Hamburg, Elbphilharmonie, Konzert - Einstürzende Neubauten, IOCO Kritik, 22.1.2017
"Einstürzende Neubauten"
Eröffnungsfestival der Elbphilharmonie Hamburg
Nomen est Omen? Greatest Hits Tour-Auftritt der Avantgarde Band aus Berlin im großen Saal der "Elphi"
Von Patrik Klein
Yasuhisa Toyota, der verantwortliche Starakustiker der Elbphilharmonie Hamburg äußerte sich zu den Anfang September 2016 stattgefundenen ersten Proben noch sehr zurückhaltend, asiatisch vorsichtig. "Man wird hören, wie sich die Akustik des großen Saales entwickelt, wenn eine Vielzahl von unterschiedlichen Konzerten stattgefunden hat und ebenso eine Vielzahl verschiedener Genres im Haus in der Hafen City zu beurteilen sind".
Das sagte er allerdings mit einem breiten Lächeln im Gesicht, das die bisherige Zufriedenheit mit den ersten gehörten Noten und Klängen unterstreicht. In den ersten Tagen konnte der glückliche, kartenbesitzende Gast große Orchester, überragende Chöre, Solisten aus der Weltspitze, Klavierabende vom Allerfeinsten und auch Jazzmusik in Hamburgs neuem Musentempel akustisch beurteilen. Bisher sind sich alle einig, dass das musikalische Erlebnis auf allen Plätzen großartig ist, dass es sehr transparent klingt, aber auch alle Misstöne gnadenlos hörbar werden. Gutes wird besser, Schlechtes wird deutlicher wahrgenommen. Auch der Zuhörer muss sich umstellen, da er anderen in die Gesichter schaut und sein mögliches Husten, Rascheln oder im "Kulturbeutel kramen" von anderen wie eine Schußabgabe aus einer Pistole vernommen wird.
Der Coup des Intendanten Christoph Lieben-Seutter, nicht nur große Orchester zum Eröffnungsfestival nach Hamburg zu holen, besteht auch in der Verpflichtung einer deutschen Band, die einem experimentellen Musikstil nachgeht. Mit dem leicht misszuverstehenden Namen Einstürzende Neubauten wagt er auch, Gäste einzuladen, die nicht mit dem "Mainstream" konform gehen.
Die "Greatest Hits Tour" mit Station in Hamburg zeigt, dass die Musikgruppe um Blixa Bargeld (Gesang), Alexander Hacke (Bass), N.U. Unruh (Percussion), Jochen Arbeit (Gitarre) und Rudolf Moser (Percussion) auch nach mehr als 35 Jahren noch immer aktiv ist. Die beiden Konzerte am 21.1.2017 in der Elbphilharmonie waren in Rekordzeit ausverkauft. In den vielen Jahren hat sich allerdings einiges verändert. In den Anfängen haben sich die Einstürzenden Neubauten radikal mit neuen Klängen und Aktionen auseinandergesetzt. Es wurden Fahrzeuge auseinandergeflext, Löcher in Betonwände geschlagen, Eisenschrott, Presslufthämmer und Kreissägen als Musikinstrumente eingesetzt. Mit ohrenbetäubender Lautstärke und wilder Stimmung haben sie ihren Stil entwickelt. Mit Krach und Protest gegen den "Einheitsbrei" der etablierten Musik vernahm man den fortwährenden Ruf nach Anerkennung der Berliner Band. Rebellion und Anarchie waren ihr Markenzeichen.
Heute hat die Musik von den Einstürzenden Neubauten nichts mehr damit zu tun. Sie sind ruhiger und melancholischer geworden. Auch die Bandmitglieder um den "Leader" Blixa Bargeld haben sich von Hausbesetzern in "normale" Bürger der Oberschicht verwandelt mit Maßanzügen statt zerfetzen Jeans, Sternerestaurant statt Currywurstbude. In dem restlos ausverkauften Konzert im Großen Saal der Elbphilharmonie Hamburg zeigt die Gruppe genau diesen Wandel von damals nach heute mit einer Sammlung ihrer "Greatest Hits".
