Gelsenkirchen, Musiktheater im Revier, Mathis der Maler - Paul Hindemith, IOCO Kritik, 03.11.2017
Musiktheater im Revier Gelsenkirchen
Mathis der Maler von Paul Hindemith
Das Individuum - Im Bannkreis von Unruhen, Dogmen, Meinungen
Von Viktor Jarosch
Paul Hindemith (1895 – 1963) lebte 1934 in Deutschland, als Adolf Hitler und Alfred Rosenberg die Uraufführung seiner Oper Mathis der Maler verhinderten, seine Kunst als entartet erklärten und Joseph Goebbels Hindemith als „atonalen Geräusche-macher“ beschrieb. Hindemith spürte Kommendes und handelte auf die Machtergreifung der Nazis auffällig konkret, nicht künstlerisch verklärt: Eine schon fortgeschrittene Komposition zu Johannes Gutenberg widmete er kurzerhand um: Nicht mehr dem Erfinder des Buchdrucks sondern Matthias Grünewald, dem Schöpfer des Isenheimer Altars (1514). Hindemiths Mathis, mit realer Wortgewaltigkeit komponiert, lehnt die Oper ungewöhnlich nah an das Genre Schauspiel.
Mathis der Maler wurde 1938 in Zürich uraufgeführt, wohin Hindemith geflüchtet war. Die Oper reflektiert in unromantisch freier Tonalität mit schroffen Rhythmen, grellen Dissonanzen und in real direkter Sprache Hindemiths eigene Gegenwartskrise über die politischen Verantwortung eines Künstlers in unruhigen Zeiten: In der Abgeschiedenheit eines Klosters sinnt Mathis der Maler über seine Pflichten in einem Leben im Umbruch, der allgegenwärtige Krise der Bauern in der Gesellschaft und der Kirche inmitten der von Protestanten betriebenen Reformation. In sieben Bildern verdichten Hindemith wie Mathis wiederkehrend das zeitlose Thema der Suche nach dem „richtigen Lebensweg“; im Leiden und der Brutalität von Kriegen, Bereitschaft für persönliche Opfer zu zeigen.
Grünewald (um 1480 – 1531) war zu seiner Zeit eine bekannte Person, als Künstler aber auch als langjähriger Hofbeamter des Erzbischofs von Mainz. Bekannt ist, dass Grünewald Sympathien für die rebellierenden Bauern hegte, dass ihn die Reformen Luthers und sozialutopische Ideen bewegten. Vermutlich über seine Nähe zu aufständischen Bauern wurde er in Mainz als Hofbeamter des Erzbischofs entlassen.
Regisseur Michael Schulz sieht Mathis der Maler als Oper mit spürbaren Bezügen zur Gegenwart. Der in dieser Oper rauh, unversöhnlich ausgetragene Kampf von Meinungen zum Leben, über Dogmen der Kirche wie über die Rolle von Künstlern, so Schulz, sind im Heute so aktuell wie ehemals; sie sind auch der laute Kontrapunkt zu einer überbordenden, alles verspassenden Unterhaltungskultur. Schulz inszeniert Mathis der Maler im MiR mit modernen Bildsequenzen, doch mit hohen Torbögen mittelalterliches Klosterambiente austrahlend. Zur Ouvertüre wird der Besucher mit einer packenden Videoprojektion von Ives Klein eingestimmt welche filigran in die Handlung überleitet. 800 (!) Kostümvariationen (Kostüme Renée Listerdal), gleißende Lichteffekte (Patrick Fuchs), exzellente Personenführung verleihen dem Bühnengeschehen mit streitenden wie sinnenden Protagonisten, von Kardinal, Mathis, Bauernkriegern, Protestanten wie Kirchenleuten modern lebendige Optik.
