Das Theater Hagen feiert den 100. Geburtstag. Ein guter Grund für IOCO, mit Nobert Hilchenbach, seit 2007 Intendant des Theater Hagen, über sein Haus, über Theater - Besessenheit und Zwänge des Theateralltags in Hagen zu sprechen.IOCO: Herr Hilchenbach, Ihr Theater Hagen feiert den 100. Geburtstag. Ihre 5. Spielzeit in Hagen beginnt. Wie geht es Ihnen?Hilchenbach: Mit geht es sehr gut in Hagen. Der Zuspruch der Bevölkerung zum Theater Hagen wächst stetig. Meine 280 Mitarbeiter am Hauses produzieren großartiges Theater. Finanziell müssen wir kämpfen, wie viele andere Theater. Aber wir tun das sehr erfolgreich, und ich bin stolz, zum geschichtsträchtigen 100. Geburtstag, Intendant dieses Hauses zu sein.IOCO: Der Zuspruch wächst stetig, sagen Sie. Wie drückt sich der Zuspruch aus, wie stellt er sich in Zahlen dar?Hilchenbach: Obwohl die Bevölkerungszahl in Hagen sinkt, steigern wir die Besucherzahl am Theater Hagen stetig. Nicht spektakulär, aber merklich: In den letzten drei Jahren von 168.000 auf 175.000. Die Auslastung des Theater Hagen liegt insgesamt bei über 75%. Hauptsächlich bei Musical und Operette erreichen wir Auslastungen von 90% und mehr. 450 Veranstaltungen produzieren wir pro Spielzeit. Und wir haben, was uns sehr freut, stabil über 6.500 Abonnenten. Diese Zahlen und die durchweg positive Resonanz in der Kritik sind meinen Mitarbeitern und mir Zuspruch und Bestätigung, dass das Theater Hagen insgesamt auf einem guten Weg ist.IOCO: Mit welchen Inhalten gewinnen Sie diesen Zuspruch? Welche Zielgruppe sprechen Sie bevorzugt an?Hilchenbach: Das Theater Hagen ist ein regional und darüber hinaus bedeutendes Theater, an das ein breites Publikum – und wir natürlich auch – hohe künstlerische Anforderungen stellt. Dabei möchten wir heutiges, phantasievolles und sehr spielerisches Theater machen, für viele Gruppen, für die verschiedensten Menschen. Mit Musik- und Tanztheater, Kinder- und Jugendtheater und Konzerten – anregend und aufregend.. Ein wichtiger Schwerpunkt unserer Arbeit ist das moderne (amerikanische) Musiktheater. So haben wir in den letzen Jahren u.a. Werke wie Dead Man Walking, Endstation Sehnsucht, Street Scene oder Gegen die Wand erfolgreich auf die Bühne gebracht. Ein ganz besonderes Augenmerk legen wir – nicht nur in unserem Kinder- und Jugendtheater – auf die Kommunikation mit jungen Menschen. Wir haben einen Kindertheatertag ebenso wie einen Philharmonischen Kindertag eingeführt. Hunderte von Kindern strömen außerdem zur Schnitzeljagd: Instrumente werden vorgestellt, Künstler vor und hinter der Bühne erklären ihre Aufgaben im Theater. Gemeinsam mit dem Theaterförderverein haben wir die Reihe Jeder Schüler ins Theater ins Leben gerufen. Mehreren tausend Schülern wird damit pro Spielzeit der kostenlose Theaterbesuch ermöglicht. Hinzukommt ein breit gefächertes theaterpädagogisches Programm und natürlich unser Kinder- und Jugendtheater lutz, das Anfang des Jahres sein 10-jähriges Bestehen und damit eine sehr engagierte und abwechslungsvolle Arbeit feiern konnte. Ganz eindeutig: Kinder und Jugendliche stehen besonders "im Visier" unseres Hauses. IOCO: Kommen wir zu den leidigen Finanzen, ohne die bekanntlich "nichts los ist". Wie sind die ökonomischen Zwänge eines Intendanten in Hagen?Hilchenbach: Die ökonomischen Zwänge am Theater Hagen sind groß. Im ersten Jahr meiner Intendanz wurden die Zuschüsse um €800.000 oder 6% gekürzt. Bis 2011 sind die Kürzungen weiter, auf €1,5 Mio jährlich oder 11% des Etats 2007 gestiegen. Die Mitarbeiterzahl ist auf 280 gesunken, die Zuschüsse betragen etwa €14 Mio. Selbst erwirtschaftete Einnahmen betragen über €3 Mio, hinzu kommen erhebliche Spenden Hagener Firmen, der Serviceclubs, des Theaterfördervereins und andere. Gerade erst hat die Sparkasse Hagen den Löwenanteil an den Kosten zur Fassadensanierung des Theaters übernommen. Durch strenges, wirtschaftliches Verhalten schaffen wir es so, unseren anspruchsvollen Theaterbetrieb aufrecht zu halten. Darauf sind wir stolz. Ein eingeschränkter Theaterbetrieb wäre eine Katastrophe für uns und die Region, künstlerisch wie bildungspolitisch und sozial. Diesen Gau gilt es, unter