Frankfurt, Oper Frankfurt, TANNHÄUSER UND DER SÄNGERKRIEG AUF WARTBURG, IOCO
Tannhäuser - Oper Frankfurt: Matthew Wild, der südafrikanische Regisseur der Neuproduktion der Oper Frankfurt, glaubt nicht an eine Erlösung Tannhäusers. Einzig Elisabeth, für Wilde das emotionale Zentrum des Geschehens überhaupt, wird erlöst ...
von Ljerka Oreskovic Herrmann
Eine Oper, die nie richtig fertig wurde – so sah es jedenfalls Richard Wagner selbst. Seine Textdichtung wie Musik unterlief einem längeren Produktionsprozess und verschiedenen Fassungen. Die Uraufführung war 1845 im Hoftheater Dresden, die in Frankfurt gezeigte Version ist die Wiener Fassung, deren Erstaufführung wiederum 1875 stattfand. Wagner hatte zwei von einander unabhängige Sagen verschränkt und sie in einem Konflikt von sinnlicher und geistiger Liebe münden lassen. Nur die reine Liebe einer Heiligen – Elisabeth – mag ihn, die Titelfigur, erlösen.
Matthew Wild, der südafrikanische Regisseur der Neuproduktion der Oper Frankfurt, glaubt allerdings, um es gleich vorwegzunehmen, nicht an eine Erlösung Tannhäusers. Einzig Elisabeth, für Wilde das emotionale Zentrum des Geschehens überhaupt, wird erlöst und durchläuft einen Emanzipationsprozess. Tannhäuser bleibt letztendlich, wie auch die reale Identifikationsfigur Thomas Mann, den der Regisseur nicht nur im Programmheft zitiert, den Konventionen verhaftet, aber anders als Mann wird er eine Ehe nicht eingehen, zu mehr als einen zärtlich-brüderlichen Kuss für Elisabeth wird er nicht fähig sein. Er vermag es trotz eines Ausbruchsversuchs nicht, die gesellschaftlichen Gepflogenheiten zu überwinden und geht an der Unvereinbarkeit seiner Sehnsüchte mit diesen zugrunde, und ist eine stringent und konsequent bis zum Schluss erzählte Geschichte.
Tannhäuser oder vielmehr Heinrich von Ofterdingen, wie er in dieser Regiefassung heißt, ist ein vor dem nationalsozialistischen Regime in die USA geflohener Schriftsteller, dort gefeiert, aber vermisst. Zumindest verkünden dies die Videoeinspielungen (Clemens Walter), assoziieren die Epoche und vermitteln Authentizität, verstärkt durch Bühnenbild (Herbert Barz-Murauer) und Kostüme (Raphaela Rose). Beide, Barz-Murauer und Rose, geben den entsprechenden äußeren Rahmen, verleihen dem Gesamtgeschehen eine ins Detail gehende Wahrhaftigkeit. Die Bühne, zunächst ein alter Hörsaal in den 50er bzw. 60er Jahren an der katholischen Universität Maris Stella, wo Ofterdingen lehrt, wird in dreifach vorhandene von einem Lichtrahmen umfasste Hotelzimmer für die im Venusberg ausgelebte Sinnlichkeit geteilt; für das entsprechende Licht sorgte Jan Hartmann. Sie stehen sinnbildlich für die Zerrissenheit Ofterdingens, sein Versteckspiel, seine Heimlichkeiten. Es ist ja auch egal, wohin er flüchtet und sich verbirgt, sein Problem ist nicht allein die äußere Welt von gesellschaftlichen – nicht nur katholischen – Moralvorstellungen, sondern sein damit nicht in Einklang zu bringendes Inneres. Denn Heinrich liebt Männer und Venus, die Verführerin, wird die Erfüllung seiner Begierden sicherstellen und ihn an sich binden. Diese Venus – mit einem Totenschädel und von einer eindringlich unerbittlichen Intensität von Dshamilja Kaiser verkörpert – ist keine Liebesgöttin, in ihr erzeugt Wilde eine „Überlagerung von Eros und Thanatos“ (die französische Begrifflichkeit „la petite mort“ kommt dem sehr nahe). Für den Regisseur findet sich dieser Bezug nicht nur bei Manns Tod in Venedig, in Gestalt eines an Tadzio gemahnenden Jünglings, sondern bei Wagner selbst und seiner Oper Tristan und Isolde.
