Hagen, Theater Hagen, Otello - Verdi und Shakespeare - Musikdrama Pur, IOCO Kritik, 07.06.2014
Verdis Oper Otello wurde 1887 in Mailand mit triumphalem Erfolg nach langer Schaffenspause uraufgeführt. Nach seinem Aida-Erfolg in 1871 hatte sich Verdi entschlossen, nicht mehr zu komponieren. Der Menschenfreund war pöbelnden Kritiken, wie jener von Richard Strauss, "Indianermusik", nicht gewachsen. Die Verwaltung seines Landgutes wurde zum neuen Mittelpunkt seines Lebens. Doch 1879 stellte der Verleger Guilio Ricordi Kontakt zu Arrigo Boito und dessen Otello-Operntext her. Verdi war von Text und Thema begeistert. Weiter entwickeltes Musikverständnis führten Ende 1886 zu einem neuen "Verdi": In Otello verzichtet Verdi auf Ouvertüre und Vorspiele, nähert Rezitativ den Arien an. Melodisch-rhythmische Harmonik und Sensibilität besitzen in Otello Vorrang vor dramatischer Gewichtung oder Massivität, bilden einen „italienischen“ Ausdruck. Als durchkomponiertes Musikdrama voll menschlicher Züge wirkt Otello revolutionär zu früheren Opern Verdis. Verdis Vertonung transponiert Shakespeares Otello - Drama auf eine neue, künstlerisch höhere Ebene.
Mit großem italienischen Verdi-Verständnis brachte das Theater Hagen Otello auf die Bühne. Die komplexe Shakespeare-Tragödie, Konflikte und emotionale Zustände werden in Musik und Personenführung sensibel abgebildet. Regisseurin Annette Wolf und Jan Bammes nutzen für das Bühnenbild spartanische, zeitlich neutrale Requisiten: Dunkel gehaltene Bühne, gleißende Seitenvorhänge, Projektionen, Montagegerüste. Der Fokus der Inszenierung liegt in der Führung des riesigen Ensemble, in der Musik. Der subtil intrigierende Jago (Raymond Ayers) agiert ruhelos zwischen Soldaten in Kampfuniformen, mustert, bewertet mit einem Hauch des Bösen. Der Verrat ist zwar gegenwärtig;doch verharmlost das optisch Unauffällige des Jago ein wenig die Perfidität seines Handelns. Otello (Ricardo Tamura) wandelt sich unter Jagos Intrigen vom kraftvollen Befehlshaber zum unkritisch hilflosen Mörder der unschuldig agierenden Desdemona (Veronika Haller). Die Katastrophe wird unvermeidlich: Otello tötet Desdemona, richtet sich anschließend selbst, Jago flieht. Mimik, Gestik und Choreographie geben dem Spannungsbogen mitreißende Dramatik.
Verdi-Experte Florian Ludwig und sein gut disponiertes Philharmonisches Orchester präsentierten einen spürbar „italienisch“ strukturierten Otello. Fein, doch immer präzise konturieren sie Otello in dramatischem Aufriss, mit sprunghafter Direktheit der Emotionen. Heftig blitzt nach der kürzesten aller Ouvertüren ein greller Tuttiakkord. Man spürt den Sturm in zuckenden Tonfluten und einer lodernden a-moll-Apokalypse. Großartig, wie Dirigent, Orchester und Ensemble im plakativen Trinklied gemeisam mit dem zunehmend betrunkenen Cassio (Kejia Xiong) kompositorisch gefordert den „Takt verlieren“, wieVerdi-gerecht in der Huldigungsarie der Desdemona Mandolinen erklingen. Sensibel lyrisch nehmen Ludwig und Orchester den Besucher gefangen, bannen bis zur verloren tragischen Schlussmelodie des Otello.
Der Brasilianer Ricardo Tamura, (einziger Gast, MET, Verona) formt, mit bestechend melodiösem wie kraftvoll ausgestattetem italienischem Timbre, die große Tenor-Partie eines zunächst selbstbewußten, aber zunehmend verunsicherten Otello mitreißend; schönstimmig. Ohne stimmliche Müdigkeit und, danke, nicht als tumber Schwarzer plakatiert. Der abgründige Gegenspieler Jago, Raymond Ayers, dominiert das Geschehen in seinem Rollendebut mit erstaunlich sicherem, lyrisch beweglichem Bariton. Er strahlt dabei als glatter Manipulator denn als Kämpfer des Bösen. Seine zentrale Arie „Credo in un Dio crudel“ (Ich glaube an einen grausamen Gott..) singt Ayers mit großer Dämonie und bannender sprachlicher Prägnanz. Otello ist jedoch insgesamt ein Stimmfest, und eine zarte Veronika Haller als unschuldige Desdemona verzaubert in ihrem Rollendebut besonders nach der Pause mit üppiger Mittellage, zartem Legato und Höhenpiani. Ihr demütiges "Lied von der Weide" und "Ave Maria" zum Ende des dritten Aktes ließ nur hart gesottene Zuhörer unberührt. Der junge Chinese Kejia Xiong zeigt mit hellem Tenor, einen stimmlich wie darstellerisch präsenten Cassio. Marylin Bennett als Emilia, Richard van Gemert als Rodrigo, Rainer Zaun als Lodovico und Orlando Mason als Montano, alles Gefangene im Netz von Zerrissenheit und Bösem, runden eine glanzvolle Ensembleleistung des Theater Hagen stimmlich und darstellerisch ab.
IOCO / Viktor Jarosch / 7. Juni 2014
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