GIOVANNI PAISIELLO: Im Schatten der Musikgeschichte, IOCO Aktuell, 18.05.2016
GIOVANNI PAISIELLO 1740 -1816 Ein Komponist im Schatten der Musikgeschichte
Schaut man heutzutage hoch zu dem Sternenhimmel, der sich über die Musiklandschaft wölbt, so leuchten dort Stardirigenten, Starinstrumentalisten, Starsänger und Starregisseure. Lässt man das Auge schweifen, trifft es der Strahl der Starkomponisten Bach, Mozart, Beethoven, Schubert, Verdi, Wagner, Strauß und ihrer Kollegen.
In einer Zeit, in der die Sprache überemsig nach Attributen fahndet, damit mit ihnen, grell illuminiert, Personen und Ereignisse desto auffälliger vom grauen Hintergrund der Normalität abstechen, scheinen diejenigen Künstler, die derartiger Beleuchtung entbehren oder sie meiden, solche von minderen Fertigkeiten zu sein. Scheinen, wohlgemerkt! Die Namen derer, die in unserem Musikkanon ganz oben stehen, funkeln selbst hell genug, sie benötigen keine Scheinwerfer von Journalisten und Werbetextern. Beim Blick nach jenen sollte freilich nicht vergessen werden, wieviele musikalische Genies im Laufe der Zeit zu schimmern aufhörten oder man schlichtweg nicht mehr wahrnehmen mag. Womit wir bei Giovanni Paisiello angelangt wären.
Die Welt der Musikfreunde würde sich wundern, trüge man ihr zu, welche Unzahl von Opernpartituren in den Archiven und Bibliotheken im wahrscheinlich ewigen Schlaf liegen, aus dem sie wohl kaum jemals die Posaune einer neuen Wertung wecken dürfte. Selbst die Namen der Komponisten, die bis in die Neuzeit hinein von den Spielplänen der Opernhäuser leuchteten, wie Meyerbeer, Flotow, Spohr, Marschner, Lortzing, sind entweder fast erloschen und flackern allenfalls gelegentlich. Dagegen bleibt der des Schöpfers des ersten Barbier von Sevilla, eben Giovanni Paisiello, nahezu glanzlos. Aus Anlass seines zweihundertsten Todestags soll seiner kurz gedacht und zudem erinnert werden an zahlreiche Vorgänger, Zeitgenossen und Nachfolger, die einst als helle Himmelskörper über der europäischen Musikszene schwebten, und die mit ihm in die Dunkelheit der Musikhistorie eintauchten. Wer sie gleichwohl entdecken möchte, dem werden gut sortierte Musikgeschäfte oder entsprechende Onlinevertriebe helfen. Sie bieten Aufnahmen der genannten Deutschen wie auch der Italiener Cimarosa, Jomelli, Mercadante und der Franzosen Grétry, Boildieu und Adam. Sie alle stellen hier lediglich eine Auswahl und beileibe keine Rangordnung dar.
Unser hier ins Licht gerückte, 1740 in Tarent geborene Giovanni Paisiello widmete sich zunächst der Kirchenmusik, ehe er in Neapel, wo ab 1770 die Opera buffa (komische Oper) die Herrschaft der Opera seria (ernste Oper) ins Wanken brachte und schließlich beendete, jene frohsinnigere Gattung um diverse Schöpfungen bereicherte. 1776 berief ihn die Zarin Katharina II als Leiter der Italienischen Oper nach St. Petersburg. Acht Jahre später kehrte er zu dem Bourbonenkönig als Hofkapellmeister nach Neapel zurück, schrieb weiterhin Oper auf Oper, an die hundert (!) sagt man ihm nach, komponierte in Frankreich für Napoleon I auf dessen Wunsch hin Messe und Te Deum zu seiner Kaiserkrönung. Er war in Italien gemäß den Zeitläuften Republikaner oder Königstreuer, fiel bei den einen in Ungnade und gewann bei den anderen Reputation, bis sich das Spiel in geänderter Reihenfolge wiederholte. Die Zeiten verlangten Anpassung von einem Musikanten, sofern er nicht verkümmern wollte. Nein, das tat Paisiello gewiss nicht; neben den unzähligen Bühnenstücken sprudelten aus seiner Feder Sinfonien, Kammermusik und sogar zwei Oratorien. Er starb 1816 in Neapel.
