Essen, Aalto-Theater, Eine Nacht in Venedig - Strauss - Korngold - Klimek, IOCO Kritik, 16.09.2018
Eine Nacht in Venedig - Ein Opernhappening
Johann Strauss - Erich Wolfgang Korngold - Bruno Klimek
Von Viktor Jarosch
„Leichte Theater-Kost“ attraktiv zu inszenieren ist wahrlich schwer: Eine Nacht in Venedig ist solch vermeintlich leichte Theater-Kost. Aalto-Intendant Hein Mulders benötigte 5 Jahre, um diese, seine erste Operetten-Produktion auf die Bühne des Aalto-Theaters zu bringen.
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Glatteis und Schnee in Venedig dominiert die moderne Inszenierung von Bruno Klimek, welche Klischees, alte wie neue, verlässt und mit Slapstick, Video, farbigen Dialogen und einem bunten Reigen szenischer Überraschungen den Besucher bannt. Bruno Klimek, Professor an der nahen Essener Folkwang Universität, toppt vergangene Strauß und Korngold Fassungen von Eine Nacht in Venedig mit einer neuartig faszinierenden „Essener Fassung“. Eine lebendige Bühnen-Show voller Esprit wird geboten. So führt die Titulierung der Essener Fassung als "Operette", auch im Programmheft des Aalto-Theater, offene Erwartungen ein wenig ins Abseits.
Die 1883 uraufgeführte Nacht in Venedig zeigt schmunzelnd modern nicht enden wollende Irrungen und Wirrungen amüsierfreudiger Frauen wie Männer zum Karneval in Venedig um 1800. Allerdings, die Intrigen um die Entstehung dieser Operette reichen schon für eine eigene Operette. Der Grund: Johann Strauss´ Operetten wurden alle in Wien uraufgeführt; zumeist im Theater an der Wien; so auch 1874 die Fledermaus; doch, Johann Strauß‘ zweite Ehefrau, die 25 Jahre jüngere Angelica Dittrich, „Lily“, hatte, als Eine Nacht in Venedig 1882 entstand, ein Verhältnis mit Franz Steiner, dem Direktor des Theater an der Wien. So leitete Johann Strauß, auch am Pult, die Uraufführung von Eine Nacht in Venedig 1883 nicht in Wien sondern teilweise "verberlinert", in Berlin; die Uraufführung in Berlin wurde ein Flop. Die Operette wäre, trotz Anpassungen, wohl untergegangen, hätte nicht Erich Wolfgang Korngold um 1930, über 45 Jahre später, die verschiedenen Straußschen Urfassungen für moderne Theaterbühnen „veropert“ und mit eigenen Kompositionen wie mit „Sei mir gegrüßt, holdes Venezia“ für Richard Tauber bereichert. So wurde im Aalto-Theater nicht die Straußsche Urfassung sondern die Korngold-Fassung gespielt. Bruno Klimeks erhebliche wie aktuelle Werkbearbeitung wirkt wie die Transponierung, wie ein Sprung der Korngold-Fassung in die Moderne, in das 21. Jahrhundert.
Klimeks Essener Fassung beherrscht auch den Verwechslungswirrwarr, nicht aber den Karneval oder Commedia dell´arte. Eine Nacht in Venedig mutiert in Essen durch Umdichtungen, gestrafften Texten, Gags, Clownerien und oft skurrilen Choreographien zu einem modernen Happening. Klimek: „Das Stück ist ein großer, ironischer Abgesang auf die ganze „Gockelherrlichkeit"; der Herzog ist ein überzeichneter Superstar: Es ist Satire, nicht genaues Abbild des Lebens“. Klimek macht in seiner Essener Fassung „die Frauen viel schlauer, stärker als die Männer, ähnlich der Csardasfürstin, der Lustigen Witwe oder Adele “. Klimek: „Bei Eine Nacht in Venedig folgt ein Hit dem anderen… es ist nicht verwunderlich, dass Operette wieder im Kommen ist“.
