg, Elbphilharmonie, Saisoneröffnung mit Haydns Jahreszeiten, IOCO Kritik, 14.10.2017
Berauschender Saisonstart des Philharmonischen Staatsorchesters
Die Jahreszeiten von Joseph Haydn
Von Patrik Klein
Wenn in der Elbphilharmonie Hamburg ein ausverkauftes Konzert mit konzentrierten und bis zum Schluss ausharrenden, begeisterten Zuhörern gefüllt ist, so ist der Funke wieder einmal übergesprungen. Luftig, duftend mit feinster Struktur und farbenreichster Malerei schweben die Töne und Klänge in dem wunderbaren Großen Saal der "Elphi" und eröffnen die neue Konzertsaison des Philharmonischen Staatsorchesters unter seinem Generalmusikdirektor Kent Nagano, dessen Vertrag gerade bis 2025 verlängert wurde.
Die Saison 2017/18 fokussiert mutig auf 10 Konzerte im Großen Saal der Elbphilharmonie, die sich jeweils mit einem Portrait eines großen Komponisten beschäftigen werden. Es sind Konzerte mit Werken u.a. von Mozart, Strauss, Schubert, Bruckner, Schumann und Brahms geplant. Den Reigen eröffnet Die Jahreszeiten von Joseph Haydn.
Das Musikwerk Die Jahreszeiten (Hob. XXI:3) ist ein Oratorium, das am 24.4.1801 in Wien uraufgeführt wurde. Haydn wurde zur Komposition der Jahreszeiten durch den großen Erfolg seines vorhergehenden Oratoriums Die Schöpfung (1798) angeregt, das zu dieser Zeit in ganz Europa aufgeführt wurde. Die Jahreszeiten wurden zwar ein Erfolg, der aber nicht mit dem der Schöpfung vergleichbar war. Auch in der Folgezeit wurden Die Jahreszeiten deutlich seltener aufgeführt als das bekanntere, frühere Oratorium.
Das Libretto zu Die Jahreszeiten wurde von Baron Gottfried van Swieten verfasst, einem österreichischen Adligen, der auch einen großen Einfluss auf Mozarts Karriere gehabt hatte. Van Swietens Libretto war dessen eigene deutsche Wiedergabe eines Auszugs aus dem englischen Versepos von James Thomsons The Seasons.
Haydn brauchte zwei Jahre, um Die Jahreszeiten fertigzustellen, zum einen wegen seiner schlechten Gesundheit, zum anderen, weil ihn van Swietens Text nicht zu überzeugen vermochte. Das Oratorium entspricht inhaltlich weder einem religiös geprägten Werk, noch dem Ideal eines Kunstwerks im Geiste der Aufklärung, ihre heiteren wie eindringlichen Naturschilderungen und Verklärungen des Landlebens zeigen vielmehr Einfluss der Philosophie Rousseaus.
Die Jahreszeiten bestehen, korrespondierend zu Frühling, Sommer, Herbst und Winter, aus vier Teilen, mit den üblichen Rezitativen, Arien und Chören. Sie fassen die unterschiedlichen Charaktere des Wandels in Musik mit instrumentalen saisonalen Klangeigenschaften zu Beginn der jeweiligen Jahreszeit. Die enthaltenen Naturbeschreibungen beziehen sich auch auf das göttliche Element. Es gibt im wesentlichen keine Handlung, sondern ein Tableau des bäuerlichen Lebens und der Naturverbundenheit. Ähnlich wie bei Der Schöpfung haben wir es mit drei singenden Protagonisten zu tun. Das Liebespaar Hanne (Sopran) mit dem Bauern Lukas (Tenor) sowie dessen Vater Simon (Bass) erzählen musikalisch von den Schönheiten und Herausforderungen des ländlichen Lebens und den Launen der Naturgewalten. Der äußerst umfangreiche Text und die herrliche Musik drücken das gleiche in vollkommener Harmonie aus. Im nebeldurchzogenen, eiskalten Winter schließlich kommt das Ende alles Vergänglichen und die Hoffnung und der Glaube an das Göttliche zu Tage.
Im
Frühlingkommen wir musikalisch an. Die Musik kämpft sich aus dem Winter hervor. Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg ist nach großer Besetzung der Wiener Klassik aufgestellt mit einigen Besonderheiten, wie einem Hammerflügel statt dem üblichen Cembalo, um die Besonderheiten der Klangfülle noch eindrucksvoller zu gestalten und vier Hörnern, die mit unterschiedlichen Resonanzkörpern ausgestattet sind, um beispielsweise Waldhornklänge bei der Jagd in bunten Farben klangvollendet auszudrücken. Kraftvoll und in sauberen, wunderschön klaren musikalischen Bögen ertönt es vom Podium. Die Musiker scheinen selbst von der Klangfülle angetan und spielen sich im Laufe des langen, fast drei Stunden dauernden Konzerts in eine wahre musikalische Farborgie. Der Chor des Landvolkes setzt ein und die beinahe 100 Mitwirkenden der Chorgemeinschaft Neubeuern (Einstudierung Robert Schlee) lassen zum ersten Mal ihre gesanglichen Qualitäten aufblühen. Der als einer der besten Laienchöre in Europa geltende Chor, der mit etlichen Auszeichnungen und CD Einspielungen auch über die Grenzen des Münchner Großraums bekannt wurde, glänzt an diesem Sonntagmorgen angesichts des aufkeimenden Frühlings in schönstem Licht. Hochmotiviert malen sie die schillernden Farben des Frühlings beeindruckend klar und formschön auf die Staffelei der Zuhörer.
