Essen, Grillo Theater, NESSUN DORMA - Liebesarien von 2 Robotern, IOCO
NESSUN DORMA im Grillo Theater, Essen: Das Experiment wird in der neuen Studiobühne des Hauses, der ADA, präsentiert, die erst im letzten Jahre eröffnet wurde. Ein kleiner, sehr intimer Theaterraum mit nur ca. 30 Sitzplätzen ganz oben im Grillo-Theater.
Vorstellung vom 27.03.2024 in der kleinen Studiobühne ADA innerhalb des Grillo-Theaters
von Uli Rehwald
Angekündigt ist heute ein gewagtes Experiment. Ein Stück über die kurze und unglückliche Liebe von 2 Robotern, die zudem noch ihre Gefühle in Opern-Arien ausdrücken. Das Experiment wird in der neuen Studiobühne des Hauses, der ADA, präsentiert, die erst im letzten Jahre eröffnet wurde. Ein kleiner, sehr intimer Theaterraum mit nur ca. 30 Sitzplätzen ganz oben im Grillo-Theater.
Da völlig unklar ist, was uns heute bevorsteht, steigen wir mit guter Spannung die vielen, runden Treppen zur ADA im 2. OG hinauf. Schon beim Ankommen, noch bevor die Bühne zu sehen ist, werden wir von elektronischen Pieps- und Summ-Geräuschen empfangen. Wir betreten einen Raum, in dem sich 2 Roboter aufhalten. Einer der beiden, der männliche Roboter namens Arka, ist in der Raummitte fest installiert. Auf einer runden Scheibe, auf der er malt. Ganz real-analog, mit Farbe und einem Pinsel, den er immer wieder eintaucht. Der andere, der weibliche Roboter, heißt Putzini und ist den ganzen Abend mobil auf Rollen ständig über die Bühne unterwegs. Und umschwärmt Arka.
Sonst gibt es keine Schauspieler, keine Sänger, keinen Vorhang. Der wenige gesprochene Text kommt vom Band. Die Bühne wird vervollständigt durch eine große Anzeigetafel (ein Display für Texte der beiden Roboter) und ein Tonbandgerät. Über dieses Display laufen die wenigen, oft kryptischen Sätze, welche die beiden Roboter „sagen“. Fast wie in einer Computersprache.
Arka ist ein großer, eleganter Roboter mit glänzend weißer Oberfläche und selbstbewusst-schwungvollen Bewegungen. Offensichtlich ein Künstler mit großem Glauben an sich selbst. Putzini kommt als ärmliche Putzhilfe daher, zusammengebaut aus einigen schäbigen Kleinigkeiten mit Putzlappen und Staubwedel. Und natürlich bewundert sie den großen Künstler. Wer einmal den sagenumwobenen, sympathischen Roboter R2 D2 in der Filmserie Star Wars gesehen hat, fühlt sich sicher beim Anblick der beiden Roboter an ihn erinnert. Und stellt erneut fest: Es ist möglich, dass Robotern die Herzen der Zuschauer zufliegen. In der 1. Zuschauerreihe könnte man zwar Sorge haben, dass einem Putzini über die Füße fährt. Aber ihre Programmierung zur Raumorientierung ist offenbar ausreichend.
Es läuft Musik vom Band. Ganz offensichtlich italienische Oper. Und die weltberühmte Arie Nessun Dorma aus Turandot ist natürlich auch enthalten. Diese Opernmusik gibt wie eine Färbung den emotionellen Hintergrund zum stark technisch orientierten Hauptteil des Abends. Schnell wird klar, heute geht es nicht um stimmliche Virtuosität, erst recht nicht um große Oper. Die Musik vom Band ist (sicher gewollt) immer wieder mal verzerrt, offenbar auch nur Hintergrund gedacht. Im Vordergrund stehen eher die elektronischen Summ- und Pieps-Geräusche, das Verhalten der beiden Roboter. Im Mittelteil des Stücks kommt auch mal völlig normale Schlagermusik daher. Ob die beiden Sterbe-Arien das Ergebnis von KI sind, also in dem Augenblick entstehen (was man ja für möglich halten könnte) oder sie KI-entwickelt vom Band kommen, wird an diesem Abend nicht klar.
