Hagen, Theater Hagen, Die spinnen, die Römer - Slapstick Comedy, IOCO Kritik, 18.10.2014
Die spinnen, die Römer - Stephen Sondheim
Prickelnde Slapstick Comedy
Von Viktor Jarosch
Premiere: 18.10.2014; Weitere Vorstellungen: 24.10.2014; 31.20.2014 und mehr
Versprochen, gehalten: “Was Familiäres, was Populäres, etwas für Jedermann – Komödie gibt´s heut.. Vertrautes, Geklautes“, verspricht Pseudolus (deutsch Lügenmaul) zur Eröffnung des prallen Musicals Die spinnen, die Römer im Theater Hagen. „Tragisch wird´s morgen, komisch wird´s heut". Pseudolus hält Wort: Über zwei Stunden hält Stephen Sondheims Musical die Besucher des Theater Hagen mit eigenem Humor außer Atem: Schwüle Liebesnöte, brachialische Verwechslungen, notorische Sprachfehler, stolpernde Soldaten, Tritte in Hintern wechseln mit brillantem Wortwitz, feiner Musik und deftigen Überzeichnungen.
1962 ließ Stephen Sondheim (1930) sein sperrig betiteltes Musical A Funny Thing Happended on the Way to the Forum (deutsch Die spinnen, die Römer) auf den New Yorker Broadway los. Eine aberwitzige Farce, nicht auf den gallischen Asterix oder Obelix basierend, sondern auf Komödien des antiken Dichters Titus Maccius Plautus, kompiliert von Burt Shelove und Larry Gelbart. Seine Nähe zur Showlegende Oscar Hammerstein beeinflusste Sondheim schon als Kind. Zu einem Giganten der Musicalwelt mutierte er spätestens 1957, als er die Texte zu Leonard Bernsteins West Side Story schrieb. Das Theater Hagen ist seit Jahren Sondheim-Fan: Seine Musicals Sweeney Todd und Into the Woods wurden schon am Theater Hagen aufgeführt, mit überragendem Erfolg.
Annette Wolf, Slapstick-Debütant am Theater Hagen inszeniert eine mitreißende, von Überzeichnung, Irrwitz und Bewegung getriebene Komödie. Nicht Arien, sondern atemberaubende Sing- und Sprechtempi mit komplexen Partituren fordern Choreographie, Ensemble und Bühnentechnik. Und es fasziniert, wie Alfonso Palencia mit witziger schnell changierender Choreographie, Lena Brexendorff mit frivol, deftig, bunten Kostümen dem Stück Spaß und Spannung verleihen. So verzauberten 23 Chormitglieder (Wolfgang Müller-Salow) nicht nur stimmlich sondern auch in 76 Statistenrollen als Neugierige/r, Bürger/in, Hawaiianer/in, Kurtisane, Vibrata, Engel, Papst, Gefangener, Mafiosi, Tourist, Eunuch, Soldat und mehr. Dazwischen zauselt der alte Römer Erronius (Werner Hahn) mit Plastik-Rollator. Und man staunt, denn der choreographische Irrwitz gelingt blendend: Darstellerisch wie logistisch. Ohne überladen zu wirken. Dass man als Besucher in der Pointenschleuder gelegentlich den Überblick verliert, tut dabei nicht weh. Denn der nächste Schmäh kommt schnell und macht alles Vergessen. Drei gleichfarbige Häuser bilden auf der Drehbühne des Theater Hagen ein „schönes Viertel des alten Rom“ ab, in dem freie Bürger und Sklaven alltägliche wie merkwürdige Interessen verfolgen.
Steffen-Müller-Gabriel produzierte mit seinem philharmonischen Orchester Hagen einen Klangkörper voll melodischer Ohrwürmer, abrupten Rhythmuswechseln wie leichten Melodien; und setzt dies in perfekten Gleichklang zur turbulenten Bühnenhandlung um. Wohltuend ist die gut abgestimmte Tonqualität der mit Mikroports (Ton R. Köppermann) ausgestatteten Darsteller.
Die Komödie Die spinnen, die Römer lebt primär nicht von guten Stimmen: Die Hagener Inszenierung begeistert besonders, weil die hochtourigen Szenen harmonisch abgestimmt von einem darstellerisch starken Ensemble getragen werden. Dominierender Darsteller ist der Sklave Pseudolus (Rainer Zaun), welcher über zwei Stunden schräg wie listig versucht, seinen Herrn Hero (Tillmann Schnieders) mit der kretischen Jungfrau Philia (Maria Klier) zu verkuppeln, um selbst dadurch freier Bürger Roms zu werden. Bühnen-Urgestein Rainer Zaun gestaltet den Abend als chargierender, überdrehter Pseudulus (deutsch Lügenbold) mit guter Sprechstimme, wohltimbrierten Bassbariton und starker Wandlungsfähigkeit. Hero spielt derweil den schlaffen Helden, welcher zuerst einen überdimensionierten Teddybär liebt. Seine Angebetete, die hübsche Jungfrau Philia, obwohl bereits an den sprachgestörten Hauptmann Miles Gloriosus (Kenneth Mattice) verkauft, haucht, nicht ganz so unschuldig, jeder männlichen Gelegenheit ein „Nehmt´s mich“ oder „Ich bin Euer“ zu. Christoph Scheeben gab dem Senex (deutsch Alter Knacker) besonders zu Beginn des 2. Aktes Farbe und Charakter, wenn er rückblickend den 1. Akt und seinen Wunsch auf einen zweiten Frühling parodistisch beschreibt. Marilyn Bennett („ich krieche gern“) ist in engem schwarzen Kostüm eine authentische Domina, während Marcus Lycus ( Rolf A. Scheider) als lackierter Frauenhändler in goldgelbem Umhang mit seinen Kurtisanen („ich kann mit Stolz sagen, ich habe die beste Auswahl von ganz Rom“) pralle Komik abliefert. Richard van Gemert rundet als Chefsklave Hysterium (deutsch Der Weibische) wie als chaotisches Gerenne auslösende tote Philia eine glanzvolle Ensembleleistung des Theater Hagen ab.
Die spinnen, die Römer: Deftig, pralle Burleske trifft auf anspruchsvolle Musik. Perfekte Inszenierung, guter Ton, ein springlebendiges Ensemble bringen „Geklautes, Groteskes, Graziöses, Obszönes, Pompöses, nichts Dezentes“ temporeich und schrill auf die Bühne des Theater Hagen. Auch das Publikum dankte laut und andauernd, nicht dezent, für diese unterhaltsame Slapstick Comedy.
Weitere Vorstellungen: 24.10.2014; 31.20.2014; 2.11.2014; 8.11.2014; 15.11.2014; 19.11.2014; 9.12.2014; 25.12.2014; 28.12.2014; 04.01.2014; 10.01.2014; 29.01.2014; 22.02.2014; 18.03.2014
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