Frankfurt, Oper Frankfurt, DIE TRAUMGÖRGE - A. Zemlinsky, IOCO

DIE TRAUMGÖRGE von A. Zemlinsky: Leo Feld (eigentlich Leo Hirschfeld), der das Libretto für Der Traumgörge verfasst hatte, konvertierte bereits um die Jahrhundertwende, wie auch sein Bruder der der erfolgreichere Librettist war; beide hofften wohl, antisemitischen Anfeindungen zu entgehen....

Frankfurt, Oper Frankfurt, DIE TRAUMGÖRGE - A. Zemlinsky, IOCO
OPER FRANKFURT inmitten des Finanzzentrums @ IOCO

 von Ljerka Oreskovic Herrmann

In einem Brief vom März 1908 an Alexander Zemlinsky drückte Gustav Mahler seine Enttäuschung über die Zustände an der Wiener Hofoper nach seiner Demissionierung aus: „Leider waren mir die Mitteilungen über Ihre Abenteuer mit dem neuen Regime nicht unerwartet. Trotzdem hätte ich nicht gedacht, daß W sein Versprechen, vor allem anderen Ihre Oper herauszubringen, so ohne weiters ignorieren werde.“ Die antisemitische Stimmungsmache, ab 1900 noch zunehmend, wurde schließlich für Mahler 1907 unhaltbar, sein Nachfolger Felix Weingartner – besagter W – übernahm das Direktorat für drei Jahre und fühlte sich an die Zemlinsky gegebene Zusicherung, seine neueste Oper zur Uraufführung zu bringen, nicht mehr gebunden.

DIE TRAUMGÖRGE - OPER FRANKFURT youtube Oper Frankfurt

Leo Feld (eigentlich Leo Hirschfeld), der das Libretto für Der Traumgörge verfasst hatte, konvertierte bereits um die Jahrhundertwende, wie auch etwas später sein Bruder, der als Victor Léon der erfolgreichere Librettist war; beide hofften wohl, auf diese Weise antisemitischen Anfeindungen zu entgehen. Nach 1933 ohnehin nutzlos, denn in den Augen des neuen nationalsozialistischen Regimes waren und blieben sie Juden und diesen wurde das Menschsein grundsätzlich abgesprochen. Feld starb bereits 1924, Léon 1940 – Franz Lehárs Einsatz bewahrten ihn und seine Frau vor der Deportation –, Zemlinsky 1942, als gebrochener Mann in seinem Haus in Larchmont; mit seiner zweiten Frau Louise war ihm vier Jahre zuvor die Flucht nach New York gelungen.

In gewisser Weise schien auch das Schicksal der Oper besiegelt, erst 1980 – mehr als sieben Jahrzehnte nach ihrer Entstehung – wurde Der Traumgörge in Nürnberg uraufgeführt und erfährt seitdem eine Renaissance. In der Oper Frankfurt ist es eine Erstaufführung und alle Mitwirkenden geben ihr Rollendebut, was sie mit außerordentlicher Bravour gestalten – dies gilt gleichermaßen für Chor und Orchester. Nicht nur, dass der Orchesterapparat groß ist (allein zehnstimmig bei den Bratschen): Es gilt den „orchestralen Schwebezustand“, so beschreibt es Dirigent Markus Poschner, mittels bestimmter Instrumente wie Celesta, Harfen und Beckenklänge und „einen extrem aufgefächerten Streicherklang“ zu erzeugen, was ihm grandios gelingt. Dass er mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester intensiv gearbeitet hat, und diese „Traumoper“ mit all ihren Farben, Schichten und Ebenen, leitmotivisch aufscheinenden Charakter-zeichnungen, der unfassbaren, schillernd leuchtenden Klangrede und ihren bis an die Auflösung der Tonalität gehenden Musik dem Publikum Nahe bringt, ist sein großer Verdienst. Und deshalb vorangestellt werden sollte, ohne die Leistung aller anderen Beteiligten zu schmälern. Erfolg bewährt, bestens vorbereitet und präsent ist ebenso der Chor unter der Leitung von Tilman Michael.

