Frankfurt, Schauspiel, FAUST 1 & 2 - J W von Goethe, IOCO
SCHAUSPIEL FRANKFURT - Faust 1 & 2: Zuschauer der Städtischen Bühne Frankfurt am Mains nehmen unter der Regie von Jan-Christoph Gockel an einem Faustischen Vergnügungspark teil. Zu sehen ist das Leben und die Karriere
von Seyma DouDouxi
Hinreissend modernes Faust-Spektakel im Schauspiel Frankfurt
Zuschauer der Städtischen Bühne Frankfurt am Mains nehmen unter der Regie von Jan-Christoph Gockel an einem Faustischen Vergnügungspark teil. Zu sehen ist das Leben und die Karriere des Doktor Faustus, gefolgt von Faust 1 und Faust 2 von Johann Wolfgang Goethe, inszeniert als eine Art Geisterbahnfahrt durch die Höhen und Tiefen des menschlichen Strebens.
"Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten. Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt. Versuch ich wohl ....... "
Im ersten Teil der Inszenierung im Schauspiel, Frankfurt gleicht das Bühnenbild einem Puppentheater. Wie Marionetten erscheinen die Figuren auf der Bühne. Man taucht in die, an moderne Zeiten angepasste, industrialisierte Faust-Welt ein. Faust selbst – der lange schon nicht mehr Herr seiner Gefühle und Taten ist – wird zur fremdgesteuerten Marionette seiner eigenen wie auch fremder Ambitionen.
Dabei wird die Figur des Faust als Puppe – einem Kadaver ähnelnd – vom Ensemble bespielt. So wird er mit Hilfe der Schauspieler auf der Bühne belebt und getragen. Auf diese Weise soll die Abhängigkeit des Faustus von den anderen Figuren vor Augen geführt werden, ohne die er eine Nichtigkeit wäre. Zugleich will die „Bespielung“ die Frage aufwerfen: Wieviel Faust steckt in jedem von uns? Begleitet von den wohl bekanntesten Zitaten aus Faust I, die aus den Soundanlangen ertönen, rast man bis zur ersten Pause wie in einem Jahrmarktspektakel durch das Geschehen.
Goethe (1749-1832), der bereits 1800 beschloss, Faust in zwei Teile zu gliedern, stellt Regie und Ensemble vor eine anspruchsvolle Herausforderung. Denn Faust II ist deutlich handlungsärmer und abstrakter. Über sechzig Jahre arbeitete Goethe insgesamt an seinem Lebenswerk. Trotz der starken Differenz sind beide Teile des Werkes gleichermaßen wichtig. Zwar handelt es sich bei Faust II durchaus um eine Fortsetzung, doch mit anderen stilistischen Mitteln. Wissenswert ist, dass der zweite Teil der Tragödie selbst zu Lebzeiten Goethes nicht unumstritten war. Bei der ersten Erscheinung mangelte es noch am wirklichen Interesse. Es hagelte Kritik und Spott. Auch der Autor war von Skepsis getragen und befürchtete ein gewisses Unverständnis. Selbst verunsichert über die Frage, ob oder wie man Faust II überhaupt auf die Bühne bringen könnte, reagiert Goethe auf die negativen Reaktionen einstweilen mit Nichtveröffentlichung des Textes zu Lebzeiten. Gleichwohl liegt der Fokus von Jan-Christoph Gockel Theateraufführung an diesem Abend auf der Forstsetzung der Tragödie zweiter Teil.
Jetzt erscheint Faust in erster Linie als Unternehmer, als die Ratio schlechthin, der unermüdlich nach Macht, Einfluss und Aufstieg trachtet. Und dennoch, kein Glück der Erde, weder die schöne Helena, die er als Frau gewinnen will, noch jeglicher materieller Besitz stillt seinen Hunger. Am Höhepunkt seines Schaffens hören wir Faust kläglich klagen, „das kann mich nicht zufriedenstellen“. Offenbaren soll sich dem Publikum eins, dass Faust im Wesentlichen ein homo oeconomicus ist und unaufhaltsam – ungeachtet jeglichen Schadens – nach endlichen Gütern strebt. Unersättlich geht er dabei in Begleitung von Mephisto immer einen Schritt weiter, immer höher, immer schneller. Wie viele Leichen er auf seinem Irrweg hinter sich lässt, ist ihm ganz gleich. Immer wieder holen ihm die Schatten seiner Vergangenheit ein und er scheitert an den Lastern seiner eigenen Ideale und Wunschvorstellungen. Je mehr sich Faust ans Leben klammert, umso mehr findet er dabei nur eins: den Tod.
So bedeutsam die Stadt Frankfurt für Goethe war, ist auch die Bedeutung Goethes für Frankfurt unleugbar. Dies wird auch während der Theaterinszenierung durch die vielen Frankfurt-Anspielungen deutlich. Erwähnt seien dabei der Willy-Brandt-Platz als anmutige Szene oder die Skyline als (Hochfinanz-)Gebirge. Auch die Musiktradition der Technomusik und des Technotanz finden auf der Bühne ihren Platz. Der komödiantische Gebrauch des Frankfurter‘ischen Dialekts in einigen Dialogen sorgt für viel Gelächter. Der Frankfurter Bürger soll sich heimelig fühlen an jenem Abend auf der Städtischen Bühne. Generell, die Einbindung des Publikums in die Inszenierung ist in dieser Aufführung pädagogisches Programm.
