Essen, Grillo-Theater, DER GUTE MENSCH VON SEZUAN - Bertold Brecht, IOCO Kritik,
DER GUTE MENSCH VON SEZUAN im Grillo-Theater: Heldin des Stücks ist Shen Te (glänzend dargestellt von Sümeyra Yilmaz), ein überaus guter Mensch. Fast schon pathologisch sind ihre unfassbar guten Taten. In moderner Lesart vielleicht die extreme Ausformung eines Menschen mit naivem Helfersyndrom.
Ein Klassiker von Bertold Brecht - im Grillo-Theater in Essen. Hier besprochene Vorstellung vom 10.2.2024.
von Uli Rehwald / Iris Flender
Heute sehen wir eines der bekanntesten Stücke von Bertold Brecht. Das geradezu zum deutschen Kultur-Kanon gehört. Brecht zeigte in seinem Stück die (vergebliche) Suche der Götter nach wenigstens einem einzigen guten Menschen.
Und sie hoffen, bei ihrer Suche in dem chinesischen Ort Sezuan endlich fündig zu werden. Aber wie es bei Brecht oft ist: Es wird keine schöne, märchenhafte Geschichte, bei der man sich entspannt zurücklegen kann. Brecht ist vielmehr prosaisch, fordernd, krass, überdeutlich. Ein moralisches Lehrstück eben. Das muss man schon aushalten können.
Und so lehrstückhaft hat Brecht das Stück auch angelegt. Heldin des Stücks ist Shen Te (glänzend dargestellt von Sümeyra Yilmaz), ein überaus guter Mensch. Fast schon pathologisch sind ihre unfassbar guten Taten. In moderner Lesart vielleicht die extreme Ausformung eines Menschen mit naivem Helfersyndrom. Fast schon ein Zwang, auf jeden Fall gut sein zu müssen. Und das in einer Welt, wo es von schlechten Charakteren, Not und Elend nur so wimmelt. Es reicht nie für alle, so sehr auch Shen Te helfen will. Geradezu genüsslich schlachtet es Brecht aus, dass es einfach nicht gut gehen kann. Die „über-gute“ Shen Te ist umzingelt von Menschen, die auf ihre Hilfe bauen, sie überfordern und sie „über-schamlos“ ausnutzen wollen. Und da Shen Te als notorisch guter Mensch nicht anders kann, nimmt das Drama seinen Lauf.
Brecht macht brutal deutlich: Ein guter Mensch kann so nicht im Leben klarkommen. Es endet also nicht im Happy End, sondern im Abgrund. Jede Möglichkeit einer guten Lösung wird geradezu quälend zunichte gemacht. In ihrer Not weiß Shen Te sich nicht anders zu helfen, als sich in ihren bösen Vetter zu verwandeln. Die Extremistin der guten Tat wird dann als Vetter zum Ausbund aller Skrupellosigkeit. Man glaubt auch 80 Jahre später den erhobenen Zeigefinger von Brecht über der Bühne schweben zu sehen.