Essen, Aalto-Theater, Simon Boccanegra - Giuseppe Verdi, IOCO Kritik, 20.02.2023
Simon Boccanegra - Giuseppe Verdi
- Von der Eroberung einer widerspenstigen Opern-Schönheit -
von Uli Rehwald
Was hören wir heute? Ganz offensichtlich eine Verdi-Oper, die aber kein Publikumsliebling geworden ist. Die nicht eine strahlende Bekanntheit wie Rigoletto oder Aida vorzuweisen hat. Die Gründe dafür sind tatsächlich richtig zahlreich. Daher vorweg ein Einordnungsversuch für diese Oper.
- Verdi selbst ordnet seine Oper so ein, dass er sie mit „ganz schwarzer Tinte geschrieben“ habe. Und so ist es auch inhaltlich: geprägt von Hoffnungslosigkeit, Schmerz, Rache, politischen Unruhen, Intrige und Verrat, Entführung und zuletzt einem feigen Giftmord.
- Traditionell wird diese Schwere auch von düsteren Bühnenbildern und wenig Licht begleitet (Bei dieser Aufführung lässt die Regisseurin aber Milde walten, soviel sei schon verraten).
- Über den Prolog und alle drei Akte hinweg gibt es fast nur Männerstimmen, überwiegend tiefe, nur ein einziger Sopran spielt mit.
- Verdi hat diese Oper als Musikdrama komponiert, es gibt kaum Arien, die direkt in einer „best-of-Sammlung“ wiedererkannt würden.
- Die Handlung ist sehr verworren, so dass sie sich - man kann es nur so sagen - hartnäckig dem Versuch widersetzt, sie in 2-3 Minuten erzählen zu können. Zudem gibt es einen großen Zeitsprung von 25 Jahren zwischen Prolog und 1. Akt, der einem bekannt sein muss, um der Handlung folgen zu können.
Und so kann sich auch der treueste Opernfreund fragen, warum er sich diese düstere, wirre Oper - Verdi sagt: "sein von ihm besonders geliebtes, buckliges Kind" - ansehen soll. Dafür sprechen zumindest 1-2 Argumente:
- Das kleinere Argument ist, dass es ja auch Liebhaber von schwarzen Krimis gibt. Und dass es auch andere düstere Opern gibt, die den Kampf um die Publikumsgunst gewonnen haben.
- Das eigentliche, große Argument ist aber ein anderes: Diese „Handlung“ wirkt in der Gesamtheit natürlich sehr konstruiert. Sie hat dann aber doch auch den entscheidenden Vorteil, dass der Zuschauer atemlos durch eine verdichtete Achterbahn von Gefühlen gejagt wird. Eben maximal opernhaft. Intensivste Gefühle in gelungener Verbindung zu der glänzend-reichen, überwältigenden Musik von Verdi.
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Wer bereit ist, sich in diese düsteren Abgründe „von musikalischem Glanz“ mit hineinzufühlen, wird einen großen Opern-Abend im Aalto-Theater erleben. Als „nüchterne“ Voraussetzung für den „Glanz“ darf wohl gelten, dass man über die Handlung nicht mehr nachdenken muss, wie „zur Hölle das alles logisch zusammenhängen soll“.
Der Erfolg der Oper steht und fällt mit der sängerischen Leistung der Titelrolle, die einen großen, dramatischen und sehr höhensicheren Verdi-Bariton verlangt. Verdi selbst war der Meinung, dass sie „tausendmal schwieriger als der Rigoletto“ sei. Heute musste Dimitris Tiliakos für den erkrankten Daniel Luis de Vicente einspringen. Und es gelingt: Ja, die Oper steht heute mit ihm und seiner sängerischen Leistung. Er gibt einen großen Verdi-Bariton, mühelos in den Höhen, stark im Forte, berührend in seiner Verzweiflung und Gebrochenheit, auch spielerisch überzeugend. Zum Niederknien sein großes Duett mit dem versöhnten Todfeind und die Sterbeszene. Und natürlich auch die Ratssaal-Szene, wo er sich zum überzeugenden Volkstribun aufschwingt.
