Gelsenkirchen, Musiktheater im Revier, Premiere Der Rosenkavalier, IOCO Kritik, 02.06.2013
Musiktheater im Revier Gelsenkirchen
Der Rosenkavalier: Starkes Ensemble, Grosse Lyrik
Am 26. Januar 1911 fand die Uraufführung des Rosenkavaliers, einer Komödie für Musik von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss im Königlichen Opernhaus in Dresden statt. Die Oper war ein ungewöhnlicher Erfolg. Ausgebuchte Sonderzüge brachten Besucher aus weit entfernten Gegenden. Ernst von Schuch, Dirigent der Uraufführung, sagt über die ersten Aufführungen: „Nach dem ersten Akt ist jetzt jedes Mal ein beispielloser Jubel im Theater, ich glaube, wir alle sind mit solcher Liebe und Begeisterung dabei, …...“ Bereits einen Tag darauf wird die Premiere in Nürnberg gefeiert, bald danach in Basel, Hamburg, Bremen, Frankfurt, Mailand, ……. Berlin, Rom und Den Haag – ein Welterfolg wurde geboren.
Max Reinhardt: Der fast vergessene "Mitkomponist"
Dabei schmeckte es vor der Uraufführung eher nach einem Flop. Der bodenständige Dresdner Hausregisseur Georg Tosser verweigerte dem Stück seinen Wiener Geist. Heimlich holte der verzweifelte Richard Strauss vom Theater an der Wien den jungen populären Bühnenreformer, Max Reinhardt, nach Dresden. Erst Reinhardt präzisierte Klang und Sprache des Stückes, verlieh ihm Modernität und seinen speziellen Wiener Geist. Geprobt wurde nachts in Hotelzimmern, denn der erboste Dresdner Intendant Nikolaus Graf von Seebach hatte Max Reinhardt Hausverbot für die Oper erteilt. Vieles dieser großartigen Oper wäre heute anders; sächsisch wäre seine Sprache, hätten Strauss und von Hofmannsthal sich nicht durchgesetzt und gemeinsam mit Max Reinhardt ihr originäres Aufführungsmuster geschaffen (die Wiener Walzer, Sprachfinessen, die Buffonerie der Festszenen, die silberne Rose), ohne die heutige Rosenkavalier Inszenierungen unvorstellbar sind. Und doch geht Max Reinhardt in modernen Rosenkavalier-Reflexionen gern unter.
Das Musiktheater im Revier (MiR) und der junge Wiener Gastregisseur Philipp Harnoncourt, Sohn des prominenten Dirigenten Nikolaus Harnoncourt, brauchen wenig Bühnenrequisiten, um einen packend konventionellen Rosenkavalier zu produzieren. Nicht verschnörkelte Luxus-Ambiente sondern zeitlose Bühne auf der Bühne heißt das einfache aber passende Kernrequisit dieser Inszenierung: Eine 8 x 6 Meter große Fläche, drehbar, auf der großen Bühne platziert. Wände und Vorhänge dieser Bühne auf der Bühne wechseln wenig aufwendig mit den Stimmungen und Handlungen, gut angepasst. Dazu unaufgeregt differenzierende Kostüme und austarierte Personenführung. Die Inszenierung konzentriert sich auf von Hofmannsthal´s komplexes Komödienlibretto wie auf Strauss` musikalisch virtuosen Konversationsstil.
Die Kostüme (Andreas Donhauser) differenzieren meist klassisch neutral, gelegentlich pfiffig (drei Faktoten) und selten schrill wie passend lasziv bei Marianderl. Allein das Kostüm der Sophie (Alfia Kamalova) mit Kniestrümpfen, Schärpe und Faltenrock zeichnet ein arg naives Schulmädchenkolorit. Michael Tews lebt den prahlerischen Baron Ochs auf Lerchenau als polternder, spießig-selbstsüchtigen Lebemann, allerdings etwas jugendlich wirkend; einige Gesichtsfalten mehr und Tews ist die perfekte Besetzung. Das meist neutrale Bühnenbild nötigt die Protagonisten, den spezifischen Charakter ihren Partien durch Ausdrucks- und Darstellungskraft auf die Bühne zu bringen; das allerdings gelingt allen vorzüglich. Im ersten Aufzug auf dieser Bühne auf der Bühne: Weißes Doppelbett, unauffällige Wände, ein kleiner Schrank. Auch im zweiten und dritten Aufzug findet die Handlung überwiegend auf der Bühne auf der Bühne statt; veränderte Wandelemente und Accessoires stützen den weiteren Handlungsstrang.