Die Inszenierung Gockels kennzeichnet die Lust am Spielerischen und das Testen von Grenzen. Unterschiedliche Wirklichkeitsebenen überschneiden sich und konkurrieren um ihren Geltungsanspruch. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Illusion. Verfremdungen, Phantasmen, Wahrheit und Mythos, alles zur gleichen Zeit. So entstehen auf der Bühne unterschiedliche Bildebenen. Das reale Schauspielgeschehen auf der Bühne wird überlagert durch eine Live-Kameraübertragung. Die gewohnte Schauspielbühne wird auf die Straße hinaus erweitert. Nicht nur die Erzählebenen, sondern auch die Wirklichkeitsebenen sind in dieser Version des Fausts permeable. Auf diese Weise wird das Episodenhafte der Faustschen Tragödie noch einmal mehr verstärkt. Auch in der Dimension von Raum und Zeit finden weder Faust noch das Publikum einen Halt. Die Aufführung befreit sich von jeglichem Anspruch auf Wirklichkeit. Mit Goethe gesprochen: „O glücklich, wer noch hoffen kann, aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen! Was man nicht weiß, das eben bräuchte man, und was man weiß, kann man nicht brauchen“.
Bei immer drastischeren Kürzungen der Förderung des Kulturbetriebes wird an diesem Abend auch eine weitere, wichtige Erkenntnis ersichtlich: die steigende Abhängigkeit des Theaters vom Publikumsinteresse und -geschmack. Im Zeitalter des modernen Kapitalismus ist der Mensch nicht nur ein homo oeconomicus, sondern auch Konsument! Er sehnt sich nach einem Spektakel. Der Zuschauer will, so scheint der Intendant zu glauben, in erster Instanz Unterhaltung. Auch an dieser Stelle eignen sich Goethes eigenen Worte: „Jedermann erwartet sich ein Fest. Sie sitzen schon mit hohen Augenbrauen. Gelassen da und möchten gern erstaunen“. So wirft auch das Ensemble ein: Faust verkauft sich nun einmal gut. Das ist Fakt. Tatsache ist auch, dass die immer stärker wachsende Abhängigkeit des Kulturbetriebes von der Zahlungsbereitschaft des Publikums entsprechende Folgen für das künstlerische Schaffen hat und dieses durchaus auch gefährdet. Gebunden an die Bedürfnisse des Publikums büßt sie sicherlich auch an ihrer künstlerischen Freiheit. Dies mag unter anderem auch der Grund dafür sein, dass das, was wir hier auf der Bühne sehen, einem spektakulären, lauten und bunten Blockbuster gleicht. Das Theatererlebnis passt sich dem digital turn an und gleicht zusehends einem Kino-Erlebnis.
BESETZUNG: Ensemble (Der alte Faust)Torsten Flassig (Der junge Faust)Wolfram Koch (Mephisto)Lotte Schubert (Margarethe später thessalische Hexe)Andreas Vögler (Wagner)Melanie Straub (Helena / Kaiser)Christoph Pütthoff (Kanzler)Caroline Dietrich (Euphorion)Mark Tumba (Valentin)
Dennoch fehlt es der Aufführung nicht an „Tiefsinn“! Vielfältige und hochaktuelle Themen werden von dem überzeugenden Ensemble (siehe oben) auf der Bühne verhandelt. Der Aufstieg der Moderne, die Industrialisierung, Staatskrisen, kurzsichtige Politiken, die zerstörerische Kraft des Kapitalismus, Gender-Debatten und, und, und… So versucht Gockel wieder einmal deutlich zu machen, wie viel anregendes Material in Goethes Faust auch heute noch steckt. Im Begleitheft zur Inszenierung postuliert der Regisseur: „jede Zeit sucht ihren Faust, baut ihren Faust, konstruiert und strickt ihren Faust, setzt ihn zusammen wie Dr. Frankenstein sein Geschöpf. Das kann man zeigen“. Leitend für Gockels Version ist die Frage: Wer trägt die Verantwortung für die regressiven Formen menschlichen und gesellschaftlichen Fortschritts? Wenn selbst Faust mit beschwichtigenden Worten wie, das habe er nun auch nicht gewollt – jede Verantwortung von sich weist, wer, wenn nicht der Mensch selbst, hat die Konsequenzen seines eigenen Tuns zu verantworten? Wem, wenn nicht sich selbst, schuldet der Mensch Rechenschaft? So will uns die Inszenierung deutlich machen, dass dieses Hin- und Herschieben von Verantwortungen einer strengeren Skepsis der conditio humana bedarf.
In diesem Sinne führt das fatale Ende der Tragödie FAUST erneut vor Augen, dass wir gerne verlernen, zum richtigen Zeitpunkt innezuhalten um uns auf das Eigentliche und Wahre im Leben zu besinnen. Das Schauspiel Frankfurt zeigt uns, wie wichtig und notwendig Kritik und Selbstreflexion sind, statt ein alltägliches Dasein oft nach überholten Idealen zu führen, die oft ihre Glaubwürdigkeit verloren haben.
Vielmehr müssen die zivilisatorisch maßgebenden Ideale immer wieder neu, zeitgemäß überprüft werden, um reflektiert in die Tat umgesetzt zu werden. Dieses moralische Gebot ist jedem einzelnen von uns auferlegt. Sonst laufen wir Gefahr, wie am Ende der Inszenierung, nseres Lebens, als Kadaver unseres selbstzerstörerischen Handelns und Konsums nur noch durch den „Gift-Shop“ einen Ausgang aus diesem menschlichen Dilemma zu finden. Die Frage richtet sich an uns alle: wollen wir ein solches Ende allen Ernstes wagen?
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