Halfing, Immling Festival 2024, DIE DREIGROSCHENOPER – Bertolt Brecht (Text) und Kurt Weill (Musik), IOCO

Die Dreigroschenoper in Immling: das erfolgreichste Theaterstück des Erfolgsduos Brecht/Weill entführt in das viktorianische London wo Liebe, Betrug und Verbrechen aufeinanderprallen.

Halfing, Immling Festival 2024, DIE DREIGROSCHENOPER – Bertolt Brecht (Text) und Kurt Weill (Musik), IOCO
Das-Festspielhaus-Immling-Außenansicht - Foto © Sabine Rogler

von Marcus Haimerl

Ursprünglich war eine auf anderthalb Stunden gekürzte Fassung von Die Dreigroschenoper beim Opernfestival auf Gut Immling vorgesehen, doch wurde dem Team um Regisseurin Verena von Kerssenbrock von den Erben Bertolt Brechts und dem Suhrkamp-Verlag eine klare Absage erteilt. An der Textfassung des Theaterstücks mit Musik von Bertolt Brecht und Kurt Weill dürfen keinerlei Kürzungen vorgenommen werden. Somit kommt das Publikum in dieser Saison in den Genuss der vollständigen Originalversion des Stücks.

Die Dreigroschenoper basiert lose auf John Gays (1685-1732) The Beggars Opera, welche von Brechts Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann übersetzt wurde, nachdem sie 1927 in London eine Aufführung gesehen hatte. Die Dreigroschenoper zählt zu den bedeutendsten Werken der deutschen Theatergeschichte. Dieser Meilenstein des epischen Theaters wurde am 31. August 1928 im Theater am Schiffbauerdamm in Berlin uraufgeführt. Zur Besetzung zählten unter anderem Harald Paulsen als Mackie Messer, Erich Ponto als Jonathan Jeremiah Peachum und Kurt Weills Ehefrau Lotte Lenya als Jenny.

Die Handlung spielt im Londoner Stadtteil Soho und erzählt die Geschichte des Verbrechers Mackie Messer (auch bekannt als Macheath), der durch kriminelle Machenschaften und seine Beziehung zu verschiedenen Frauen zu zweifelhaftem Ruhme gelangt ist. Er heiratet heimlich Polly, die Tochter des Bettlerkönigs Peachum. Dieser ist empört und plant, Mackie an die Polizei zu verraten.

Die Handlung ist ein beißender Kommentar zur sozialen Ungerechtigkeit und Korruption der bürgerlichen Gesellschaft, sie kombiniert das Drama mit epischen Theatertechniken, um die Zuschauer zum Nachdenken anzuregen. Das Stück endet mit einer ironischen Wendung, die die Doppelmoral und den Zynismus der Gesellschaft aufzeigt. Durch die Mischung von Unterhaltung und kritischer Reflexion bleibt Die Dreigroschenoper ein einflussreiches und oft aufgeführtes Werk des modernen Theaters.

Immling Ensemble & Chor - Photo © Verena von Kerssenbrock

Für die Produktion beim Immling Festival entschied sich Verena von Kerssenbrock (Inszenierung und Bühnenbild) die Handlung im Insektenreich anzusiedeln (Kostümbild: Lilli Hartmann), wobei der Großteil des Volkes Fliegen sind, während die Polizei Kakerlaken darstellen. Dominiert wird der Bühnenhintergrund durch ein riesiges Spinnennetz, welche die Regisseurin als Symbol für die Netzwerke Peachums und Macheats sieht. So wie Letzterer am Ende begnadigt wird, finden auch die Reichen immer wieder einen Weg aus dem Netz. Die Regie Kerssenbrocks überzeugt durch eine starke Personenführung, wohingegen die Verlagerung der Handlung ins Insektenreich keinen Mehrwert bringt, dem Werk aber auch nicht schadet.

Hans-Georg Priese, schon im Vorjahr als Herodes in Immling zu erleben, bringt eine glaubwürdige Mischung aus Charme und Bedrohlichkeit in seine Rolle des berüchtigten Verbrechers Mackie Messer alias Macheath. Mit seinem schlanken, kraftvollen Tenor verleiht er den ikonischen Liedern, wie dem Kanonen-Song und der Ballade, in der Macheath jedermann Abbitte leistet, eine besondere Intensität, die Mackie Messer sowohl als unwiderstehlichen Verführer als auch den eiskalten Gangster zeigt. Priese meistert die Balance zwischen diesen beiden Facetten der Figur mühelos und fasziniert durch seine starke Bühnenpräsenz.