Zur Inszenierung und zum Bühnenbild; besuchte Vorstellung 17.2.2023: diese musikalische Gefühlsachterbahn ginge ganz sicher auch konzertant. Dagegen ist es natürlich schwierig, mit der Regie anzugehen. Die Regisseurin Tatjana Gürbaca hat jedenfalls nicht den traditionellen Weg der minimalen und düsteren Bühne gewählt, sondern einen modernen und auch sehr farbenfrohen Weg: Sie erzählt einen Politik-Thriller mit aktuellen Bezügen, wobei in der große Ratssaal-Szene im 1. Akt auch der Sturm aufs Capitol auftaucht. So inszeniert gerät diese Szene zu einem ganz großen Opern-Moment: unglaubliche Intensität in der Musik, überragende Sänger, zusätzlich in atemlose Spannung beim „Sehen“ dieser detailstarken Chor-Massenszene.
Wie werden Bühne und Kostüme heute gestaltet? Die Kostüme (Silke Willrett) sind zum Teil aufdringlich bunt, zum Teil sehr alltagsschlicht, so dass man sich anfangs fragt: Sind der Gewandmeisterin die Ideen ausgegangen? Doch dann erkennt man immer mehr wie gut sie den Charakter der einzelnen Personen unterstreichen: Weiß und Silber für die Weisheit des Dogen, grelles Grün und Flowerpower für den unreif-naiven Liebhaber Gabriele, kühles, schlichtes Blau für Amelia und sehr grell für das eitle, aufgeblasene Ego von Paolo. Dazu das farblich zurückgenommene Bühnenbild (Klaus Grünberg) aus sich verschiebenden Wänden - Räume öffnen, schließen und verwandeln sich ohne Aufmerksamkeit von der Handlung abzuziehen.
Der lyrische Sopran von Jessica Muirhead als Amelia Grimaldi wurde zuletzt schon als Lucretia Borgia gefeiert. Auch heute führt sie mit ihrem goldenen Stimm-Glanz in die wenigen helleren Moment der Oper. Almas Svilpa als Fiesco gibt mit seinem abgrundtiefen Bass den rachesüchtigen Patrizier, der alles verliert. Sehr stimmgewaltig mit überzeugender Höhe singt und spielt Carlos Cardoso als Gabriele Adorno einen fabelhaften, jugendlich-naiven Liebhaber, grotesk kostümiert. Heiko Trinsinger zeigt in der Rolle des Intriganten Paolo, außer seiner gewohnten Präsenz, über welch dämonische Färbung sein Bariton verfügen kann. Auch die weiteren Sänger (Andrei Nicoara als Pietro und Youngjune Lee als Hauptmann der Bogenschützen) tragen heute zum eindrücklichen Opern-Erlebnis bei. Der Chor des Aalto-Theater wirkt klangvoll und mächtig mit, gut und äußerst spielstark von Klaas-Jan de Groot einstudiert.
Die Essener Philharmoniker unter Giuseppe Finzi erspielen sich heute hinter Dimitris Tiliakos den Rang der 2. Hauptfigur, beeindruckend dicht und differenziert. Sie werden dem Zauber von Verdi gerecht, reißen ins reine Hören, lassen die Handlung auf der Bühne fast verblassen.
Empfehlung? Ganz unstrittig ist diese düstere Oper ein musikalisches Meisterwerk von Verdi. Es wäre bloß gut, die verworrene Handlung nicht erst im Theatersessel entschlüsseln zu wollen. Mit dieser (erbrachten) Vorleistung wird es zu einer absoluten Empfehlung, das eigene Opernrepertoire um eine Perle zu bereichern. Und um eine widerspenstige Schönheit zu gewinnen.
Das Publikum dankt mit langem Applaus. Im Gegensatz zur Premiere heute ohne Buh-Rufe für die Regie.