Hamburg, Elbphilharmonie, Kammermusikfest - 6 Std. Ausnahmekünstler, IOCO Kritik, 12.03.2017
"Kammermusikfest!" Hamburgische Vereinigung von Freunden der Kammermusik 6-stündiges Programm voller Ausnahmekünstler
Von Sebastian Koik
Sabine Meyer, Renaud Capuçon, Daniel Müller-Schott, Sergei Nakarjakow, Quatuor Modigliani, Cello Duello, Michael Riessler und viele Musiker mehr. Was im Vorfeld schon spannend klingt, wird in der Elbphilharmonie zu einem wahrlich großartigen Fest der Kammermusik voll von unvergesslichen Höhepunkten.
Das Konzert am 4.3.2017 beginnt ähnlich wie das Elbphilharmonie-Eröffnungskonzert ein paar Wochen zuvor. Die Suite für Violoncello solo Nr.3 von Bach wird Satz für Satz von jeweils einem anderen von insgesamt acht Cellisten gespielt, die im ganzen Saal der Elbphilharmonie verteilt sind. Das Schöne an diesem Arrangement ist, dass ein Gefühl für den besonderen Raum der Elbphilharmonie geschaffen wird. Der Zuschauer wird sich des Raumes stärker bewusst, nimmt ihn deutlicher wahr. Auch hört der Zuschauer, dass der Klang von den Cellos im obersten Rang genauso gut ist wie von der Bühne. Puristisch betrachtet lenkt der „Show-Effekt“ einer solchen Verteilung der Instrumente im Raum nicht gerade wenig von der Musik ab. Da das Spiel mit dem Raum nicht übertrieben wurde und es eine nette Geste ist, der Spielstätte beim ersten Besuch eine Referenz zu erweisen, kann man das aber durchaus so machen. Im zweiten Stück des Abends spielt Sergei Nakarjakow mit wunderbar weichem und sehr edlem, warmen, angenehm tiefen Klang Flügelhorn. So elegant hat man dieses Instrument noch nie gehört! Er spielt zusammen mit seiner Schwester am Flügel ein Schumann-Stück, das ursprünglich für Klarinette geschrieben wurde, von dem auch Versionen für Cello oder Violine bekannt sind, aber so wie heute auf dem Flügelhorn nur sehr, sehr selten zu hören ist. – Es gibt wohl auch niemanden, der das auf diesem Instrument besser spielen kann als Sergei Nakarjakow. Sein Spiel ist das erste Highlight des Kammermusikfests. Danach spielen Renaud Capuçon an der Violine und Daniel Müller-Schott am Cello ein sehr virtuoses Stück von Johann Halvorsen nach einem Thema von Georg Friedrich Händel. Besonders der Geigenpart ist halsbrecherisch und wird von Capuçon ganz bravourös gemeistert. Das zweite Highlight des Abends.
Danach tritt das Quartett Quatuor Modigliani mit einem Streichquartett von Antonín Dvorák auf. Es ist ein sehr, sehr schönes Stück – ganz besonders der zweite Satz! Herrlich, wie vor allem die Geigen und die Bratsche hier singen! Zum Schluss singt dann das Cello solo und die beiden Violinen und die Viola machen den Rhythmus. Das Quartett spielt ganz wunderbar und sprüht geradezu vor Musikalität! Das macht enorm viel Spaß! Für mich bereits der dritte große Höhepunkt im erst vierten Auftritt.
Im fünften Stück singt die Sopranistin Christiane Karg die Bacchiana brasileira Nr. 5 von Heitor Villa-Lobos. Die Sängerin präsentiert sich hier mit sehr viel Atem und sehr schönen, wechselnden Stimmfarben – zunächst warm und später heller, metallischer, härter. Das ist klasse gesungen und sehr schön begleitet von den acht Cellisten aus dem ersten Stück. Der nächste Höhepunkt.
