Essen, Aalto-Theater, ZAUBERFLÖTE - W. A. Mozart, IOCO

ZAUBERFLÖTE: Eine spannende Saisonpremiere im Essener AALTO Theater am 14.09.2024

von Uli Rehwald

 Wir erleben heute die Eröffnungs-Premiere der neuen Saison im Essener Aalto-Theater. Und das mit einer überaus beliebten und bewährten Publikumsoper, die normalerweise zuverlässig gut ankommt. Die als vorzüglicher Aufgalopp in die neue Saison dienen kann, und die normalerweise viel unbeschwerte Freude und hohen musikalischen Genuss beschert. Eine märchenhafte Oper, mit vielen bekannten Stellen zum Mitsingen, zum Teil sogar aus der Werbung bekannt. Fast jede Arie ein Ohrwurm. Es ist also alles bestens angerichtet an einem kühlen Septemberabend für das gemeinsame Feiern einer deutschen Lieblingsoper. Das Haus ist ausverkauft.

Um es gleich vorweg zu sagen, am heutigen Abend wird uns keine traditionelle Feier der bewährten Lieblingsoper beschert, sondern etwas anderes. Das Regieteam um Magdalena Fuchsberger (es ist ihre erste Mozart-Inszenierung) versucht heute einen völlig anderen Ansatz. Die Regie richtet ihren Blick auf „Sexismus, Rassismus und Entmenschlichung“. Und sieht darin sehr aktuelle gesellschaftliche Bezüge. Man kommt also nicht umhin, größere Erläuterungen zur heutigen Interpretation, die das Stück völlig ändert, zu geben. Die bange Frage, die sich dabei stellt: Wird diese wunderbare Mozart-Oper von diesem neuen Ansatz gut durch den Abend getragen?

Die Regisseurin selbst sagt: „Es ist ein eigenwilliger Zugriff, kein Familienstück.“ Vielmehr zeigt sie im Stück eine Welt, wie sie nicht sein soll, mit Verführung und Massenhypnose in einer Sekte. Eine definitiv sehr ungewöhnliche Inszenierung.

Und so beginnt der heutige Opernabend auch mit einer neu erfundenen Vorgeschichte, die das Stück in einen völlig anderen Zusammenhang stellt: Die Zauberflöte sieht normalerweise 2 feste Liebespaare vor. In der neuen Vorgeschichte sind die beiden Paare diesmal aber anders zusammengesetzt. Und diese anders zusammengesetzten Paare entscheiden sich, eine Sekte namens „ÄSKULAB“ aufzusuchen. Eine Sekte mit dem großen Heilsversprechen, dass dort die bestmöglichen Paare zusammengestellt werden und überhaupt die Welt mit einfachen Lösungen heil und gut ist. Deutlich inszeniert als faschistische Gruppierung. Folgerichtig müssen die beiden Liebespaare  all ihr Hab und Gut abgeben, bevor sie ÄSKULAB betreten dürfen. Eine beklemmende Szene wie die Aufnahme in einem Gefängnis.

Spätestens mit dem ersten Bühnenbild, einem großen weißen Raum, der an ein Labor oder Gefängnis erinnert, wird klar: Das wird heute kein unschuldig-heiterer Genussabend.

© Björn Hickmann

Das Stück zeigt deutlich die Abgründe einer Sekte, wie Menschen nicht leben sollten, wie sie verführt und manipuliert werden. Düster und klaustrophobisch. Der Priester Sarastro und die Königin der Nacht, normalerweise die beiden Gegenspieler in dieser Oper, sind diesmal ein Liebespaar und ziehen gemeinsam die Fäden der Sekte mit Manipulation und Heilsversprechungen. So wird auch das Zusammen-Finden der beiden Paare, wie sie die normale Handlung der Oper vorsieht, als bösartiger, manipulativer Ansatz dargestellt, den die Protagonisten selbst jedoch nicht begreifen. Das Publikum nach diesem Vorspiel allerdings sehr wohl. Das ist wirklich weit entfernt von einem heiteren Singspiel, in dem Mozart die Paare zusammenfinden lässt.

So endet diese düstere Opern-Vision folgerichtig auch nicht märchenhaft gut. Vielmehr werden alle Personen des Stücks überfallartig bei Rauch und Blaulicht von Sicherheitskräften abgeführt. Der Wahnsinn eines Irrenhauses, welches die Sekte mit all ihrer Manipulation eigentlich ist, bricht zusammen. 

