Greifswald, Theater Vorpommern, DER LEUCHTENDE PUNKT - FREISTIL III, IOCO

Greifswald, Theater Vorpommern, DER LEUCHTENDE PUNKT - FREISTIL III, IOCO
Ensemble copyright Peter van Heesen

20.02.2025

Der Opernmord gehört verboten! Oder doch nicht?

Am Theater Vorpommern wird das schon mal musiktheatralisch diskutiert

„Am Anfang war die Freiheit – eine überraschend ungewohnte Freiheit, nahezu grenzenlos gestalten zu dürfen, gepaart mit dem inneren Drang, gestalten zu wollen. Das Format, das dieser Freiheit Raum und gleichzeitig Grenzen bietet, heißt `Freistil`. Ein Raum für Experimente im Rahmen des Machbaren. Machbar bedeutet eine Einbindung in den Theaterspielplan, räumliche, zeitliche, personelle und finanzielle Maßgaben. Und doch die vollkommene inhaltliche Freiheit, mit der umzugehen ungewohnt ist – selbst im Theater.“

Diese Sätze waren und sind Programm. Sie eröffneten bereits im vergangenen Frühjahr eine Musiktheaterproduktion, mit der das Theater Vorpommern auf neue, fantasievolle Weise den Spielplan zu bereichern gedachte. Dies als Teamwork, also kollektiv erarbeitet, diskutiert und präsentiert. Dabei möglichst viel Raum gebend für Assoziatives, gedankliche Anstöße und Perspektiven.

Kein Zufall, dass ein erstes Produkt in engstem Zusammenhang mit dem Caspar David Friedrich-Jahr 2024 entstand („Der leuchtende Punkt“ - Freistil I, ab Februar/März in Stralsund und Greifswald). Dazu hier nur so viel: kein Denkmal, kein kunsthistorischer Exkurs, vielmehr die Anregung, ja Aufforderung, mit Bildern des Romantikers Friedrich, eingesprochenen Texten und (meist arrangierten) Liedern aus dem 19. bis 21. Jahrhundert auf das immer problematischere Verhältnis Natur – Mensch zu verweisen, auf Entfremdung, Katastrophen, Vermüllung und doch auch Hoffnung. Ein wahrlich fantasievoller, musikalisch wie optisch fesselnder Abend!   

Anders „Freistil II“, ein Songabend unter dem Titel „One for my Baby and one more for the Road“, (ab Mai/Juni 2024 in Stralsund, Greifswald und Putbus). Dies der sehr gelungene Versuch, mit mehr als einem Dutzend Soul-und Blues-Songs eine Geschichte zu erzählen. Die Sängerin (Franziska Ringe) hat sie, die Geschichte, für sich „erfunden“, also die Songs „anhand ihrer Stimmungen, Texte, Zustände und Gefühle“ (Programmheft) zur „Geschichte einer fiktiven Soulband“ zusammengestellt. Ein ganz starker, überaus authentisch wirkender Abend!

Und da aller guten Dinge ihrer drei sind, nun also „Freistil III“. Die Produktion nennt sich  „In der Oper wird nicht gemordet!“. Sie hatte ihre Greifswalder Premiere am 16. Januar 2025 und die in Stralsund erst vor wenigen Tagen am 21. Februar. Apostrophiert wird das Ganze recht augenzwinkernd als  „Musiktheaterabend mit Mordsmusik von Don Giovanni bis Wozzeck.“ Gebraucht werden dafür ein Tenor (Bassem Alkhouri), zwei Baritone (Alexandru Constantinescu und Thomas Rettensteiner), eine substanziell viel Wichtiges verkündende Nachrichtensprecherin (Elke Zeh) und ein „Chef“, der am Flügel für die Leitung und die ziemlich anspruchsvolle Begleitung diverser Opernpartien verantwortlich ist (David Wishart). Die Inszenierung liegt in den Händen von Lisa Henningsohn, Bühne, Kostüm und Video stammen von Eva Humburg, die Dramaturgie besorgte Katja Pfeifer, die zusammen mit der Regisseurin sowohl die Texte schrieb als auch die gesamte Stückentwicklung erarbeitete; die wieder sehr lesenswerten Programmheftbeiträge sowieso!