Auf der zentral angeordneten Bühne, mit 2100 Zuhörern um diese herumgruppiert, verzichten die Neubauten auf ein heute bei großen Rockspektakeln übliches Bühnenbild mit digitalen und videotechnischen Effekten. Pure Musik und Text stehen im Fokus, unterstrichen durch optisches Umhüllen in zartes, wechselndes Licht.
Stimmungswechselnd hört man raschelnde Rettungsfolien, herunterfallende Metallspäne, Glockenklänge, Blecheimer, Trennscheiben zerteilen Gegenstände, Trommeln auf Abflussrohren, ein Xylofon aus Plastikrohren vom Baumarkt, eine rotierende Turbine, auf die geschlagen wird, an Gitterrosten wird gekratzt, sogar ein Cello bei "How did I die", zusammengebundene Plastikkannister werden zum Klingen gebracht, Texte werden rückwärts gesungen, Schläge auf ein gespanntes Gummiband und Vieles mehr.
Gesungen wird leise und laut in Deutsch und Englisch, meist sehr textverständlich und klar. Besonders bei den Balladen und leisen Passagen der Stücke. Es gibt viele melodische Songs, die für den nicht eingeweihten Zuhörer sehr eingängig erklingen, aber auch atonaler Klang- und Geräuschbrei, der verstört. Leise und langsam beginnende Stücke entwickelt sich in furiose Raserei und musikalische Aufschreie. Zwischen den musikalischen Beiträgen gibt Blixa Bargeld den ein oder anderen Hinweis auf die Entstehung, erzählt von seinen ersten Erfahrungen beim Gitarre spielen in einem 70 cm hohen Berliner Flutkeller. Einige im Publikum sitzende Zuhörer lachen lauthals, was den Erzähler sichtlich nervt. Das erneute Lachen bringt ihn fast aus der Ruhe. Er wirkt "angekratzt". Bei "Silence is sexy" herrscht einige Minuten völlige Ruhe, bis auf ein paar Fans, die auch hier mit Zwischenrufen glänzen müssen. Blixa scheint irritiert zu sein und fragt später nach, was da so witzig sei. Er bekommt keine Antwort, erntet erneutes Gelächter.
Das letzte Musikstück des Abends ist eines der dynamischsten. Mit langsamen Rhythmen startet "Redukt", wird immer furioser, schneller und lauter, bis an die Schmerzgrenze. Wer die am Konzerthalleneingang verteilten Ohrstöpsel bislang nicht brauchte, setzt sie spätestens jetzt ein. "Frei zu lärmen ohne Schuld" heißt es im Text der "Einstürzenden Neubauten". Der Saal besteht auch diese Probe meisterlich, hält und liefert dazu noch eine glasklare Akustik, auch wenn an wenigen Stellen die Verstärkeranlage der Band an ihre technische Grenze zu stoßen scheint. Die Elbphilharmonie Hamburg dürfte damit auch für weitere zukünftige Bands der "U-Musik" gewappnet sein.
Als die letzten Töne erklingen, verlassen alle Musiker bis auf einen sofort die Bühne und waren nicht wieder gesehen. Es gibt keine gemeinsame Verbeugung vor dem rasenden Publikum, vor dem Bürgermeister der Stadt Hamburg, dem Intendanten der Elbphilharmonie Hamburg und der Fangemeinde, die zugegebenermaßen mit einigen unqualifizierten Zurufen und merkwürdigen Reaktionen an leiser Stelle die Band auch provoziert haben mag. Arroganz? Kunst? Letzte Reste der ehemaligen Rebellion?
Ein fader Beigeschmack eines an sich hörens- und sehenswerten Konzert bleibt.
Setlist des Greatest Hits Konzerts in der Elbphilharmonie Hamburg: 1. The Garden, 2. Haus der Lüge, 3. Lets´s Do it a Dada, 4. Nagorny Karabach, 5. Dead Friends, 6. Unvollständigkeit, 7. Youime & Meyou, 8. Die Befindlichkeit des Landes, 9. Sonnenbarke, 10. Halber Mensch, 11. Sabrina, 12. Susej, 13. Ein leichtes leises Säuseln, 14. How did I die, 15. Silence is sexy, 16. Die Interimsliebenden, 17. Total Eclipse of the Sun, 18. Salamandrina, 19. Redukt
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