Hagen, Stadttheater Hagen, DON CARLOS - Giuseppe Verdi, IOCO
Verdi diesmal als mitreißendes Schachspiel
von Uli Rehwald
Das Stadttheater in Hagen setzt die Serie "große Oper am Sonntag Nachmittag" mit der Premiere von Don Carlos fort. Es ist sehr angenehm, dass hier in Hagen die sehr langen Opern schon am frühen Nachmittag zu beginnen. Heute die startet die Vorstellung tatsächlich schon um 15.00 Uhr bei besten Frühlingswetter. Sonnenstühle vor dem Operneingang hätten heute nicht überrascht.
Don Carlos ist als große Verdi-Oper ist nicht so leicht zu besetzen . Zweifelsohne ist es eine große Herausforderung für ein mittleres Opernhaus. Nein, Hagen ist kein kleines Opernhaus, sondern ein mittleres, innovatives Haus mit Anspruch. Daher wird heute auch die selten gezeigte französische Fassung ohne Streichungen gezeigt. Gesungen wird Verdi recht ungewohnt in französischer Sprache. Auch das fast immer gestrichene Ballett wird heute gezeigt, indem es von den Sängern selbst als Pantomime gespielt wird.

Also ist es zweifelsohne richtig, genauer hinzusehen, wie dieser innovative Anspruch heute in der Inszenierung von Francis Hüsers umgesetzt worden ist. Dazu muss man eigentlich heute nur 2 Fragen beantworten:
- Wie ist es gelungen, die großen Rollen mit Gästen zu besetzten?
- Wie geht das Regiekonzept auf, das ja 4 Stunden lang nur aus einem überdimensionales Schachbrett bestehen soll. Droht da etwas ein langweiliger Abend?
ZUM SCHACHBRETT
Der Zuschauer erfährt über die 4 Stunden, die die Oper braucht: Ja, es bleibt dabei. Es wird ausschließlich ein bühnenfüllendes Schachbrett mit schwarzen und weißen Feldern gezeigt. Die Spitze des Schachbretts ragt fordern- raumgreifend fast bis in das Publikum hinein. Dieses Schachbrett befindet sich offenbar in einem Raum, dessen Fenster mit Jalousien abgedeckt sind. Die Außenwelt bleibt heute also völlig draußen vor - das wirkt recht klaustrophobisch. Das ist schon ziemlich mutig von der Regie, nur das als einziges Bühnenbild zu zeigen. Wenigstens kann der Chor um das Schachbrett herum Aufstellung nehmen und die Handlung verfolgen. Und um es gleich vorweg zu sagen: Natürlich wurde dieses Konzept auch von einem Teil des Publikums kritisiert. "Zu eintönig, zu statisch" wurde hervorgebracht.

Wer sich aber auf diesen Regieansatz einlassen konnte, erlebt im Verlauf des Abends ziemlich viele gute Überraschungen auf diesem Schachbrett. Es gibt nicht nur äußerst phantasievolle Kostüme (Katharina Weissenborn), die alle Personen als Schachfiguren darstellen. Als Springer, als Türme, als Bauern, als Dame und König. Und weiter wird im Verlauf des Abends das Konzept klar, dass jede Person heute mit 2 Rollen auf der Bühne steht:
- Die offizielle Rolle als Schachfigur (mit Kostüm an).
- Die eigene Persönlichkeit (wenn das Schachkostüm abgelegt wird).
Und daraus folgen viele große und kleine Effekte, zum Beispiel:
- Posa erhält vom König den Auftrag als Spion und hofft gleichzeitig auf eine Freundschaft mit ihm, obwohl er eigentlich ein Rebell gegen den König ist. Posa dagegen schaudert es, da er nun seinen Freund Carlos ausspionieren und wahrscheinlich verraten muss. Wer zu der großen Klängen von Verdi verfolgt, wie der König dem stillhaltenden Posa sein Schachkostüm anzieht, und jeder der beiden seine zwiespältigen Gefühle heraussingt, der kann ganz leicht ein Gänsehaut-Moment erleben. Ja, so wird es ein ganz großer Verdi-Moment heute. Glückwunsch!
- Oder wie Elisabeth sich von ihrer Rolle als Königin trennen will und dem König ihr Schachkostüm vor die Füße wirft.
- Kleine Effekt sind dann eher, dass z.B. das Schatzkästlein der Elisabeth auch ein Schachbrettmuster aufweist.

Das Schach-Bühnenbild (Mathis Neidhardt) und die Kostüme allein wären aber heute noch nicht Alles zum Regieansatz. Denn man muss dem Chor ein Kompliment machen, wie sehr er zur Wirkung des Regiekonzepts beiträgt. Die vielen kleinen Mini-Handlungen zwischen den Spielfiguren oder wenn alle zusammen Aufstellung auf dem Schachbrett nehmen. Don Carlos ist ja ohnehin schon eine große Chor-Oper. Heute allerdings hat der Chor des Theaters Hagen (unter der Leitung von Julian Wolf) sogar fast die Rolle eines Hauptdarstellers. Wirklich beeindruckend. Man weiß gar nicht, wo man zuerst hinschauen soll. Der Chor wurde heute mit einem Extrachor verstärkt und schlägt sich sängerisch und eben spielerisch glänzend. Dass eigentliche Spielbrett kann dann ruhig statisch mit 64 Feldern über 4 Stunden daherkommen - bei so viel inszenierter Handlung.

ZUR BESETZUNG
Völlig klar ist natürlich, dass die Oper Hagen die großen Rollen nicht mit eigenem Personal besetzen kann. Daher zeigt sich die Kunst darin, diese Rollen erstens gut und zweitens zusammenpassend zu besetzen. Das ist heute nicht nur gut, sondern überragend gelungen. So gelingt einem mittelgroßes Haus ein großes Opernerlebnis.
Von den großen Rollen sind mit nur 2 von eigenen Hausmitgliedern besetzt (Insu Hwang in der Rolle des Posa und Dong-Won Seo in der Doppelrolle des Großinquisitors / des Mönchs). Beide schlagen sich wirklich gut. Alle anderen großen Rollen sind mit Gästen besetzt:
- Kazuki Yoshida als Don Carlos. Er steigert sich im Verlauf der Oper enorm und überzeugt als die tragische Figur der Oper.
- Caterina Meldolesi zeigt in der Rolle der Elisabeth sowohl strahlende Höhe als auch große Innigkeit. Sie ist die moralischste Person auf dem Schachbrett.
- Renatus Mészár als Philipp II stellt mit einem großen Kreuz auf seinem Haupt einen durch und durch gebrochenen König dar. Der als Herrscher der halben Welt daran scheitert, auch das Herz eines einzigen Mitmenschen gewinnen zu können. Seine Innenschau mit sehr sensiblen Tönen endet in einem wuchtigen Schmerz-Fortissimo in seiner Arie "sie hat mich nie geliebt".
- Almerija Delic zeigt sich in der Eboli als ein unglaublich energiestrotzendes Kraftbündel mit beeindruckenden Bühnenpräsenz und glutvollem Mezzosopran. Ihr kann ganz zweifelsfrei eine große, internationale Karriere vorausgesagt werden.

Am Ende des Abends dankt das Publikum mit herzlichem Applaus. Natürlich finden sich auch einige "Schachbrett-Gegner" mit vereinzelten Buh´s . Bei den Sängern gab es nur einhellig begeisterten Applaus sowie Bravo-Rufe.
Ganz sicher: Diese Aufführung bleibt nach Jahren noch in Erinnerung. Hingehen! Und zwar bald: Es sind nur noch 4 Aufführungen vorgesehen.
