Gelsenkirchen, Musiktheater im Revier, Der Liebestrank - Gaetano Donizetti, IOCO Kritik, 14.05.2018

Gelsenkirchen, Musiktheater im Revier, Der Liebestrank - Gaetano Donizetti, IOCO Kritik, 14.05.2018
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Musiktheater im Revier Gelsenkirchen

Musiktheater im Revier Gelsenkirchen © MiR Musiktheater im Revier
Musiktheater im Revier Gelsenkirchen © MiR Musiktheater im Revier

Der Liebestrank - Gaetano Donizetti

 Semperoper und MiR - Vereint im Liebestrank

Von Viktor Jarosch

Gaetano Donizetti (1797–1848) war ein ungewöhnlicher Viel-Komponist: In seiner Schaffenszeit von nur 25 Jahren komponierte er über 70 Opern, Messen, Kantaten, Sonaten. Er formte, in heftiger Konkurrenz mit Vincenco Bellini (1801–1835), eine musikalische Brücke zwischen Gioacchino Rossini und Giuseppe Verdi wie den Weg vom modischen Belcanto zur differenzierenden musikalischen Charakter-Dramatik. Im September 1830, mit seiner 32sten Oper Anna Bolena, Librettist Felice Romani, wurde Donizetti  bekannt. Weitere sechs Opern hatte Donizetti komponiert bis, im Mai 1832, die in drei Wochen entstandene Oper L´Elisir d´amore, Der Liebestrank den wahren Durchbruch brachte. Er wurde weltberühmt. Der Liebestrank gehört seither zu den meist gespielten Werken auf großen wie kleinen Bühnen des Globus. Der große Erfolg überraschte selbst Donizetti.

Musiktheater im Revier / Liebestrank - hier : Nemorino und die Belcores © Pedro Malinowski
Musiktheater im Revier / Liebestrank - hier : Nemorino und die Belcores © Pedro Malinowski

„Meistermacher“ des Liebestrank war wie bei Anna Bolena, Librettist Felice Romani. Romani suchte beständig nach neuen Sujets für Donizetti und den schon damals schnelllebigen italienischen Opernmarkt. Das spritzige Libretto des französischen Dramaturgen Augustin Eugène Scribe begegnete ihm; Daniel Auber hatte daraus die in Frankreich erfolgreiche Oper Le Philtre geschrieben. Romani übernahm das Libretto nahezu wörtlich ins italienische, füllte es mit „Buffo-Arien“, welche Donizetti filigran komponierte und instrumentierte: Fertig war L´Elisir d´amore! In einem Monat.  Der folgende große Erfolg überraschte selbst Donizetti.

Belcore, Dulcamara - Bereiter von Lebensvielfalt

Michael Schulz, Regisseur des Liebestrank (NB: Schulz ist auch Intendant des Musiktheater im Revier, MiR) schuf diese Inszenierung zuvor für die Semperoper Dresden; mit Dirk Becker (Bühne) und Renée Listerdal. Schulz´ Paradigma der Inszenierung: Die Befreiung richtungsloser, mental gefangener Menschen, Charaktere aus der Einfalt des Lebens, aus selbst-gewählter Beschränkung in eine lebende, farbige, sich zum Besseren ändernde Welt. Nemorino, Belcore, Dulcamara sind in Schulz‘ Inszenierung die Katalysatoren der Veränderung: Facettenreichtum und farbige Kreativität in Choreographie, Bühnenbild und Kostümen schaffen eine mitreißende Inszenierung. Liebestrank in Gelsenkirchen ist so mehr als pausbackige Komische Oper, keine biedere  Opera Buffa, wenn ihn auch Belcanto und Frohsinn prägen.

Musiktheater im Revier / Liebestrank - hier : Dulcamara und sein Rotwein alias Liebestrank © Pedro Malinowski
Musiktheater im Revier / Liebestrank - hier : Dulcamara und sein Rotwein alias Liebestrank © Pedro Malinowski

Dem Besucher begegnet zur Ouvertüre der der alt-keltischen Sage um Tristan und Isolde entstammende Liebestrank:  Mit wagnerianischen Alliterationen, projiziert auf dem Bühnen-vorhang: „Und Tristan trank den trüben Trunk…..“  , welche mit einem irritierenden „Ha?“ endeten. Das erste Bühnenbild beginnt verhalten; es zeigt einen etwas herunter gekommenen Ballsaal, Tische mit Nummernlämpchen, verriegelte Türen und Fenstern: Eine bunte aber richtungslose Gemeinschaft, tanzt, küsst, stolpert, fällt darin, doch merkwürdig ziellos. Es ist eine Gesellschaft, der Freude am Leben, an partnerschaftlichen Beziehungen, an der Farbe in ihrem Leben verloren ging.  Nur der schüchterne, wie verloren wirkende Nemorino wird noch von Gefühlen, Liebe geleitet und betet in seiner ersten  Arie „Quanto è bella, quanto è cara !  Più la vedo, e più mi piace ..Welche Schönheit, welche Reize...“,  die  ebenfalls teilnahmslos, abwesend wirkende Adina an: Die gefühlsarme Gemeinschaft dreht Nemorino den Rücken zu, ignoriert ihn, buht ihn aus. Auch Adina nimmt Nemorino nicht wahr, erzählt stattdessen über den Liebestrank:  „Della crudele Isotta, il bel Tristano ardea…. Tief von Isoldens Reizen  war Tristans Herz getroffen“. Man lebt blutlos, freudlos, wie in Trance.