Der
Sommerbeginnt unerwartet mit einem Adagio recht melancholisch, um die Morgendämmerung vor der Mittagshitze und der Schwüle des Tages bis hin zur Idylle des Sommers darzustellen. Der Bauer Lukas (Julian Prégardien) tupft in zartesten Nuancen die Stimmung der aufgehenden Sonne, die die träge Nacht verdrängt. Mit feinster lyrischer Tenorstimme, immer bedacht auf Ausdruck und legato, absolut sicher und sauber bis in die Höhenlagen seiner Partie, tritt er in Erscheinung. Der Vater Simon (Georg Zeppenfeld) erzählt Hirtenweisen zu den ersten Sonnenstrahlen. Der in Westfalen geborene Bass, der mittlerweile zu den besten seines Faches zählt, die großen Rollen im dramatischen Fach wie Gurnemanz, Hunding oder Marke auf den größten Bühnen dieser Opernwelt darstellt, kann bei Haydns Oratorium ganz leicht umgestalten auf baritonale, lyrische Töne in Form- und Klangvollendung. Wunderbar seine federleichte und absolut textverständliche Stimmführung. Die Partie der Hanne wird gesungen von Marie-Sophie Pollak, die für die erkrankte Christina Gansch kurzfristig eingesprungen ist. Die junge Sopranistin singt sich mit ihrem federleichten lyrischen Sopran sofort in die Herzen der Zuhörer. Sie kommt musikalisch daher wie ein flirrender Vogel in der Natur, sehr schön modulierend, sehr schön an- und abschwellend; sie erinnert vom Timbre und dem glockenklaren Klang an eine ideale Verkörperung von Mozarts Papagena. Die Sonne des Sommers erstrahlt schließlich durch das Terzett der Solisten, dem Chor und Orchester zu einem großartigen Dank an den Schöpfer der Natur.
Der
Herbstbeginnt musikalisch idyllisch mit einem Tanz im Dreivierteltakt, der die Freude der Landsleute über eine erfolgreiche Ernte zum Ausdruck bringt. Höhepunkte dieses Satzes sind das großartige Zusammenspiel von Marie-Sophie Pollak und Julian Prégerdian im Duett über die Lebensfreude und der Chor der Landleute und Jäger. Hanne und Lukas finden hier gemeinsam zu einer musikalischen Harmonie, die angesichts der kurzfristigen Einfindung der Sopranistin in die Produktion, schier unglaublich erscheint. Besonders musikalisch ungewöhnlich ist nun das Jagdlied mit Waldhornklängen und das Weinfest mit den tanzenden Bauern. Die vier Hörner mit den unterschiedlichen Klangfarben tauchen die Zuhörer eindrucksvoll in eine Jagdszenerie, die an Webers Freischütz erinnert. Bei den Jubelklängen und der Hommage an den Wein läuft der Chor der Chorgemeinschaft Neubeuern zu Höchstform auf. Die Klangschönheit und Fröhlichkeit der Darstellung wirkt ansteckend im Publikum. Man bekommt bereits am frühen Tage Lust auf einen guten Tropfen Wein im Glas.
Der
Winterentsteht schließlich musikalisch gemalt aus einem dicken Nebel und frostigen Temperaturen in Adagioform. Querflöten- und Oboenklänge dominieren und führen das hervorragende Orchester in die eiskalten Naturlaunen. Auch hier wieder glänzt die Stimme von Julian Prégardian ganz besonders im Lied des müden Wanderers, wo die Tristess der Freude weicht angesichts des wärmenden Hüttenfeuers, wo er Labung erhofft. In der Arie des Simon von Georg Zeppenfeld, der jetzt auch die dunkleren Farben seines Prachtbasses erscheinen lassen kann, wird noch einmal auf die besonderen Eigenschaften des Winters verwiesen und die Endlichkeit allen Seins mit allen Sorgen und Nöten dargestellt. Im fulminanten Terzett und Doppelchor zum Ende des Konzerts werden musikalisch noch einmal alle Register gezogen und die Hoffnung auf den Frühling und den Glauben an Gott und die Seligkeit ausgedrückt.
Nach fast drei Stunden musikalischem Hochgenuss gehen die Lichter im Großen Saal der Elbphilharmonie wieder ganz langsam an. Das Publikum, zunächst noch ganz verhalten und betroffen, steigert den Applaus in einen lang anhaltenden, frenetischen Jubel für Orchester, Chor, Solisten und den Generalmusikdirektor Kent Nagano. Man ist gespannt auf die noch kommenden neun Philharmonischen Konzerte der Saison 2017/18 im atemberaubenden Konzertsaal der Elbphilharmonie.
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