allen Umständen zu vermeiden. So prüfen wir auch, durch größere Selbstständigkeit des Theaters marktwirtschaftliche Optionen besser zu nutzen. Alles fließt.....IOCO: Ihre Jugendarbeit ist sehr breit angelegt. Wie passt ihr starkes Jugend- und Kinderbezogenes Programm in die heutige finanzielle Landschaft?Hilchenbach: Kinder- und Jugendarbeit im Theater Hagen haben eigene Gesetze: In den letzten 20 Jahren hat das Theater Hagen immer mehr soziale und bildungsrelevante Aufgaben übernommen. Trotz der, oder besser, zusätzlich zu den wachsenden finanziellen Zwängen. Grund dafür ist der Versuch des Theater Hagen, gesamtgesellschaftliche Defizite über soziale und pädagogische Projekte zumindest zu mildern. Die Zusammenarbeit mit u.a. Brennpunktschulen, der JVA Iserlohn, den Hagener Berufkollegs, arbeitslosen Jugendlichen, Migranten und vieles mehr sind Ausdruck für die Positionierung des Theater Hagen inmitten des realen Lebens der Stadt Hagen. Durch diese zusätzlichen Aufgaben ist das Theater Hagen nicht nur allabendlich auf der großen Bühne mit seiner Kunst präsent; wir spielen und wirken auch außerhalb unseres Theaters. Diese erweiterte, gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist heutzutage für viele Theater nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich ist der Umfang, den – erst recht angesichts unserer Kapazitäten - diese Arbeit in Hagen einnimmt. Aber, wir tun dies gern. Diese sozialen Aufgaben inspirieren auch unsere großen Bühnenprojekte.Auf der Einnahmeseite können sie sich natürlich nur bedingt bemerkbar machen.IOCO: Kommen wir also zum Künstlerischen: Es ist bekannt, dass Sie gerne am Theater Hagen auch inszenieren. Was inszenieren Sie am Liebsten?Hilchenbach: An einem mittlerenTheater wie dem Theater Hagen muss jeder Mitarbeiter Multitalent sein. Sänger, Tänzer, Choristen: Alle werden in den verschiedensten Rollen und Partien eingesetzt. Dass ich in Hagen inszeniere, hat ebenso mit meinen künstlerischen Neigungen wie mit ökonomischer Notwendigkeit zu tun: wenn der Intendant selbst inszeniert, muss er keinen Gastregisseur bezahlen. Aber ich tue das mehr als gerne und finde in der Inszenierungsarbeit große künstlerische Erfüllung. Was ich am liebsten inszeniere? Immer das Stück, bei dem ich aktuell Regie führe und das ist zur Zeit das Märchen zur Weihnachtszeit. Rotkäppchen wird am 27.11.2011 seine Premiere haben. Keine alte Märchenbetulichkeit und Kindertümelei, sondern alte Märchen in heutigen Fassungen mit zeitgemäßer Musik locken in jeder Spielzeit 30.000 Kinder ins Theater Hagen. Diese Arbeit für Kinder ist mir sehr wichtig, wenngleich ich natürlich Werke des Musiktheaters, wie den kommenden Don Giovanni, Premiere am 5. Mai 2012, nicht weniger gerne inszeniere. Und ich wünsche mir, dass die Don Giovanni-Produktion bei den "Großen“ ähnlichen Besucherandrang und Begeisterungsstürme auslöst wie unsere Märchen zur Weihnachtszeit bei den "Kleinen“.IOCO: Letzte Frage: Der 100. Geburtstag des Theater Hagen wird im Oktober 2011 gefeiert. Was haben Sie vor im Oktober 2011, in diesem Jubiläumsjahr 2011/12?Hilchenbach: Viel, sehr viel. So viel, dass es sich hier gar nicht aufzählen lässt. Eine heiße Phase gibt es mit der Festwoche vom 5. - 9. Oktober 2011 und zahlreichen Aktivitäten: Am 5. Oktober, 11 Uhr: Der große Festakt im Großen Haus. In der Folgezeit der Festwoche ein Sondergastspiel der Münchner Lach- und Schießgesellschaft, LoriotsRing an einem Abend, ein Internationales Oktoberfest, die 4. Internationale AIDS-TanzGala, die erste Hagener Theaternacht , ein Theaterfestzelt und vieles mehr. Für die kommende Spielzeit haben wir im Theater und im Konzert ein anspruchsvolles Programm zusammengestellt mit La Bohème, Don Giovanni, Hänsel und Gretel, Fledermaus, Barbier von Sevilla, Rocky Horror.....Zu lang, zu viel alles aufzuführen. Schreiben Sie nicht nur darüber, kommen Sie einfach.IOCO: Herr Hilchenbach, wir wünschen Ihnen, Ihren Mitarbeitern, Ihrem Theater Hagen eine spannende Festwoche, weitere so großartige Kunst wie Ihren Maskenball, viel öffentlichen Zuspruch und großmütige Stadtväter. Danke für das Gespräch. IOCO / Viktor Jarosch / 25.9.2011