DIE TRAUMGÖRGE hier auf dem Tisch, Bildmitte v.l.n.r. Magdalena Hinterdobler (Grete), AJ Glueckert (Görge; liegend), Liviu Holender (Hans; stehend) und Tiina Lönnmark (Eine Traumstimme; kniend), Ensemble @ Barbara Aumüller

Dass der Abend so einhellig bejubelt endet, verdankt sich auch der Inszenierung von Tilmann Köhler und seinem Regieteam. Die musikalische Innen- und Außenwelt des Görge und der anderen findet ihre Entsprechung im Bühnenbild wie auch in dem sich darin entfaltenden Spiel wieder. Köhler veranschaulicht die Trennung zwischen äußerem Geschehen und innerem Erleben der jeweiligen Protagonisten in einer unaufdringlichen Weise, nahtlos geht das Eine in das Andere über. Das Bühnenbild von Karoly Risz verstärkt diesen Eindruck. Er entwarf dafür ein Fichtenholzhaus mit sieben unterschiedlich großen Öffnungen in Häuserform, die den Weg nach hinten – also nach Draußen – weisen.

Jene Außenwelt, die Köhler seinen Görge, die Hauptfigur, nie betreten lässt, aber von dort dringt diese beharrlich und unentwegt zu ihm; entsprechend nach innen gekehrt und trotzt der Holzwände unbehaust wird dieser „Traumgörge“ von AJ Glueckert verkörpert. Seine Welt ist eine andere: „Lebendig müssen die Märchen werden, lebendig und wirklich, und atmen und walten.“ Dies ist seine eigentliche „Heimat“, seine Heimstatt, in der er zuhause ist; eine Traumwelt, in der einzig allein die Prinzessin Wirklichkeit ist und von Zuzana Marková ausdruckstark als Lichtgestalt dargestellt wird. Doch die Dorfgemeinschaft sieht sie nicht, sie hat keinen Zugang zu diesen Sphären, kann oder will die Träumereien nicht annehmen – symbolisch steht dafür ein Buch, das neben einem Tisch als einziges weiteres Requisit auf der abgeschrägten Bühne vorhanden und für die anderen irgendwie nur lästig ist. Die Welt der anderen bleibt konkret, greifbar und wird von seiner künftigen Verlobten, Grete, eingefordert: ein Kranz und ein Ring zur Besiegelung ihrer ehelichen Gemeinschaft. Das wird Görge nicht auf- geschweige denn beibringen können. Grete – Magdalena Hinterdobler singt sie mit großer Ausdruckskraft und strahlenden Sopran – ist zupackend, selbstbewusst, sie spürt nur allzu gewiss, dass Görge nicht ihr „Traummann“ sein kann. Auch wenn der Müller, von Dietrich Volle als pragmatischen und um finanzielle Sicherheit bemühten Vater dargestellt, diese Verlobung unbedingt anstrebt und endlich bekanntgeben möchte. Unterstützt wird er dabei vom Pastor, den Alfred Reiter sonor und souverän gibt. Wie richtig Grete mit ihrer Einschätzung liegt, zeigt sich, als Hans raumgreifend und praller Lebensfreude auftaucht – Liviu Holender verleiht ihm die nötige Hemdsärmeligkeit und Unbekümmertheit. Görge wird dieser Welt entfliehen.

DIE TRAUMGÖRGE - vorne AJ Glueckert (Görge) und Zuzana Marková (Gertraud) @ Barbara Aumüller

Im zweiten Akt ist nur noch eine Hausöffnung vorhanden, wobei diese Wand im weiteren Verlauf nach oben verschwinden und den Blick zur Hinterbühne freigeben wird; statt des Tisches stehen mehrere Holzbänke. Görge ist drei Jahre später in einer anderen Ortschaft, aber auch hier wird die Außenwirklichkeit an ihn heranrücken, er kann sich ihr nicht entziehen. Dieses Mal soll er Anführer eines Aufstandes werden, die gesellschaftlichen Verhältnisse zwischen „unten“ und „oben“ – Napoleon III. wird erwähnt, dessen Thron wackelt und das Libretto erstmalig eine zeitliche Dimension einfügt – werden thematisiert. Die da „unten“, als Sturm- und Drang-Trio hervorragend präsentiert von Michael Porter (Züngl), Iain MacNeil (Kaspar) und Mikołaj Trąbka, (Mathes) bedrängen Görge angesichts seiner Belesenheit und setzen (auch durch die eindringlich Unterstützung des Chores) auf seine Hilfe.

