Genf, Grand Théâtre de Genève, DER ROSENKAVALIER (1911)- Richard Strauss
Grausamkeit des Anfangs: „Wie du warst! Wie du bist!“ Von ekstatischer Musik getragen, sind die allerersten Worte in der Oper, die allerersten Worte von Octavian, eine heftige Hommage .....
von Peter Michael Peters
DIE ZEIT UND DIE METAMORPHOSE…
Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding.
Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts.
Aber dann auf einmal, da spürt man nichts als sie.
Sie ist um uns herum, sie ist auch in uns drinnen.
In den Gesichtern rieselt sie,
Im Spiegel da rieselt sie,
in meinem Schläfen fließt sie.
Und zwischen mir und dir
da fließt sie wieder, lautlos, wie eine Sanduhr.
(Monolog der Marschallin / 1. Akt (Auszug)
„Ich bin der Rosenkavalier…!“
Grausamkeit des Anfangs: „Wie du warst! Wie du bist!“ Von ekstatischer Musik getragen, sind die allerersten Worte in der Oper, die allerersten Worte von Octavian, eine heftige Hommage eines sehr jungen Mannes an die Frau, die in ihm die erste Lust erweckte, aber auch die ersten Worte einer ganz gewöhnlichen männlichen Grobheit. Wie kann man das überhören: „Wie du warst… Wie du bist (noch)… wie du leider sein wirst!“ Oder besser gesagt: „Nicht mehr sein wirst…?“ Vergangenheit… Gegenwart… Zukunft…! Eine Zukunft die gerade sowohl heraufbeschworen als auch widerrufen wurde durch die aufschwingenden Streicher des Orchesters. Wie in der Schwebe…! Der Vorhang hebt sich vor einem ungemachten Bett und dem endlosen Lauf der Zeit! Eine unerbittliche Mechanik, ein brutales Uhrwerk der Nostalgie mit all der Leichtigkeit, die Sentimentalität mit sich bringt: Stilles Bedauern, am Rand der Tränen, herbstliche Nuancen: Das Kleid in der Farbe welker Blätter, das die Marschallin im 3. Akt trägt… Es würde bedeuten, wenn das Libretto nicht subtil und grausam wäre, subtil weil grausam, wenn es nicht von Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) wäre.
Die Oper steht ganz im Zeichen der Zeit, der Fremdartigkeit der Zeit: „Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding…“ Aber, ein leichtes knarrendes Grinsen der Uhr, eine vielleicht langsam verstreichende Zeit, der Fluss der Zeit in der Sanduhr fließt unaufhörlich. Ein bewegendes Thema, wenn es eines gibt? Das überaus lyrische Thema wird hier wie so oft in seinen trivialsten Aspekten angedeutet! Oh, das ist sicher, das Octavian nicht dieser alberne ungeschliffene und grobe Baron Ochs von Lerchenau ist, denn er hat den Charm der Jugend, aber was sagt er zur Marschallin? Sagt er es unbewusst? Ich bin der Mann und ich bin siebzehn Jahre, du bist eine Frau und fast doppelt so alt! Ich habe noch nicht gelebt! Du, du warst… Du bist! Du bist wie du bist! „Du bist wie du bist!“ Nimm es oder lass es. Lass es einfach sein! Er kann hinterher immer den großen Erstaunten spielen: „Über kurz oder lang? Wer legt dir heute die Wörter in den Mund?“ fragt er erstaunt die Marschallin. Wer? Aber er! Er selbst! Und sobald sich der Vorhang hebt! Sobald er aufsteht: „Heute!“ Oft verdeckt eine zu süßliche, zu rosige, zu hübsche Rokoko-Inszenierung diese latente Gewalt, die den romantischen Austausch untergräbt, diese kaum verhüllte Brutalität der Beziehung zwischen Mann und Frau.