In der Rolle des Jonathan Jeremiah Peachum bietet Uli Bauer eine nuancierte Darstellung des skrupellosen Bettlerkönigs. Seine Interpretation dieser komplexen Figur ist durchdrungen von Zynismus und bitterem Humor. Bauer zeigt gekonnt die Heuchelei und den Opportunismus, die Peachum auszeichnen, und trägt wesentlich zur kritischen Schärfe des Stücks bei.

Ruth Müller begeistert als Mrs. Peachum mit ihrem ausdrucksstarken Mezzo. Ihre Interpretation der Ballade von der sexuellen Hörigkeit zählt zu den Höhepunkten des Abends. Auch ihre starke Bühnenpräsenz und ihre Darstellung der besorgten, aber ebenso berechnenden Ehefrau fügt der Figur Tiefe hinzu und schafft eine interessante Dynamik mit Uli Bauers Mr. Peachum. Ruth Müller gelingt es, die innere Zerrissenheit und den Ehrgeiz ihrer Figur überzeugend darzustellen.

Mrs. Peachum – Ruth Müller - Mr. Peachum – Uli Bauer - Photo © Verena von Kerssenbrock

Auch Anika Paulick als Polly Peachum liefert eine bemerkenswerte Leistung ab. Ihr klarer und kräftiger Sopran bringt sowohl die Unschuld als auch die überraschende Entschlossenheit von Polly zur Geltung. Großartig ihre Darbietung der Seeräuber-Jenny. Paulick verkörpert die Entwicklung von der naiven Tochter zur entschlossenen Geschäftsfrau glaubhaft und berührt das Publikum.

Johannes Faber als Mr. Brown und Maria Helgath als seine Tochter Lucy Brown ergänzen das Ensemble hervorragend. Faber überzeugt als korrupter Polizeichef, der zwischen Loyalität und persönlichen Vorteil hin- und hergerissen ist. Helgath bringt mit ihrem schönen Mezzo eine leidenschaftliche und zugleich verletzliche Seite der Lucy zum Vorschein, was die Konflikte innerhalb der Geschichte weiter verstärkt (Eifersuchtsduett).

Flaka Goranci als Spelunkenjenny verleiht der Rolle der verräterischen Geliebten eine bemerkenswerte Tiefe. Mit ihrem dunklen, warmen und kraftvollen Mezzo bringt sie die Tragik und Resignation Jennys eindrucksvoll zur Geltung. Ihre Stimme verleiht dem Salomon-Song eine unglaubliche Emotionalität und stellt damit ein Highlight des Abends dar. Darstellerisch schafft es Flaka Goranci, die Bitterkeit und gleichzeitig die verletzte Würde ihrer Figur spürbar zu machen.

Mackie Messer – Hans-Georg Priese - Jenny – Flaka Goranci - Photo © Verena von Kerssenbrock

Lukas Gahabka als Moritatensänger (sowie in der Sprechrolle Ede) rundet das Ensemble ab und beeindruckt das Publikum mit seiner schönen und einprägsamen Stimme bei seiner Darbietung der Moritat von Mackie Messer und setzt damit einen dramatischen Ton für das ganze Stück.

Glänzend besetzt sind auch die kleinen Partien: Jamal Braun (Filch), Stefan Kastner (Konstabler Smith), Birgit Gillemot (Ein Konstabler), Michael Feneberg (Pastor Kimball), Jonathan Specht (Trauerweidenwalter), Hans-Jürgen Bertram (Hakenfingerjakob), Bruno-Mirko Markov (Münzenmatthias), Martin Sulkowski (Sägerobert), Valentin Bodler (Jimmy), Lena Winzenburg (Dolly), Simone Lang (Betty), Susanne Szermedy (Vixer), Sue McInerey (Molly), Judith Pfister (Erste Hure), Elisa Unterseer (Zweite Hure), Gabriele Müller (Alte Hure), Uschi Zobelt (Bettler) und Devilal Chaudhary (Bote des Königs).

Daniel Spaw am Pult des Festivalorchesters Immling hebt die Aufführung auf ein beeindruckendes Niveau. Es gelingt ihm gemeinsam mit dem Orchester die vielschichtigen musikalischen Facetten von Kurt Weills Musik mit äußerster Präzision darzubieten.

Die Dreigroschenoper ist eine gelungene Produktion des Immling Festivals, die vor allem durch die Leistungen des gesamten Ensembles besticht, die den komplexen Charakteren Brechts mit starker darstellerischer und gesanglicher Leistung gerecht wird. Das Publikum dankte den Künstlern mit viel Jubel und Applaus.

Die Dreigroschenoper ist noch bis Anfang August in Immling zu sehen. Weitere Termine: 12.7., 21.7. und 3.8.2024.

Karten unter den jeweiligen Terminen hier: https://www.immling.de/dreigroschenoper/