Es wird eine recht einfache Geschichte erzählt an diesem kurzen Abend. Die beiden Roboter lernen sich kennen und versuchen es mit der Liebe und damit verbundenen großen Gefühlen. Dass diese Gefühle virtuell sind, ist beiden klar. Sie haben ja auch kein Herz und keine wirklichen Gefühle, was wiederholt betont wird, sondern nur virtuelle Algorithmen und Datenströme. Daraus ergeben sich mitunter kuriose Dialoge:
Mitten im Stück fordert Putzini von Arka mehr Liebe. Aber er kann (klug?) antworten: „Ich bin leider so programmiert und meine Gefühle sind ohnehin nur künstlich“.
Hier dürften eher die Männer im Publikum ans Schmunzeln kommen. Es kommt schon klar rüber, dass Arka sehr selbstverliebt ist. Und Putzini nicht anders kann, als ihn trotzdem hoffnungslos zu lieben. Am Ende wollen die beiden Roboter trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer neuronalen Netzwerke doch lieber menschlich sein. Dabei kommen sie zu dem Schluss, dass sie dafür sterben müssen. Und entwickeln beide ihre Sterbe-Arien, in denen sie schwelgen und den digitalen Tod hinnehmen.
Die Idee des Stücks ist von einer Gemeinschaft von 4 Personen entwickelt und auf die Bühne gebracht worden (Elsa-Sophie Jach, Thea Hoffmann-Axthelm, Markus Schubert, Sebastian Arnd). Hier musste vieles neu erfunden werden, von der Roboter-Technik über die Programmierung bis zur Herangehensweise. Man kann dem Team nur gratulieren, dass es diese großen, vielfältigen Herausforderungen erfolgreich bestanden hat. Und den Mut hatten, die Idee nicht aufzugeben.
Bei der Beurteilung des Stücks versagen die klassischen Kriterien sehr weitgehend. Es können weder Schauspieler noch Sänger beurteilt werden, noch die Kunstwerke, die Arka malt. Auch Kostüme und Maske spielen heute keine Rolle. Die Bewegungen der Roboter entstehen spontan. Aber was kann dann beurteilt werden?
- Ja, wir sehen heute einen roboterhaften Ausdruck von menschlichen Gefühlen, der weitgehend nachvollziehbar ist. Zwar nur durch Bewegung der Scharnier-Teile und Gerätschaften induziert. Ohne die gewohnte menschliche Mimik und Gestik. Gleichwohl verständlich.
- Ist es ein Opernstoff? Nein, ein normaler Opernliebhaber würde sich mit Grausen wenden und eilends zum Opernhaus flüchten.
- Durchaus berührend ist der Tod der beiden, der als Daten-Löschvorgang dargestellt wird. Obwohl hier alles nur künstlich und Hightech ist, geht es dennoch unter die Haut, wie immer wieder angesagt wird, wieviel Prozent der Löschvorgang inzwischen erreicht hat. Und wie er schließlich bei 100% steht und der Roboter erstarrt.
- Wahrscheinlich müsste an dieser Stelle die Qualität der Programmierung beurteilt werden, dem wohl wichtigsten Element des Stücks. Aber wer kann das schon als normaler Theaterbesucher?
Was können wir mitnehmen von dem heutigen experimentellen Abend? Das sind wohl 3 Punkte:
1. Eine Reflektion über die künstliche Intelligenz, über „menschlich“ anmutendes Verhalten von Robotern und KI. Was sie können, was sie dürfen oder nicht. Diese fast philosophischen Fragen, die sonst eher in der Fachliteratur behandelt werden, sind heute auf der Theaterbühne angekommen.
2. Sicherlich die Überzeugung, dass wir in naher Zukunft keine Roboter auf der Bühne sehen werden, die besser spielen und singen als der Mensch und obendrein noch spontan die bessere Handlung aus der KI schöpfen. Und damit womöglich Shakespeare und Goethe übertreffen. Es fehlt eben der ausführliche Dialog, da ja nur rudimentäre Dialoge auf dem Display angezeigt werden. Sehr deutlich wird daher heute, was Sprache alles leisten kann.
3. Gleichwohl sind wir Zeuge eines höchst innovativen Experiments geworden. Und auf die Frage, ob das, was die Roboter heute tun, Kunst ist, kann durchaus mit einem Lächeln geantwortet werden. Immerhin, am Ende des Abends haben es die beiden Roboter fast geschafft, dass wir sie ein wenig in das Herz schließen können.
Am Ende des Stücks dauert es einen Moment, bis das Publikum sich zum Applaus entschließen kann. Kein Vorhang, keine Verbeugungen, keine Schauspieler. Ob die beiden Roboter sich wohl darüber freuen? Oder den Applaus digital in ihren Daten-Speichern kumulieren? Verbeugt haben sie sich jedenfalls nicht.