Bezüge, Zitate, Anspielungen sind in einer dermaßen großen Fülle vorhanden, sorgen für die rauschhafte Sogwirkung im Bacchanal (Choreographie Louisa Talbot) und auch wenn nicht alle überzeugen, wirken sie nicht beliebig. Die Regie erweckt Assoziationen, lässt aber genügend Raum für eigene Gedankenspiele, treibt die Erzählung immer weiter voran bis zum unausweichlichen Eklat im zweiten Aufzug. Die Musik – das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der Leitung des neuen GMD Thomas Guggeis – unterstreicht das Geschehen, versucht es aber nicht noch musikalisch zu überbieten. Dass Guggeis ein äußerst sängerfreundlicher Dirigent ist, wird an diesem Abend erkennbar: nicht übertrumpfend, sondern dem Gesamteindruck und der Gemeinschaftsarbeit gewidmet. Was im übrigen generell für seine neue Aufgabe zuzutreffen scheint, denn nur wenige Tage vor der Premiere trat er als Pianist zusammen mit anderen Orchestermitgliedern im 8. Kammermusikkonzert im Mozart-Saal der Alten Oper auf. Der Abend bot Quintette von Hindemith, Mozart und Schubert und kann als Kontrastprogramm zur Tannhäuser-Premiere gesehen werden. Dass Guggeis dafür Zeit und Aufwand nicht scheute, spricht für ihn.
Kehren wir zu Heinrich zurück. Er befindet sich endlich wieder in seinem Hörsaal (zweiter Aufzug), freudig erwartet und begrüßt von seinen Kollegen – einige als katholische Priester erkennbar – und den die Studentenschaft verkörpernden Chor. Wildes exzellente Personenführung erreicht hier seinen Höhepunkt: Wie er den Chor (und Extra-Chor) zum weiteren Protagonisten erhebt, lässt staunen und einmal mehr betonen, welche vokale und darstellerische Qualität die einzelnen Chormitglieder an der Frankfurter Oper aufbieten; an dieser Stelle sei erwähnt, dass Tilman Michael für ein Jahr die Chorleitung an der New Yorker MET übernehmen wird. Wer ihn in dieser Zeit in Frankfurt ersetzen wird, steht noch nicht fest. Der Chor jedenfalls ist Publikum und Akteur gleichermaßen, denn in diesem Hörsaal wird der Sängerstreit ausgetragen.
Zunächst wird die Rückkehr von Heinrich bejubelt, insbesondere die weibliche Fangemeinde ist entzückt und die Vorbereitungen für den Wettstreit in vollem Gange. Unterschwellig klingt an, dass trotz der Betriebsamkeit aller, irgendwie über dem ganzen kein guter Stern steht, trotz der vom Landgrafen versuchten Lenkung in die vermeintlich richtige Richtung – mit einer souveränen und vom Frankfurter Publikum gefeierten allgegenwärtigen Präsenz von Andreas Bauer Kanabas gegeben. Aber aus Heinrich und Elisabeth wird kein Paar werden.
Elisabeth ist eine junge Frau, die ihren Weg zwar noch sucht, sich über ihre Gefühle aber im Klaren ist und deshalb irritiert über Heinrichs abweisende Art zurückweicht. Christina Nilssons herrlicher Sopran, ihre jugendliche Ausstrahlung unterstreicht diesen Eindruck, während Tannhäuser, von Marco Jentzsch als gereifter in sich aber verstrickter Mann glaubwürdig dargestellt wird und diese auch körperlich spürbare Anspannung bis zum bitteren Ende durchhält. Gegen ihre Unverbrüchlichkeit wird er nicht ankommen, trotz der vielen Störungen, die er seinen Kollegen bei ihrem jeweiligen Gesangsvortrag zumutet und der finalen, nicht revidierbaren Grenzüberschreitung: Heinrich küsst vor aller Augen einen an ihm vorbeigehenden Studenten auf den Mund. Was er nicht „singen“ kann, demonstriert er stattdessen. Dass Heinrich nicht nur Elisabeth „jubelnd das Herz zersticht“, sondern seinen weiblichen Fans insgesamt, wird in der Folge deutlich: Eine Chorsängerin nach der anderen geht die Treppen des Hörsaals hinunter und zerreißt die Seiten aus ihrem jeweiligen Ofterdingen-Buch.