Der zweite Programmblock des Abends ist drei Stücken von Franz Schubert gewidmet. Der Moderator und Vereinsvorsitzende Ludwig Hartmann erzählt, dass ursprünglich Menahem Pressler Pianist des heutigen Abends sein sollte, dieser aber dann doch schweren Herzens absagen musste, weil er gerade in Übersee an einer neuen Aufnahme arbeite. Leider war es ihm nicht machbar für diesen Abend nach Hamburg zu kommen. Dafür hat Menahem Pressler bereits fest für ein Konzert am 3. April 2018 in der Laeiszhalle zugesagt. Vertreten wird Pressler heute Abend vom ebenfalls sehr renommierten Pianisten Ian Fountain. Christiane Karg und Ian Fountain präsentieren gemeinsam eine Liedgruppe aus fünf Schubert-Liedern und es ist der erste Auftritt des Tages, der für mich nicht überzeugend ist. Das ist irgendwie schon gut gesungen, doch werden die Figuren der Lieder von der Sängerin für mich nicht wirklich verkörpert, nicht wirklich eine Geschichte erzählt, wie das bei geglückten Interpretationen von Schubert-Liedern der Fall ist. Auch der Pianist überzeugt mich in diesen Liedern nicht. Sein Spiel erscheint mir zu zögerlich und seltsam gebremst. Es fehlt Frische und Spritzigkeit. Am besten gefällt „Gretchen am Spinnrade“, das Christiane Karg mit sehr viel Leidenschaft singt, aber auch hier ist sie für mich nicht in der Rolle drin.
Deutlich besser gefällt mir der Pianist im folgenden Stück, für das er gemeinsam mit Renaud Capuçon und Daniel Müller-Schott auf der Bühne steht. Ian Fountain spielt hier quirlig und spritziger als zuvor. Auch hat er in dem Stück vom Komponisten den meiner Meinung nach besten Part zugedacht bekommen – die beiden hervorragenden Streicher können in diesem Klaviertrio nicht wirklich glänzen. Der ganz große Höhepunkt des Abends folgt mit Schuberts Oktett F-Dur D 803, das von Sabine Meyer an der Klarinette angeführt wird und neben den Quatuor Modigliani-Quartett noch aus dem Hornisten Bruno Schneider, Dag Jensen am Fagott und Knut Erik Sundquist am Kontrabass besteht. Das sind alles ganz wunderbare Musiker! Sie spielen so herrlich spritzig, quirlig-frisch und lebendig, dass es eine wahre Freude ist! Und auch sie genießen das Musizieren unter Gleichgesinnten, der Spaß am Musizieren ist diesen Ausnahme-Musikern deutlich anzusehen! Das ist ein absoluter kammermusikalischer Leckerbissen! Strahlend schön der Klang der Klarinette. Schöner kann eine Klarinette nicht klingen, als dieses Instrument in den Händen dieser Weltklasse-Künstlerin Sabine Meyer! Der Kontrabassist ist ebenfalls Weltklasse. Einen besseren Kontrabassisten habe ich noch nie zuvor gehört. Großartig auch die vier jungen Herren von Quatuor Modigliani. Herrlich anzuschauen, mit wie viel Spaß sie musizieren und herrlich, wie die Bläser und ganz besonders die Klarinette in diesem Stück oft mit den Streichern in einen wunderbaren Dialog treten. Es herrscht eine wunderbare Spannung im Musizieren dieser zusammengewürfelten Formation. Toll auch das Horn und das Fagott. Das wunderbare Schubert Oktett in dieser unübertrefflichen Besetzung ist für mich das Herzstück des Abends. Dieser achte von insgesamt vierzehn Auftritten des Abends ist für sich allein schon ein kammermusikalisches Fest par excellence!
Und es geht weiter mit musikalischen Höhepunkten. Im zehnten Auftritt des Abends ertönt unter anderem eine großartig klingende Drehorgel. Zusammen mit den Klarinettisten vom Trio Clarone und Michael Riessler klingt das ganz fantastisch. Sabine Meyer spielt zwei ganz wunderbare und hochvirtuose Klarinettensoli. Das ist das Beste und Schönste, was ich jemals auf der Klarinette gespielt gehört habe! Danach ein großartiges Solo auf der Bassklarinette von Michael Riesler. Ebenfalls ein Fest. Danach ein sehr spannender Teil, in dem mehrere Klarinetten wundervoll von der Drehorgel begleitet werden und schönste und sehr faszinierende, ungewöhnliche Klangwelten erschaffen werden. Auch hier haben all‘ die hervorragenden Musiker auf der Bühne sichtlich großen Spaß am gemeinsamen Musizieren.
