Essen, Aalto-Theater, öffentliche Probe - Macht des Schicksals - von Giuseppe Verdi
Am 09.11. steht die Premiere von Verdis „Die Macht des Schicksals“ auf dem Programm. Aber schon eine Woche vorher kann sich das Publikum Teile der Oper in der heutigen öffentlichen Probe ansehen. Dies ist gute Tradition im Aalto-Theater.
Die Macht des Schicksals ist eine der eher selten gespielten Opern von Verdi, die ganz große Publikumsgunst hat sie nie errungen. Was wohl an der sehr wirren, geradezu über-opernhaften Handlung liegt. Dazu ist es ein sehr düsteres Stück, fast völlig ohne Lichtblicke. An der überbordenden Musik von Verdi, an den großartigen Arien und Chorszenen kann die fehlende Popularität jedenfalls nicht liegen.
Es erwartet uns ein eher kurzer Abend im Aalto-Theater von ca. 90 Minuten. Vielleicht knapp hundert Zuschauer sind erschienen, heute mal – dem Anlass entsprechend - ohne festliche Kleidung. Wir erhalten zunächst eine ausführliche Einführung zum Stück und zur Inszenierung. Danach werden wir gebeten, uns möglichst still auf dem 1. Balkon zu versammeln, damit die bereits laufende Probe nicht gestört wird. Also schleichen wir fast klammheimlich hinein. Zusätzlich auch ziemlich vorsichtig, was an der fehlenden Beleuchtung des Zuschauerraums liegt. Das volle Orchester spielt schon, die Sänger singen, alles bei vollem Bühnenbild mit kompletter Beleuchtung und Videoinstallation. Ein steiler Einstieg mitten ins laufende Geschehen, man fühlt sich fast schon als Störenfried.
Wir erfahren, dass sich die Probe gerade mitten im 3. Akt befindet. Bevor man eine Chance hat, sich irgendwie in dieser Situation einzufinden, wird die Probe schon wieder gestoppt. Der Dirigent ruft ein „Stopp“ mitten hinein, alle hören auf. Ja natürlich, wir sind ja bei einer Probe. Da geschehen Dinge solcherart:
- Der Dirigent moniert, dass die Bühneninstrumente nicht beim Orchester sind. Noch mal. Nein, immer noch nicht. Erneut noch mal bitte.
- Diesmal ist der Einsatz des Chors zu spät. Wahrscheinlich haben wie immer die Bässe geschleppt. Nochmals von vorne. Alle lernen schnell, darauf zu achten, ob die Bühnenmusiker nun korrekt einsetzen.
- Erneut müssen alle anhalten. Das Mezzoforte ist nicht Mezzo genug. Nein, immer noch nicht genug. Ein einfaches Mezzo bitte! Außerdem bitte sehr langsamer, deutlich langsamer, es ist ja schließlich eine Sterbe-Szene.
- Und so geht es weiter in einem ständigen und intensiven Korrigieren. Mit der Zeit wird klar, wie unendlich oft die Künstler sich korrigieren lassen müssen, was man sonst ja nie sieht. Vielschichtiges Korrigieren, irgendjemand trifft es immer. Weiter mit dem Zusammenbasteln der Oper.
- Und manchmal sagt der Maestro auch deutlich: „Gut“ - wenn die Arie zu Ende ist, der Tenor alle Korrekturen von Mezzo bis langsamer umgesetzt hat und auch der Einsatz der Bühnenmusiker richtig war.
Zwischendurch stellt sich doch auch immer mal ein „richtiges“ Opernfeeling ein. Wenn es einmal für wenige Minuten ohne Unterbrechung läuft, man könnte fast vergessen, nur bei einer Probe zu sein. Ein kleines Detail fehlt jedoch heute durchgehend: Die sonst obligaten Untertitel, bei den Proben ist das nicht vorgesehen.
Das Bühnenbild des 3. Akts zeigt das Kriegsgeschehen der Oper: Eine zerborstene, monumentale Statue, wirres Kriegsgerümpel wie Munitionskisten, ein Lazarett-Bett. Offenbar sind wir hier an einem Ort gelandet, wo alle Hoffnung schon geschwunden ist, wo alles zerstört ist, was man schon versucht hat. Das bekommt man in dem Coppola-Film „Apocalypse Now“ auch sehr ähnlich zu sehen.
Bei den vielen Unterbrechungen kommt es dann doch manchmal völlig unversehens zu einer eigentümlichen Situationskomik. Das Duett von Tenor und Bariton wird unterbrochen, sie bleiben tonlos Gesicht an Gesicht stehen - und überbrücken die Pausen-Zeit mit gegenseitigem Grimassieren. Da scheinen sich 2 Sänger wirklich gut zu verstehen. Man darf gespannt sein, wie sie bei der Premiere zu gemeinsamen Höhenflügen ansetzen können. Auch das Hin- und Her-Geschiebe der Pistole wird mehrfach unterbrochen, man weiß gar nicht mehr, wer eigentlich dran ist, sich zu erschießen. Dem Tenor wird es in einer weiteren Pause zu bunt: Trotz angeordneter Pause lässt er die Pistole weiter an seinem Kopf und entschließt sich mitten in der Unterbrechung, sich doch dramatisch zu erschießen. Alle müssen lachen, die Probenarbeit darf mal aufatmen.
Insgesamt ist der Probenabend als Appetithäppchen für die Premiere und die kommende Aufführungsserie gedacht. Wer die Kunstform Oper liebt, wird auch an dem heutigen Abend mit all den Versuchen, dem Feilen an Verbesserungen, den energisch hineingerufenen Kommentaren bei der 3. Wiederholung seine Freude haben. Das gibt es bei der Aufführung nie zu erleben, sondern nur exklusiv heute. Und mit etwas Glück kann man dann bei der Premiere feststellen, ob der Sänger sich an die Korrekturen gehalten hat, die man sich merken konnte. Das Appetithäppchen hat heute wirklich Vorfreude auf die Premiere geweckt. Außerdem gibt es zu dieser Aufführung ja noch eine „blaue Stunde“ mit den Produktionsbeteiligten und ein Nachgespräch in der Cafeteria. Schön, dass das Aalto-Theater dies auch ergänzend anbietet.