Giessen, Stadttheater Giessen, Ariadne auf Naxos von Richard Strauss, IOCO Kritik, 12.01.2018
Ariadne auf Naxos von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal
" DAS EWIGE SPIEL"
Von Ljerka Oreskovic Herrmann
Es sollte ein Meisterwerk werden: Hugo von Hofmannsthal sah in Ariadne auf Naxos zunächst „nur“ eine, wie er es nannte, „Spielerei“, die aber hatte es in sich, denn das Thema ist ein zutiefst menschliches: die Treue. „Es ist eine meiner persönlichsten und mir wertesten Arbeiten...“, schreibt Hofmannsthal im Dezember 1911 an Richard Strauss. Und in einem anderen Brief aus dem selben Jahr fordert er vom Komponisten dafür Verständnis: „Ich werde gelegentlich Ihr Entgegenkommen fordern, wo eine Dichtung ein mehr dienendes Verhältnis der Musik in gewissen Szenen erheischt...“ Tatsächlich war Strauss bereit, sich ganz in den Dienst der Sprache Hofmannsthals zu stellen. Das Orchester reduzierte er auf 36 Musiker, die Textverständlichkeit spielte für ihn eine wesentliche Rolle – doch ist seine Musik nicht bloß musikalisches Dekor oder Untermalung der Szenen. Ganz im Gegenteil! Und so hat er dem Text, die alte Diskussion um den Vorrang von Musik und Text befeuernd, im Hofmannsthalschen Sinne beantwortet – ja wirklich „gedient“ und wundervolle Musik insbesondere für die drei Sängerinnen geschrieben.
Und diesem Anspruch ist das Gießener Sängerensemble mehr als gerecht geworden und deshalb gleich vorneweg: Die Übertitelung ist eigentlich überflüssig (die Arbeit dahinter soll aber nicht weniger wertgeschätzt werden), denn alle Mitwirkenden sind hervorragend zu verstehen – jedes Wort, jede Betonung sitzt und zeugt von der geleisteten Arbeit an diesem Konversationsstück. Die Übergänge vom gesprochenen zum gesungenen Text gelingen mühelos und die vokalen Leistungen von Komponist, Zerbinetta und Ariadne sind außerordentlich. Annelie Sophie Müller ist ein herrlich unbedarft-jugendlicher Komponist, bei dem sich die Frage nach „künstlerischer Treue“ mit aller Wucht stellt. Sein „Leiden“ am Banausentum der Menschen im allgemeinen und „seiner Kollegen“ im besonderen nimmt man Müller alias Komponist ab, man leidet förmlich mit ihm und gönnt ihm fast schon die Zerbinetta, gehörte sie nicht selbst zur Truppe der „burlesken Kunstunverständigen“. Diese wiederrum, von Diana Tomsche gespielt, erreicht besonders im zweiten Teil an darstellerischem Format auch im Hinblick auf ihren weiblichen Widerpart Ariadne. Dorothea Maria Marx ist stimmlich wie darstellerisch eine grandiose Primadonna bzw. Ariadne, die der Figur die geforderte Tiefe verleiht und damit auch den Komponisten versöhnt – auch wenn dieser nach dem Vorspiel nicht mehr auftritt.