Zum ersten Mal entsteht so etwas wie Außenwahrnehmung bei diesem, er trägt sich mit dem Gedanken, diese „tragende“ Rolle in der neuen Gesellschaft zu übernehmen; doch dann ist da wieder die Innenansicht, die mit einer jungen Frau – Zuzana Marková bewältigt die Doppelrolle der Prinzessin und Gertraud mit einer beeindruckenden Intensität und Präsenz – verknüpft wird; als einzige ist sie mit beiden Welten vertraut. Sie gleicht seiner Prinzessin aus dem ersten Akt, wird aber als Hexe gesellschaftlich geächtet, weil man sie für einen Brand verantwortlich macht. Die resolute Wirtin, gesungen von Barbara Zechmeister, wirft Gertraud aus der Schenke, Marei, ihre adrette Gehilfin gibt Juanita Lascarro, beargwöhnt das sich anbahnende Paar. Am Ende wird sie sie kühl verraten. Görge hatte sich schon längst für Gertraud entschieden, beide enden – die zusammen geschoben Bänke dienen nun als Scheiterhaufen – von der Meute bedrängt und umringt darauf.

Im anschließenden Prolog ist Görge endlich angekommen – im doppelten Sinne. Er ist wieder  in seiner alte Heimat, hat endlich einen Platz in der Gesellschaft, die er zuvor zu meiden hoffte, gefunden – ein auf dem Boden liegendes Tuch symbolisiert diese neue, von Görge herbeigesehnte Gefühlslage. Grete und Hans sind ein glückliches Ehepaar, die ganze Dorfgemeinschaft – herrlich der Kinderchor unter der Leitung von Álvaro Corral Matute – dankt ihm und seiner Frau Gertraud für die Wohltaten. Wirklichkeit und Traum scheinen endlich deckungsgleich oder zumindest miteinander verwoben, Aber ist es wahr, ist es in Wirklichkeit ein Trugschluss oder ein allzu schöner Traum? Der musikalische Schwebezustand lässt es offen, wie auch die Inszenierung, die Gertraud auf einer Schaukel schweben lässt, während Görge zufrieden wirkt und Hoffnung auf eine bessere Welt aufblitzt – und wenn es sie nur im Traum gibt und eine nie zu erreichende Utopie bleibt.

Komplettiert wird das herausragende Ensemble von Andrew Bidlack (Wirt), Thomas Schobert (ein Bauer), Lars Rößler (ein älterer Bauer), Alexey Egorov (erster Bursche), Yongchul Lim (zweiter Bursche) und Tiina Lönnmark (eine Stimme). 

DIE TRAUMGÖRGE - v.l.n.r. Michael Porter (Züngl), AJ Glueckert (Görge), Iain MacNeil (Kaspar) @ Barbara Aumüller

Gal Fefferman zeichnet für die Choreographie verantwortlich. Für die Kostüme sorgte Susanne Uhl, die die ursprüngliche Dorfgemeinschaft in schwarz-weiße Sonntagskostüme kleidet, während im zweiten Akt die Aufständischen in Arbeiterkluft zu sehen sind; den Kontrast zwischen den verschiedenen Gemeinschaften soll die Kleidung veranschaulichen und betonen, wie auch Görges Äußeres sein Anderssein unterstreicht. Erst am Ende – im Prolog –  wird er einen Anzug tragen als sichtbares und selbstverständliches Zeichen seiner tatsächlichen Zugehörigkeit. Der Kinderchor ist in weiß gehüllt, was die feierliche Erstkommunion bei den Katholiken evoziert. Besondere Erwähnung verdient das Licht von Jan Hartmann, der durch die verschiedenen Öffnungen schöne Schattenrisse erzeugt. Wenn Görge vorne am Bühnenrand die Klappen öffnet und die Erlebnisse am Fluss oder See und die damit verbundenen Erinnerungen an seine Mutter besingt, und es von unten leuchtet, entsteht förmlich dieses Bild vor einem. An der Oper Frankfurt ist mit Traumgörge eine rundum gelungene Produktion entstanden, die einen großen Publikumszuspruch verdient hat.