Frankfurt, Oper Frankfurt, Premiere Eugen Onegin von Peter Tschaikowski, IOCO Kritik, 04.12.2016
EUGEN ONEGIN von PETER I. TSCHAIKOWSKI
„Wir werden gehen, uns küssen, altern.....“
Premiere Eugen Onegin war am 20.11.2016, weitere Vorstellungen: 3., 11., 15., 23., 25. (18.00 Uhr), 30. Dezember 2016, 1. (18.00 Uhr) Januar 2017
Nach über 15 Jahren ist nun der russische Klassiker Eugen Onegin wieder in der Oper Frankfurt zu sehen. Überhaupt scheint das Werk gerade „in“ zu sein, denn auch in Wiesbaden und Darmstadt steht es auf dem Spielplan. Alexander Puschkin schuf einen Versroman (1830), der weit über Russland hinaus wirkte und eine aus heutiger Sicht untergegangene Welt einfing. Auch Tschaikowskis Musik (1879 in Moskau uraufgeführt) nimmt die musikalischen Strömungen seiner Epoche auf – ob es das leitmotivische Begleiten seiner Protagonistin Tatjana oder die damals erwünschte Besinnung auf das russische Volksliedgut ist.
Ein riesiges Mural – an Sowjetzeiten erinnernd – teilt die Bühne (Katja Haß) in ein davor und dahinter (Haus, Garten der Larins, Ballsaal in St. Petersburg), die Kostüme sind grau, postsowjetisches Russland, in dem der orthodoxe Pope wieder selbstverständlicher Teil der Gesellschaft ist. Die beiden ersten Akte bilden eine zeitliche Einheit auf dem Landgut der Familie Larin, in die Eugen Onegin sich arrogant gebend hineingerät. Der dritte Akt, Jahre später im Ballsaal des Fürsten Gremin in St. Petersburg, zeigt ihn als einen Zuspätgekommenen, was fast Gorbatschows Satz evoziert: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“. So jedenfalls legt es die Konzeption von Jim Lucassen nahe, der krankheitsbedingt nicht weitermachen konnte. Seine Assistentin Dorothea Kirschbaum führte die Regiearbeit fort und zeigt uns Eugen Onegin als einen Außenstehenden, nie dazugehörend und doch präsent, während Tatiana musikalisch und dramaturgisch die zentrale Figur bleibt.
„Wir werden gehen, uns küssen, altern...“, steht in kyrillischer Schrift über dem Bühnenportal – doch auf das „Wie“ kommt es an! In dieser Hinsicht ist Tatiana, inzwischen Fürstin, Onegin voraus. Sie weist ihn nicht allein aus Pflichtgefühl zurück, sondern auch weil sie weiß, dass man aufrichtige Gefühle nicht mit Füßen tritt, ihr Mann eben solche für sie empfindet und dafür Respekt verdient. Onegin dagegen hat zweimal „wahres Lieben“ zerstört: Bei seinem Freund Lenski, der sich vielleicht in die falsche, da flatterhafte Olga ernsthaft verliebt, als er diesen grundlos – mit Olga flirtend – provoziert und letztendlich im Duell grundlos tötet. Und bei Tatiana, die von seiner kalten Zurückweisung in ihrem Innersten für immer erschüttert zurückgelassen wird. Onegin hat keinen Sinn für die Gefühle der anderen, er erkennt zwar Tatianas Größe, nicht aber die Größe ihres Herzens. Am Ende, wenn sich das Gitter – das sich im ersten Bild öffnet – wieder schließt, bleibt er räumlich wie emotional außen vor.
Tatiana ist auch die Figur, der sich der russische Komponist am meisten verbunden fühlte. Ihr hat er die schönste Musik geschrieben, wie die berühmte Briefszene, in der sie sich zu ihrer Liebe für Onegin bekennt. Wohl auch deshalb hat Tschaikowski sein Werk mit „Lyrische Szenen“ überschrieben. Die intimen Momente kontrastiert er mit großem Chor wie bei der Namenstagfeier zu Ehren Tatianas und im Ballsaal des Fürsten Gremin. Der Wechsel von innerlichen zu großen Gefühlsausbrüchen – besonders prägnant kurz vor dem Streit und Duell von Lenski und Onegin – gelingt dem Orchester unter der Leitung von GMD Sebastian Weigle mühelos, insbesondere auch, weil er all zu viel Pathos meidet. Der ausdrucksstarke Chor (Leitung: Tilman Michael) ist nicht bloß „russische Masse“, sondern Agent und Zuschauer gleichermaßen.
Die wichtigste Leistung und damit Anerkennung gebührt aber dem Sängerensemble (bis auf zwei Gastsänger alles Mitglieder der Oper Frankfurt), weil es den Regie-Wechsel tragen konnte und dafür vom Publikum mit großem Applaus bedacht wurde: Barbara Zechmeister (Larina, Gutsbesitzerin), Sara Jakubiak (Tatiana, Larinas Tochter), Judita Nagyová (Olga, Larinas Tochter), Elena Zilio (Filipjewna, Amme), Daniel Schmutzhard (Eugen Onegin) Mario Chang (Lenski), Robert Pomakov (Fürst Gremin), Dietrich Volle (Saretzki), Daniel Miroslaw (Hauptmann) und Peter Marsh (Triquet, ein Franzose) sowie die beiden Tänzer Sandra Stuy und Olaf Reinecke. Von Ljerka Oreskovic Herrmann
Premiere Eugen Onegin am 20.11. 2016, Weitere Vorstellungen: 3., 11., 15., 23., 25. (18.00 Uhr), 30. Dezember 2016, 1. (18.00 Uhr) Januar 2017
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