Während im Vorspiel ein entsprechendes Durcheinander im Wiener Palais (rechts und links mit Türen versehen) herrscht, die dem Theater so eigenen Eitelkeiten und Nervositäten zelebriert werden, die Komödie also ihren Lauf nimmt, gelingt es Hans Hollmann im Ariadne-Teil „ihrem unter Spiel versteckten tiefen Sinn“ (Hofmannsthal) der Oper zu beglaubigen. Überhaupt scheint Hollmann seinen dichterischen Landsmann genau gelesen und umgesetzt zu haben: „Das ausgeklügelt Enge dieses Spiels, diese zwei Spielergruppen nebeneinander, engster Raum, sorgfältige Berechnung jeder Gebärde, jedes Schrittes, das Ganze ein Konzert und gleichzeitig ein Tanz...“
Die Bühne ist fast leer – nur eine Art Bett in der Mitte, Vorhänge sowie Theseus-Büste und -Bilder. Ariadne trauert ihrem Theseus hinterher, der sie einfach verlassen hat. Auf dieser Bühneninsel ist Ariadne sich selbst überlassen, während Zerbinetta und ihre vier Verehrer – von den Seitenlogen kommend – alles daransetzen, diese Dame aufzuheitern. Trotz schöner Sing- und Tanzeinlagen bleibt Ariadnes Treue zu Theseus unverbrüchlich bestehen. Zerbinetta, als einzige in einem die Commedia dell’arte andeutenden Kostüm, hält unterdessen ihre Lebensweisheiten parat: Was soll’s, einer ist weg, dafür wird ein anderer kommen. Doch es hilft nichts. Auch die Nymphen, die von oben immer wieder herunterschweben, vermögen Ariadnes Todessehnsucht nicht umzustoßen – als sie die Ankunft Bacchus ankündigen, glaubt diese endlich durch den Götterboten Hermes erlöst zu werden. Aber es ist Bacchus, der Gott des Lebens, der ihr die ersehnte Lösung bringen wird. Wie die beiden – Michael Siemon ist Dorothea Maria Marx sängerisch wie darstellerisch ein ebenbürtiger Partner – um das Bett kreisen und obwohl schneller werdend einander nie erreichen, ist ein schöner und augenzwinckernder Schluss.
Zerbinettas vier Herren tragen weiße Fräcke, singen und spielen mit großer Verve, allen voran Grga Peroš als Harlekin sowie die nicht minder gut aufgelegten Pascal Herington (Scaramuccio), Thomas Stimmel (Truffaldin) und Miloš Bulajic (Brighella). Lukas Noll, der nicht nur für die Bühne, sondern auch für die Kostüme verantwortlich zeichnet, lässt sie somit auf die Entstehungszeit der Oper verweisen, als äußere Etikette noch wichtig war. Derweil lässt er die drei Nymphen ihrer Bestimmung gemäß einkleiden: bei Sofia Pavone als Dryade (Baumnymphe) ragen unter ihrem Kleid Äste hervor, Natascha Jung als Najade hat einen Fischschweif und bei Karola Pavone als Echo ist nur noch ein abgenagter Fischschwanz übrig geblieben. Alle drei Damen – Mozarts Zauberflöte lässt grüßen – sind nicht ganz von dieser Welt und doch dazugehörig und daneben singen sie ganz wunderbar. Einzig der Haushofmeister – Harald Pfeiffer gibt ihn arrogant-hochmütig, da er obzwar die Stimme seines Herrn unabhängig und unberührt von allen Zwistigkeiten ist – steckt irgendwie zumindest äußerlich in einer anderen Zeit fest: der Zeit Mozarts.
Das hervorragende Sängerensemble komplettieren Tomi Wendt (Musiklehrer), Christopher Meisemann (Offizier), Clemens Kerschbaumer (Tanzmeister), Marcus Licher (Perückenmacher) und Gunnar Fritsch (Lakai). Die choreographische Mitarbeit war bei Tarek Assam in guten Händen.
Das Philharmonische Orchester Gießen beweist erneut seine musikalischen Qualitäten unter ihrem GMD Michael Hofstetter, der zudem auch nachdrücklich belegt, dass er ein exzellenter Begleiter für Sänger und Sängerinnen ist, ohne das Ganze aus den Augen zu verlieren. Und er hat auf beglückende und geglückte Weise, das Meisterwerk Ariadne, „das über 300 Jahre Musikgeschichte erzählt“ (so Hofstetter im Programmheft), musikalisch neues Leben eingehaucht. Großer, einhelliger Applaus.
Ariadne auf Naxos am Stadttheater Giessen; weitere Vorstellungen 14.1.2018; 2.2.; 29.3.: 29.4.; 26.5.2018
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