Gelsenkirchen, Musiktheater im Revier, A Midsummer Night´s Dream - Benjamin Britten, IOCO Kritik, 15.01.2016
Musiktheater im Revier Gelsenkirchen
Träume ich? Wache ich? Wer bin ich?
A Midsummer Night´s Dream
Bejamin Britten (1913 – 1976), ein großer Komponist der Neuzeit, durchlebte unendliche Konflikte. Nähe zum Klassizismus, zum englischen Barockkomponisten Henry Purcell, zur französischen Musikästhetik bestimmen seine Werke. Brittens Oper, A Midsummer Night´s Dream, basiert auf Shakespeares Komödie mit Musik und entstand vor über 400 Jahren, etwa 1595. Britten übernahm Shakespeares komplexe Handlung und Text in voller Dichte und schuf daraus 1960 ein phantasievoll stilisierendes Musikwerk. Reale Menschenwelten changieren dort sanft und sensibel mit den Traumwelten von Elfen und Feen. Im Traum ist alles möglich, wie in der Wirklichkeit. Wo sind wir wirklich, in diesem Augenblick? Träumen wir oder umgibt uns reales Leben? Alles verfließt immer, der Traum in die Wirklichkeit, die Wirklichkeit in den Wachtraum. So auch in der packenden MiR- Inszenierung in Gelsenkirchen.
Brittens A Midsummer Night‘s Dream füllt durch Klangzauber und Bezüge zu alter englischer Musik die Operhäuser weltweit. Schon in der Bezeichnung von Shakespeares Komödie wird die Vielschichtigkeit der Stückes offenbar: Sie beginnt und endet mit einer Hochzeitsfeier und verwebt dabei drei eigenständige Geschichten: Theseus, Herrscher von Athen, feiert Hochzeit und Friedensfest mit der im Kampf besiegten Amazonenkönigin Hippolyta. Zu der Hochzeit kommt Oberon, König der Elfen, und Feenkönigin Tytania wie die Liebespaare Hermia und Lysander wie Helena und Demetrius. Eine Handwerkertruppe wiederum möchte zu Ehren des Theseus das Schauspiel Pyramus und Thisbe aufführen (ein den Metamorphosen Ovids entnommenes Liebespaar, Buch 4). Doch Oberon streitet mit Tytania, auch die beiden Liebspaare. Zur Lösung der Streite tröpfelt Oberon den Zaubersaft einer Blume in die Augen von Tytania; seinen Elfen Puck bittet er, den Zaubersaft Helena und Demetrius einzuflössen. Doch Puck träufelt den Saft in falsche Augen und alles Liebesleben nimmt in der folgenden Nacht unerwartete, ungewollte Wendungen. Menschen paaren sich Elfen, Tytania verfällt einem Esel; alle fallen erschöpft in tiefe Traumwelten. Derweil übt die Schauspieltruppe an ihrem Stück. Das Erwachen aller am Folgetag bringt Gästen und Elfen ungläubige Verwirrung wie Versöhnung. Doch schon beginnt die Hochzeit des Theseus, alle eilen dorthin. Theseus geleitet Hippolyta zur Feier, den wieder vereinten Liebespaaren wird die Hochzeit versprochen. Die tragische Komödie Pyramus und Thisbe wird aufgeführt. Die nun wieder herrschenden Elfen versöhnen in der folgenden Nacht Natur und Mensch mit ihrem Segen.
A Midsummer Night´s Dream in Gelsenkirchen wird von 484 Quadratmeter weißem Tuch (Inszenierung Michael Schulz, Bühne Mathrin-Susann Brose) dominiert. An neun Seilen senkt sich das riesige Tuch aus dem Schnürboden herab, breitet sich über die Bühne aus, um dort, in weiche wie abrupte Farben (Licht Patrick Fuchs) gehüllt und wechselnden Formationen Berge, Welle, Träume oder Wolken zu symbolisieren. Menschen- und Elfenwelten verschwimmen, wie die Grenzen zwischen Traum und Realität. Das Unbewusste, das Unterbewusste nimmt sich seinen Raum.
Phantasie, Verwirrung und pausbackene Derbheit der Laienschauspieler werden auf dem Wolkengrund ausgebreitet: In farbenfrohen Kostümen, martialisch oder mit Selfie (Renée Listerdal) und präziser Personenführung (Stephan Steinmetz). Der Besucher begleitet die verwirrende Handlung des Sommernachtstraumes mit eigenen Zwiespälten: Haben die Liebespaare im Traum oder in Wirklichkeit gestritten? Haben die wahren Paare in der Verwirrung wieder zueinander gefunden? Das Traumerwachen auf der Bühne bietet dem Besucher keine Hilfe: Die Liebespaare verlassen, sich wechselnd die Hände haltend, die Bühne.
Die englische Dirigentin Julia Jones wurde zu einem Star des Abends: Mit der Neuen Philharmonie Westfalen findet sie filigranen Zugang zu Benjamin Brittens modern-klassischer Klangkomposition. Jones schuf besondere Hörerlebnisse, wenn helle Piccolo-Flöten, Vibrafon oder Triangel den Klangwelten sphärischer Elfen, unglücklich Liebender oder dilletierender Schauspieler musikalischen Charakter und Glanz verleiht. Das kleine Orchester klingt in vielen Soli transparent und akkurat, an dramatischen Stellen wiederum entwickelt es dissonante Bissigkeit. Das Ensemble rundet die überzeugende Inszenierung auf der Bühne stimmlich und darstellerisch ab: Countertenor Matthias Rexroth gibt der zentralen Partie des Oberon Präsenz und Kraft. „Tytania“ Bele Kumberger phrasiert mit sinnlichem und hellen Sopran, während „Puck“ Klaus Brantzen die Liebespaare in einer komplexen wie starken Artisten- und Sprechpartie als abgelebter Halbweltler verführt. Doch auch die verführten Liebespaare und das Sextett der Handwerker (besonders gestaltend Urban Malmberg als Bottom), ein wohltimbrierter Tenor Dong-Won Seo als Theseus und Almuth Herbst als Hippolyta tragen die mitreißende Gesamtleistung des Abends.
Die Produktion des Midsummer Night´s Dream begeisterte das Publikum des bis auf den letzten Platz ausverkaufte große Haus des MiR. Inszenierung, Orchester, Dirigat und Ensembleleistung boten eine Sommernachtstraum, welcher den kalten, dunklen Winterabend verzauberte, die Besucher zum Träumen und, zum Ende, zu lautem, anhaltendem Beifall verführte. IOCO / Viktor Jarosch / 15.01.2016
Weitere MiR - Vorstellungen: 7. Februar 2016, 14. Februar 2016
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