Dort geht es um die natürlich nicht ganz ernst gemeinte Fiktion, das traditionelle Opernrepertoire von Tod, vor allem aber dem verbreiteten Mord, also lebensgefährlicher Gewalt auf der Bühne zu befreien. Das wird hier so argumentativ wie ironisch sehr unterhaltsam abgehandelt, letztlich aber eine tragfähige Zustimmung als nicht machbar bezeichnet, weil damit der wichtigsten Effekte eines fesselnden Bühnengeschehens (emotionaler Höhepunkt der Oper, Empathie des Adressaten) beraubt. Fantasie aber darf sich doch schon mal an der Frage entzünden, was obige, zugegeben provokante Fragestellung an amüsanten Gedankenspielchen zu bieten vermag . Über Sprechtexte aus einem Bühnen-Fernseher auf den Kern gebracht etwa Folgendes: Der Kultursender Vorpommern verkündet, dass erfreulicherweise der am 1. April 2024 vom Opernrat (!) herausgegebene Achtsamkeitserlass (!) erste Früchte trage, denn ein Rückgang der Opernmorde sei zu verzeichnen und neue, alternative Bühnenfassungen wären bereits erfolgreich. Letzte unbelehrbare Bühnenverbrecher würden sukzessive aus dem Theaterbetrieb genommen (Spezialeinheit „Clean Stage“). Ihnen werde mit Resozialisierungsmaßnahmen der Weg in eine gewaltfreie Bühnenlaufbahn geebnet. Ein Expertenteam sammle Mordinstrumente jeglicher Art ein und sichere deren Katalogisierung und Archivierung. Im Übrigen wären schon diverse Opern hinsichtlich Libretto und Musik von Verbrechen befreit und könnten wieder in die Spielpläne aufgenommen werden. (Es folgen witzig klingende Beispiele mit erheblichem Gruselfaktor! Nicht ganz undenkbar: das Ganze als Seitenhieb auf ausuferndes Regietheater?! ).

Soweit also der Handlungsstrang, an dem sich die drei Protagonisten herumhangeln. Sie lernen sich übrigens erst hier kennen und fragen sich zunächst recht vorsichtig zu ihren jeweiligen Bühnenkarrieren (Morde!) aus, was hübsche Dialoge etwa zu individuellen Befindlichkeiten oder zur jeweiligen „Spezialisierung“  ermöglicht; neckische Seitenhiebe auf Stimmlagen und entsprechende Eignung für Mörder oder Opfer inbegriffen.

Ensemble copyright Peter van Heesen

Sie tun das vor Riesentischen mit zahllosen Mordwerkzeugen  - und wenig Verständnis für ihre jetzige „Strafarbeit“, die mit den großen, meist enthusiastisch gefeierten Erfolgen als Gewalttäter auf den Bühnen dieser Welt so gar nicht zusammenzupassen scheint. Nun sind sie hier, um in dieser „Besserungsanstalt für eigentlich unverbesserliche Opernmörder“ ihre standesgemäßen  Arbeitsgeräte durch – siehe oben - Katalogisieren und Archivieren von den Opernbühnen dauerhaft zu verbannen. Natürlich lustlos und uneinsichtig, sich wehmütig und in entsprechend skurrilen Dialogen an große Auftritte erinnernd. Übrigens: Sie halten sich für nicht gebührend wertgeschätzte Experten, die doch der wichtigen Aufgabe obliegen, „kathartisch“ zu wirken und es dem Publikum zu ermöglichen, das Theater mental „gereinigt“ zu verlassen. „Kurz gesagt“ - so im Text zu lesen  - „Man lässt auf der Bühne morden, um es zu Hause nicht selbst tun zu müssen.“ Wenn das keine Optionen sind! Aber schon vergessen? Wir sind im Musiktheater! Deshalb folgen, ganz realistisch gespielt und gesungen, die schönsten (!), eindrücklichsten (und eigentlich verbotenen) Beispielszenen. Dies passend verbal vorbereitet, als Solo, in Duetten oder Terzetten von Verdi (Otello, Don Carlo), Tschaikowski (Ewgenij Onegin), Weill (Dreigroschenoper), Puccini (Il tabarro), d´Albert (Tiefland), Berg (Wozzeck) und Mozart (Don Giovanni).

Um die Negativa des beschriebenen Berufsstandes nicht überborden zu lassen, vielleicht auch als Wiedergutmachung möglicherweise beschädigter Zuschauergemüter haben die Autorinnen – dabei nur scheinbar die Realitätsebene wechselnd -  zwischendurch auch mal eine Lanze für die sängerische Schwerstarbeit der Berufs-“Unholde“ gebrochen, von wegen „Extremsituationen“ und so. Hilft aber nicht wirklich viel, denn es bleibt die Feststellung, dass es zu viel Ärgerliches auf der Welt gebe, um einfach nur friedlich bleiben Eigentlich sei das unmenschlich.

Konfrontiert wird der Musikfreund nach rund 60 Minuten mit der Gewissheit, dass nun, nach weitgehender Abschaffung der Opernmorde die theatrale Mord- und Wahnsinnslust einer niederschwelligen Zufriedenheit weicht“. Die neue Alternative: „die Opera lavabile, die abwaschbare Oper – klinisch rein und frei von Konflikt, Gewalt  und Emotion.“

WOW! Und das als wirkliche Alternative??? Da bleiben wir doch lieber beim Bisherigen und damit ganz bei den Schöpfern des Stückes. Ihnen ist die konflikthafte Wirkungsmacht der Oper dann doch zu wichtig. „Und das nicht obwohl, sondern weil in ihr gemordet wird. Wer wollte das verbieten?!“

Kein Zweifel: Unterhaltsam ist dieser Ausflug in provokant andersartige Gedankengänge unbedingt. Zumal das, was uns das Sängertrio Bassem Alkhouri, Alexandru Constantinescu und Thomas Rettensteiner sowie Pianist David Wishart musikalisch präsentierten, hinsichtlich sängerischer Präsenz und Kompetenz, komödiantischer Verve, sichtlicher Spiel- und Sangesfreude keine Wünsche offen ließen.        

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