Musiktheater im Revier / Liebestrank - hier : die Belcores feiern Adina © Pedro Malinowski
Musiktheater im Revier / Liebestrank - hier : die Belcores feiern Adina © Pedro Malinowski

Ein wunderbarer Regie-Clou leitet den Wandel der Gemeinschaft zu lebensfrohem, farbigem Leben sichtbar ein: Von magischer Hand geführt schneidet eine Säge eine Öffnung in den Boden. Dieser Öffnung entsteigen, noch in farbloser Malerkluft, Belcore (Michael Dahmen) und acht weiteren Belcores. Auf der Bühne reißen die Belcores ihre Kluft herunter, um mit Helmbusch, prachtvollen Uniformen und mitreißenden Choreographien  (Sebastian Schiller)   reales Leben im Farbe und Sprache zu zeigen: „Keine Frau widersteht dem Anblick eines Helmbusches!“. Ein verloren einsam wirkender Klavierspieler (Askan Geisler) schlurft immer wieder zur Bühnenmitte, um dort Träume in Form eines Luftballons in den Himmel steigen lässt, der kurz darauf zerplatzt auf die Bühne zurück fällt. Doch frohes, neues Leben ist unwiderruflich in die Gemeinschaft zurückgekehrt:  Die Belcores ziehen sich zur Ruhe in ein winziges Zelt zurück, welches beständig verräterisch schaukelt, aus welchem Hände Adinas Bein begrapschen.  Spektakulär verformt sich sodann das Bühnenbild mit dem Erscheinen des Quacksalbers Dulcamara: Trommelwirbel; der riesige Bug eines Schiffes bricht sich durch die Seitenwand auf die Bühne; aus einer mit glitzernden Lichtern behangenen Türe am Boden des Bugs erscheint Dulcamara: „Kauft meine Medizin….Wollt ihr glatte Haut haben...“. Die noch seelenarme Gemeinschaft horcht…, Nemorino bittet Dulcamara um Tristan und Isoldes Liebestrank.., Belcore erhält einen Marschbefehl..  Ein spektakulär durch die Bühnendecke brechender riesiger Kronleuchter beendet den ersten Akt und zeigt auch, warum diese Produktion in Dresden erfolgreich war.

Der zweite Akt wird dann endgültig zum Stimmenfest, zur herrlichen Opera Buffa: Ein langer gedeckter Tisch mit viel Spaghetti und Rotwein, an welchem die neun Belcores italienisch ausgelassen Hochzeit feiern während sich Adina sichtbar unwohl fühlt; Nemorino bettelt in seinen Liebesnöten Dulcamara erneut um den Liebestrank; verdingt sich bei den Belcores (abermals mit starker Choreographie)  als Soldat;  nebenan feiern die Frauen Nemorina als reichen Heiratskandidaten: „Ist eine gute Partie“. Pralles wie vielseitiges Leben wird allgegenwärtig, ist sichtbar, spürbar, bis zum allseits bekannt guten Ende: der Hochzeit von Nemorina und Adina.

Musiktheater im Revier / Liebestrank - hier : Nemorino wird ob der Erbschaft von Frauen umschwärmt © Pedro Malinowski
Musiktheater im Revier / Liebestrank - hier : Nemorino wird ob der Erbschaft von Frauen umschwärmt © Pedro Malinowski

Das MiR überrascht erneut: Selbst höchst anspruchsvolle  Opern „stemmt“ das inmitten des Ruhrgebietes liegende, finanziell beschränkte MiR meist mit dem eigenen Ensemble; so auch diesen Liebestrank. Die Koreanerin Dongmin Lee kokettiert als Adina spielerisch mit perlenden, lyrisch sanften wie dramatischen Koloraturen; ist  stimmlicher Höhepunkt des Abends. Mit bleibend ungestresster Natürlichkeit in ihren anspruchsvollen Arien vermittelt Dongmin Lee farbiges italienischen Belcanto voller Menschlichkeit und Charme. Ibrahim Yesilay als Nemorino füllte seine große Partie – schüchtern oder mutig weil voll des Liebestranks - darstellerisch und mit wohl timbrierten lyrischem Tenor; einschließlich der großen romantischen Arie Una furtiva lagrima. Auch Michael Dahmen als Belcore wie Joachim Maaß als Dulcamara überzeugen in ihren Partien darstellerisch wie stimmlich. Lina Hoffmann ist in ihrer stimmlich eher kleinen Partie als Gianetta szenisch wie auffällig präsent. Der große wie viel beschäftigte Chor (Alexander Eberle) klingt stets homogen. Thomas Rimes führt die Neue Philharmonie Westfalen lebendig und mit den differenzierenden Pianos sehr sängerfreundlich.

Musiktheater im Revier / Liebestrank - hier : Premierenapplaus © ioco
Musiktheater im Revier / Liebestrank - hier : Premierenapplaus hier von links Belcore, Adina, Nemorino, Dulcamara und Gianetta © ioco

Das Gelsenkirchener MiR-Publikum feierte Darsteller wie Inszenierung mit großem Beifall: Zum Ende der Vorstellung ohnehin; doch viel umfangreicher in der folgenden MiR-traditionellen Premierenfeier. Zu später Stunde beklatschten dort mehrere hundert Besucher die Ausführungen von Intendant / Regisseur Michael Schulz zu Darstellern und Inszenierung, bei Essen und guten Getränken. Es war deutlich spürbar: Die Besucher feierten nicht nur Darsteller und Inszenierung; sie feierten auch "ihr" MiR.

Der Liebestrank im Musiktheater im Revier: weitere Vorstellungen 19.5.; 27.5.; 1.6.; 3.6.; 23.6.; 24.6.; 7.7.2018

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