Danach tritt das Cello Duello mit Jens-Peter Maintz und Wolfgang Emanuel Schmidt auf, das bereits 25-jähriges Bühnenjubiläum feierte. Sie spielen maximalvirtuose Stücke von Joseph Haydn und Niccoló Paganini und meistern diese wunderschöne Musik ganz großartig! Auch dieser Auftritt ist für sich allein schon ein großes kammermusikalisches Fest! Die technisch extrem anspruchsvolle Musik wird nicht nur spieltechnisch grandios gemeistert, sondern auch mit herrlicher Musikalität gespielt! Diese spielerische Klasse, diese enorme Meisterschaft des Instruments ist fast unwirklich gut, erscheint fast wie nicht von dieser Welt. Das ist atemberaubend und ein weiterer unvergesslicher Höhepunkt des Abends. Diese Musik könnte ich ewig hören! Es ist bereits 5 Stunden und 15 Minuten nach Konzertbeginn und von Müdigkeit ist keine Spur. Ich bin hellwach und begeistert.
Im folgenden Auftritt brilliert Renaud Capuçon mit Geigenspiel mit extrem viel Seele. Christiane Karg und Ian Fountain neben ihm musizieren nicht schlecht, überzeugen aber nicht so ganz. Im dreizehnten und vorletzten Auftritt des Abends tritt wieder Sergei Nakarjakow auf. Er spielt das extreme Virtuosität forderndes Stück „Carneval in Venedig“ von Jean-Baptiste Arban, das er souverän meistert. Es ist das wohl technisch anspruchsvollste Trompetenspiel, das ich jemals gehört habe und es wirkt bei ihm so selbstverständlich, natürlich und leicht. Er kann so spielen, dass es wie von zwei Instrumenten gespielt erscheint. Er kann eine Stimme spielen und wie magisch spielt er parallel dazu mit unfassbarer Geschwindigkeit eine zweite Stimme. Es wirkt fast wie die Aufhebung physikalischer Gesetze. Das Trompetenspiel von Sergei Nakarjakow ist ein unvergessliches Erlebnis.
Zum Abschluss gibt es von den vier jungen Herren des SIGNUM Saxophone Quartet noch etwas andere, jazzigere Klänge ein wenig abseits vom klassischen Kammermusik-Repertoire. Das ist zwar technisch sehr, sehr gut gespielt, vermag mich aber anders als so gut wie alles andere am heutigen Abend gehörte nicht zu berühren. Um 18 Uhr begann das Kammermusikfest in der Elbphilharmonie und um kurz nach Mitternacht endete es. Unterbrochen von zwei Pausen gab es in vierzehn Auftritten mehrere Stunden lang Kammermusik in hoher bis höchster Qualität. Keinen Moment war es langweilig. Auch nach Stunden kam keine Müdigkeit auf. Die Zeit verging im Fluge. Das Publikum war hellauf begeistert.
Das erste Kammermusikfest der wunderbaren Hamburgischen Vereinigung von Freunden der Kammermusik in der Elbphilharmonie war ein ganz wundervolles und unvergessliches Musikereignis, das voll von musikalischen Höhepunkten der absoluten Extraklasse war. Ein ganz, ganz großes Lob den Veranstaltern für die großartige Musikerauswahl und Programmgestaltung für das Kammermusikfest. Und ein riesengroßer Dank für 95 Jahre Bereicherung der Hamburger Kulturlandschaft mit weit mehr als 1000 auf die Beine gestellten Konzerten. Danke für diese Freude schenkende ehrenamtliche Arbeit, die das Leben vieler Musikfreunde in Hamburg schöner macht.
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