Das erste Bild: Der karge kalkfarbene hohe Raum eines mittelalterlichen Klosters (Bühne Heike Scheele). Darin Mathis der Maler, der vor den Augen der MiR -Besucher ein Kunstwerk schafft, welches durch den Opernabend führt: Sichtbar weltabgewandt bestreicht Mathis den Körper einer Frau, mit gleißend blauer Farbe, welchen sie im Folgenden über ein großes Leinentuch rollt, rutscht (Dramaturgie Gabriele Wiesmüller): Dies gerade geschaffene Kunstwerk begleitet, fasziniert über die gesamte Vorstellung. Mathis´ künstlerische Distanz zu vor den Klostermauern tobenden Zwisten wie Zweifeln bezeugt er in ersten Worten: Entspannt sich in einem Eimer die Füße waschend sinnt Mathis: „Sonniges Land. Mildes Drängen Schon nahen Sommers. …. Bist nicht nur eignen Nutzens voll?“. Während im Hintergrund der Chor unsichtbar kraftvoll christliche Lehren verkündet: „Rector potens, verax Deus, qui temperas rerum vices (Allmächtiger Lenker, wahrhafter Gott, der du leitest den Wechsel der Dinge)“. Der geflüchtete Bauernführer Schwalb erscheint, verletzt in Kampfanzug stöhnend: „Mit Steuern und Zolle wird er – der Bauer – gepresst. Der Bauer steht auf!“ während seine Tochter Regina das hartes Leben beklagt: „Schmutz, Hunger und Leid sind unsere Begleiter“ ihr brutales Leben. Das zweite Bild spiegelt die Zerrissenheit der Gesellschaft wie Entrücktheit der Eliten in Kirche und Staat ähnlich drastisch wie konkret: In der Martinsburg in Mainz wird der Empfang des Kardinals zelebriert: Nicht bescheiden, einfach, sondern als elegantes, aufwändiges gesellschaftliches Ereignis. Auf Serviertischen stehen Sektgläser; junge schicke junge Frauen in flotten Kostümen tragen eine Reliquie, welche der Kardinal segnet, derweil die Katholiken und Protestanten untereinander streiten und sich mit Torten bewerfen. Doch Kardinal räsoniert ungerührt wie volksfern: „Empfängt mich in Mainz die Eintracht friedlicher Bürger“.
Die MiR Inszenierung von Mathis der Maler zeigt über die sieben Bilder auf der Bühne den Parcours realen Lebens: Meinungen gepflastert mit Widersprüchen treffen auf Dogmen, sensible Träume, platte Gefälligkeiten oder glattes wie robustes Vorteilsstreben. So sterben Bauernführer wie Bauern, streiten, bekehren sich Kirchenleute, wandelt der Künstler ungerührt durch als dies Geschehen. Nie verrät Hindemith sein Werk mit jenem betrügerischen Deus ex machina, dem ersehnten „himmlischen Fingerzeig" oder gar kollektiver höherer Einsicht.
Das große MiR Ensemble besticht in diesem schwierigen Werk durch ungewöhnlich sängerische wie darstellerische Präsenz: Die zentrale Partie des Mathis ist monströs, allein schon durch riesige wie schwierige Texte. Urban Malmberg, seit zwei Jahren im MiR – Ensemble, besticht durch Textsicherheit und weichem Bariton, wie als „Egozentriker“ Mathis, des immer nur mit sich selbst beschäftigten Künstlers, der scheinbar unberührt durch die Zeiten des Umbruch wandelt, als eine Art Katalysator für sein Umfeld wirkend. Tobias Haaks, ohnehin körperlich kräftig, entspricht mit Kampfjacke und kraftvoller Stimme dem Bauerführer Hans Schwalb. Auch die Sopranpartien sind bestens besetzt: Yamina Maamar, als reiche Bürgerstochter zwischen Mathis und dem Kardinal verwoben, besteht hochdramatische wie oft innigliche Momente mit Bravour. Bele Kumberger verbreitet als Regina liebende Präsenz; das Herz des Besuchers ergreift Kumberger im siebten, schließenden Bild, wenn sie mit seelenreicher Lyrik „Es sungen drei Engel ein süssen Gesang, Der weit in den hohen Himmel erklang“ von dieser Welt Abschied nimmt. Ebenso überzeugte Martin Hombrich überzeugte in der großen Tenor - Partie als volksferner Kardinal Albrecht von Brandenburg, der letzlich doch seinem Gewissen folgt und sein Amt als Kardinal niederlegt und, konkretes Handeln widerspiegelnd, zum Protestantentum wechselt.
Das nicht große Orchester der Neuen Philharmonie Westfalen unter Rasmus Baumann erzeugt den eigenen kraftvollen Mathis – Klang eines großes Orchesters. Dieser volle Klang entstand nicht, weil das Orchester laut war, sondern weil die grandiose Instrumentierung Hindemiths mit wenigen aber perfekten Blech- und Holzbläsern, bei mitreißenden Flöten- und Fagott-Soli einen unendlichen Klangreichtum von Spätromantik bis zu Barock möglich macht. Welchen die Neue Philharmonie Westfalen als solistisch wie als Orchester nutzte. Im Überschwang der Gefühle könnte man geradezu eine Seelenverwandtschaft zu Hindemith vermuten. Mit dem spielfreundigen und gesangs- starken Ensemble, dem facettenreichen Bühnenbild ist Mathis der Maler ein weiterer Stern in der Krone des MiR, der "Perle des Ruhrgebiets“.
Mathis der Maler im Musiktheater im Revier; weitere Vorstellungen 9.11.2017; 12.11.2017; 26.12.2017, 10.12.2017, 30.12.2017
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