Eine grandiose Szene, da einerseits alle Frauen sich von Heinrichs Demonstration betroffen und solidarisch mit Elisabeth fühlen, die das ihrerseits überhaupt nicht tut - im Gegenteil –, andererseits ist nicht mehr das Coming-out Tannhäusers das eigentliche Problem, sondern nun seine übergriffige Tat. Diese unvermutete Wendung enthebt die Darstellung aus ihrer ursprünglichen Zeithaftigkeit und verortet sie in die heutigen Debatten um sexuelle Belästigung. Wild spannt einen Bogen von der Nazi-Zeit (Flucht in die USA), über die Nachkriegszeit und Biederkeit (besonders in den Kostümen, dem äußeren Erscheinungsbild der Epoche) bis hin zu den gesellschaftlichen Entwicklungen des 21. Jahrhundert. Und wenn man so will, die Überlagerung und Fortführung von gesellschaftshistorischen Prozessen bis in unsere Zeit hinein – was ihm auf äußerst spannende Weise gelingt. Wohl auch deswegen, weil das Geschehen durchaus filmischen Charakter mit vielen Wendepunkten besitzt.
Ebenso zeigen sich die Ritter-Professoren-Kollegen entrüstet, deren Ablehnung sich auch durch ihre jeweilige Körperhaltung vermittelt und erneut für die exzellente Personenführung Wilds spricht. Und für die jeweilige Einzelleistung. Dazu gehören Domen Križaj, der Wolfram von Eschenbach als Priester gekleidet, verhalten und doch sehnend in seiner Zuneigung zu Elisabeth spielt. Der junge Tenor Magnus Dietrich – seit dieser Spielzeit zum Frankfurter Ensemble gehörend – überzeugt als Walther von der Vogelweide wie auch die beiden Ensemblemitglieder Erik van Heyningen als Biterolf und Michael Porter, wie immer sehr spielfreudig, als Heinrich der Schreiber. Während die anderen ihren Unmut unmissverständlich äußern, zeigt sich bei Reinmar von Zweter eher Resignation oder Enttäuschung, von Magnús Baldvinsson zurück-genommen leidend, aber stets präsent verkörpert. Der vielseitige Bass ist seit Jahren in zahlreichen Inszenierungen zu erleben, wird aber mit Saisonende das Frankfurter Ensemble verlassen und in Pension gehen.
Nach Heinrichs Tat gibt es für niemand mehr ein Zurück, alle sind beschädigt worden. Dass kein günstiger Ausgang zu erwarten ist, dafür stehen sinnbildlich ein weiteres Mal die drei Hotelzimmer, in denen das triste Ende sich abspielen wird: Heinrich, der zur Venus zurück kehrt, findet dort, wie schon zuvor, nicht die erhoffte Erlösung, sondern den Tod, Elisabeth wiederum weist Wolfram zurück, ihr Sterben wird jedoch nicht gezeigt. Stattdessen setzt Regisseur Wild einen unerwarteten und durchaus versöhnlichen Schluss. Die finale Szene endet da, wo die Geschichte ihren Anfang nahm: im Hörsaal. Dort steht die ältere Elisabeth, in der Nachfolge ihres Mentors Heinrich von Ofterdingen, erfolgreich und geehrt, gefeiert wie er zuvor. Sein Lebensweg und seine unvollendeten Manuskripte verhelfen ihr, eigenständig und aus eigner schöpferischer Kraft das Leben zu meistern und vielleicht auch Heinrich postum zu rehabilitieren.
Zu den weiteren Mitwirkenden dieses beeindruckenden Premierenabends gehören Karolina Bengtsson als junger Hirt, hier allerdings als Marienanbetende Putzfrau zu sehen, die vier Edelknaben werden von Marta Casas, Chloe Robbins, Emma Stannard und Elena Tasevska gesungen, die Tänzer Luciano Baptiste, Tommaso Bertasi, Andrii Punko und Thomas Riess runden das Geschehen ab. In weiteren Rollen sind Ken Bridgen als Tannhäuser -Double 1 und schwarzer Bock, Maximilian Kutzner als Tannhäuser-Double 2 und Student, Henri Klein als junger Student, Annabelle Krukow als Elisabeth-Double und Botticellis Venus sowie Susanne Beck alte Elisabeth zu sehen.
Gefeiert wurde nicht nur auf der Bühne, sondern gleichwohl im Zuschauerraum. Das Publikum applaudierte begeistert, die Standing Ovation galten uneingeschränkt Regieteam, Chor und Orchester, das GMD Guggeis auf die Bühne holte, sowie allen Mitwirkenden, die diesen Abend grandios gestalteten und zum uneingeschränkten Erfolg werden ließen.
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