MiR - Eigenes Ensemble macht großes MusiktheaterDas MiR ist auch bei relativ kleinem Etat ein höchst leistungsfähiges Musiktheater. Der Rosenkavalier wird in den zentralen Partien mit Sängern aus dem eigenen MiR-Ensemble blendend besetzt, Kompliment, auch wenn der für diese Oper wichtige österreichische Dialekt noch etwas vermisst wird. Die reife Marschallin (Petra Schmidt) und ihr junger Liebhaber Octavian (Nadja Stefanoff) verströmen bereits mit ihrem Erwachen im ersten Aufzug ergreifende Poesie. Petra Schmidt beseelt und berückt als Marschallin in Ton und Ausdruck. Sängerische Souveränität, Klangfarben wie differenzierte Deklamation nutzt Schmidt zur Charakterisierung einer reifen Frau, welche weder der Dekadenz des Zeitgeistes folgen möchte, noch der Liebe mit ihrem jugendlichen Liebhaber bleibenden Bestand einräumt: “Heute oder morgen oder den übernächsten Tag“ kommt der Augenblick des Abschieds singt Schmidt mit ergreifender Wehmut, mit silbrigem Retrosopranzauber.
Nadja Stefanoff imponiert in der Partie als sensibler Octavian: Mit Menjoubärtchen, schwarzem Anzug und dazu wohltimbriertem, oft bewegend zartem Mezzosopran harmoniert ihre Stimme überaus gut mit der der Marschallin. Ingeniös im dritten Aufzug “Es is ja eh als eins”, herzzerreißend karikierend gesungen. Alfia Kamalova singt die hoch steigenden Linien der Sophie zunächst etwas angestrengt aber bald danach mit großer Präzision und leuchtender Wärme. Darstellerisch köstlich, wenn nötig mit „Haut und Haaren“, aber immer mit tiefem, breitem Bass ist Michael Tews als Ochs auf Lerchenau. Kurzweiliger Höhepunkt dieser Rosenkavalier-Inszenierung wird sein Degen-Duell mit Octavian und der folgende Jammer über sein Schicksal im dritten Aufzug: Tews meistert seine gewaltige Partie textsicher und mit bruchloser, kräftiger Stimmführung.
Doch auch die anderen Partien sind gut besetzt: Hongjae Lim glänzt als Sänger mit unglaublich strahlender Höhensicherheit, Tomas Möwes imponiert als Faninal. Erfrischend beweglich wurde der riesige Chor von Christian Jeub einstudiert. Die Neue Philharmonie Westfalen unter Rasmus Baumann klingt vom ersten Ton an frisch, filigran wie schwungvoll walzerselig, ohne verzuckert oder verkitscht zu wirken. Transparent rauschen die Philharmoniker mit organischen fein geführten Tempi. Details wie das Silberrosenmotiv oder anachronistische Walzerklänge erklangen kristallklar, aber in der Strauss-eigenen Tonsprache und seiner gewollten Nähe zur Musikkomödie.
Der Rosenkavalier des MiR: Die gelungene Inszenierung einer musikalisch wie darstellerisch ungemein anspruchsvollen Oper; den von Strauss und von Hoffmansthal gesuchten vielschichtigen aber zumeist frohsinnigem Geist sensibel vermittelnd. Bunter Humor changiert sanft mit reifen Lebensweisheiten, von der Neuen Philharmonie Westfalen mitreißend interpretiert. So sind die Magie des Orchesters und klangschön verschmelzende Stimmen inmitten einer lebendig humorigen Inszenierung gute Gründe, diesen Rosenkavalier am MiR in Gelsenkirchen zu besuchen.
IOCO / Viktor Jarosch / 4. Juni 2013
Weitere Vorstellungen: 8. Juni 19.00 Uhr, 16. Juni 18.00 Uhr, 21. Juni 19.00 Uhr, 4. Juli 2013 19.00 Uhr
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