Dies ist schon ein weiter Weg, aus einem überbordend phantasievollen Zaubermärchen ein beklemmendes politisches Lehrstück zu machen, an dem Berthold Brecht sicherlich seine Freude hätte.

Und so muss die Frage gestellt werden: Haben wir hier heute Abend Regietheater vom Feinsten beschert bekommen oder eher den Griff in ein völlig anderes Regal?

Sind so viel Überlegungen über die Regie vielleicht zu viel? Ist die Frage nicht viel mehr: Wie haben die Sänger gesungen? Wie war das Orchester? Wie musikalisch gelungen war der Abend?

Christopher Moulds dirigiert die Essener Philharmoniker sehr beschwingt durch den Abend. Judith Spiesser zeigt in der Rolle der Königin der Nacht überaus brillanten Koloraturen. Die zum Teil beängstigend schwierigen Koloraturen nimmt sie ohne jeden Fehl und Tadel. Die Rolle des Papageno ist mit Tobias Greenhalgh überaus spielfreudig besetzt, ebenso wie Elia Cohen Weissert in der Rolle der Papagena. Sarastro (Sebastian Pilgrim) überzeugt darstellerisch und in seinen Sprechpassagen als dämonisch-schriller selbstverliebter Sektenguru. Sängerisch schien es, dass er sich stellenweise doch etwas mühen musste. Ob es daran lag, dass ihm die „Gutmensch-Arie“ nach dieser Sekten-Vorgeschichte einfach nicht mehr abgenommen werden kann?

Trotz der insgesamt guten Leistung der Sänger ist wohl festzustellen, dass die überbordende Inszenierung, die unglaublich vielen Details, die ständigen optischen Reize und Mini-Handlungen die Sänger insgesamt ein wenig in das Nebengeschehen drängen. Auch das ständige Nachdenken darüber, wie die Inszenierung wohl zu verstehen ist, fördert nicht gerade die Konzentration auf das sängerische Fest.

DIE ZAUBERFÖTE - Szene© Björn Hickmann

Aber Gott sei Dank stellen sich dann doch noch ein paar berauschende Opern-Momente ein, für die wir alle so gerne in die Oper gehen:

-        Lisa Wittig schenkt uns in der Rolle der Pamina eine wirklich herzberührende Trauer-Arie, die den ganzen Sekten-Hintergrund vergessen lässt.

-        Die Duett-Passagen von Tamino (Aljoscha Lennert) und Pamina, wenn sich ihre geschmeidig- lyrischen Stimmen beeindruckend zusammenfinden.

-        Und dann sorgen die „3 Damen“ doch noch für helle, lichte Momente in dieser düsteren Oper. Sie schaffen es tatsächlich, dass der Zauber dieser Oper sich für ein paar Momente wieder einstellt, unbeschwert und bunt, der sich wie schwerelos anfühlt. Wir atmen auf dabei. So kennen die meisten Zuschauer die spielerisch-leichte Zauberflöte.

Am Ende des Abends kommt dann der wohl spannendste Moment überhaupt: Wie reagiert das Publikum beim Applaudieren, wenn das Regie-Team um Magdalena Fuchsberger erscheint. Wie wird es diese sowohl mutige als auch eigenwillige Interpretation aufnehmen? Sofort heben Proteste und unüberhörbarer Buhs an. Natürlich wird auch kräftig dagegen applaudiert. Welcher Teil des Publikums hier die Mehrheit stellte, ist nicht auszumachen. Erstaunlicherweise gibt es nur einen Vorhang für den eher kurzen Applaus, was ungewöhnlich für eine Premiere ist. Für Sänger, Chor und Orchester war sicher noch genug Bereitschaft im Publikum, weiter beherzt zu applaudieren.

Es gibt viele Opern-Inszenierungen, die anfänglich umstritten waren, mit der Zeit aber ihren Weg zu einhelliger Begeisterung gefunden haben. Bayreuth ist ein gutes Beispiel dafür. Das dies der aktuellen Inszenierung der Zauberflöte im Aalto Theater auch gelingen wird, ist zu wünschen: Schließlich ist es ja eine Zauber-Oper.

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