Worin unterscheidet er sich denn von Kollegen wie u.a. Galuppi, Traetta und Cimarosa, die gleich ihm am russischen Hof wirkten, Opern zuhauf produzierten und sich irgendwann aus dem Gedächtnis der Theaterdirektoren, Sänger und Musikliebhaber zu verabschieden hatten? Nun, in Paisiellos Oeuvre gibt es zwei Werke, die aufhorchen lassen: nämlich eine Die Magd als Herrin (Serva Padrona) und eben einen Barbier von Sevilla. Das Schicksal aber wollte es, dass seine Serva Padrona von 1781 nicht gegen jene bis heute favorisierte des Giovanni Pergolesi von 1733 zu bestehen vermochte. Wie auch nach Paisiellos 1782 in Petersburg uraufgeführten Il Barbiere di Siviglia, der vierunddreißig Jahre hindurch auf italienischen, französischen und deutschen Spielstätten reüssieren sollte, kein Hahn bzw. kein Publikum mehr krähte, als ab 1816 Rosina und Almaviva von Gioacchino Rossinis Gnaden konkurrenzlos auf den Bühnen miteinander turtelten. Letzterer hatte entschuldigend dem älteren Kollegen die Aneignung des eigentlich dem Caron de Beaumarchais gehörenden Sujets - allerdings von einem anderen Librettisten verfasst - annonciert, doch der Komponist starb vier Monate nach dem ersten Auftritt des rossinischen Figaros und musste die Vertreibung des eigenen nicht mitansehen.
Das nicht so ganz gerechtfertigte Los des ersten Barbiers erklärt sich mit daraus, dass zwischen dessen Erscheinen 1782 und dem des Nachfolgers 1816 sich die Französische Revolution von 1789 sowie die napoleonische Ära schoben. Mithin kann der frühere Figaro noch nicht wie der spätere als ein schon aufmüpfiges Faktotum der ganzen Stadt, als beschwingter Selbstdarsteller fungieren, sondern eher als das ein bisschen durch die Lande gestromerte Schlauköpfchen, worin Subordination eingeschrieben ist. Zwar verhält sich das Orchester des Giovanni Paisiello nicht derart eigenwillig, um die Handlungsführung zu übernehmen, aber es versteht durchaus, den Hauptfiguren gemäße Akzente zu setzen. Sänger und Musik verbinden sich, ohne sich gegenseitig die Führung streitig zu machen. An die Partitur Rossinis mit ihrem Furioso, ihrer mitunter derben Komik, den vielstimmigen Finals und Chorszenen reicht die des Älteren indessen nicht heran. Gleichwohl ist Paisiellos Opera buffa ein feinsinniges, bisweilen witziges, ein die gloriose Operntradition Neapels einschließendes Werk, das von einem wesentlich genialischeren mit gleicher Vorlage aus dem Theater gedrängt wurde.
Die Zeit von Paisiellos Bühnenstücken ernster Natur (Opere serie) ist längst abgelaufen. Sie auf den Spielplan zu setzen, dürfte kein Intendant die Lust verspüren. Warum auch? Mit Glück lässt sich vielleicht im einschlägigen Handel die eine oder andere Aufnahme aufstöbern. Einige seiner heiteren Opere buffe, darunter die beiden oben angeführten Titel, könnten womöglich von einem geistreichen Regisseur reanimiert werden. Haben sie es verdient?
In Italien immerhin kümmert man sich bisweilen um sie. Hierzulande bieten sie die Kataloge der Tonträgerfirmen ebenso an wie auch seine Messen und Klavierkonzerte. Anhand derer mögen Hörer dann selbst entscheiden, inwieweit die Musikgeschichte mit dem Komponisten Giovanni Paisiello gerecht verfahren ist. Von Albrecht Schneider 15.04.2016