Der Blick des Besuchers gleitet im ersten Bild (Bühne Jens Kilian) über den vereisten weiten Markusplatz von Venedig; das angrenzende Meer mit farbigen, stetig wandernden Wolkenformationen am Himmel zeichnen Videoprojektionen auf eine den gesamten Bühnenhintergrund ausfüllenden Leinwand. Auf dem Markusplatz finden sich filigrane Miniaturen des Dogenpalastes, der Markuskirche und alter venezianischer Bauten. Zur Ouvertüre stöckeln warm angezogen, Schnee rieselt auf den Markusplatz, Ciboletta (Christina Clark) und andere Venezianer, aufgeregt rufend „Er kommt“, rufen sie; „Wer“, „Nun, er!“. Wer kommt denn? Noch weiß es niemand!
Der erste Clou der Essener Fassung ist originell wie unerwartet: Ein riesiges Kreuzfahrtschiff fährt ein in den Hafen Venedigs; Himmel und Meer verdeckend; die Miniaturpaläste Venedigs wackeln, fallen zusammen. Wer entsteigt dem Schiff auf einer Schiffstreppe? Nicht Guido, der draufgängerische Herzog von Urbino; es ist Pappacoda, der Makkaronikoch (Martiijn Cornet). Derweil die in Mänteln und Hüten vermummten Venezianer auf dem Schnee des Markusplatz rutschen, hinfallen und „Wenn vom Lido sacht wieder Kühlung weht…“ singen. Pappacoda mischt sich, Makkaroni beschwörend und werfend, unter seine weiterhin „Er kommt, die Frauenwelt Venezias zu verwöhnen….“ singenden Verehrerinnen.
Clou und Komik verstärken sich, wenn in Wiederholungen, in den Folgen von „Er kommt“, „Wer“, „Nun, er!“ weitere monströse Kreuzfahrtschiffe (Foto) den Bühnenhintergrund durchkreuzen, Dogenpaläste umfallen und die anderen Protagonisten der Operette in eigenem Oeuvre dem Schiff entsteigen: Enrico Piselli (Carl Bruchhäuser), „Die Frauen müssen wir fernhalten“, gefolgt von Caramello (Albrecht Kludszuweit) und schließlich mit zahllos kolossalen Seekoffern Guido, Herzog von Urbino (Dmitry Ivanchey), dem die geifernden Frauen Veneziens sogleich und triumphierend die Kleider vom Körper reißen. Derweil Annina (Tamara Banjesevic) ihre Arie Frutti die Mare, „Ich komme von Chioggia zu euch übers Meer…“ in lebendig frischem Sopran singt, von Chor und Statisten revuehaft begleitet. .
Zu allem Spiel, zu packenden Gags und Pointen auf der Bühne verlor sich der Blick des Autors immer wieder in den Bühnenhintergrund, wo psychodelisch wandernde Wolkenformationen, die Handlung auf der Bühne kontrastierend, stetig sanft zarte Stimmungen webten.
Das bunte Kaleidoskop von Klimeks „Essener Fassung“ setzt sich modern, unbefrachtet von althergebrachten Operetten-Klischees fort: Senator Delaqua (Karel Martin Ludvik) bewundert den Herzog auf einer Wolke hoch über der Bühne schwebend „Mit der Würde, die Dir eigen…“; während die Venezianer aus dem Mittelgang des Zuschauerraumes antworten. Doch es geht auch klassisch: Ein Schlitten auf der Bühne würzt den lyrischen Lockruf des Caramello „Komm in die Gondel, mein Liebchen so steige doch ein..“ . Gags, Tiefsinniges wie Überraschungen setzen sich im 2. Akt fort: wenn die Venezianer des Palast des Herzogs plündern, während sich Herzog Guido mit Annina „zu unbekannten Zwecken“ in ein Hinterzimmer verzogen hat; wenn zum Karneval Männer und Frauen - ohne Maske - Männer und Frauen in gleichen Kostümen und Perücken merkwürdig gleich wie geklont wirken; wenn sie dann zum „Karneval ruft zum Ball, der ist Souverän“ auf dünnem Eis einbrechen und versinken; wenn Caramello im 3. Akt fortwährend „Wo ist meine Frau“ rufend über den Markusplatz irrt, während der Herzog (Dmitry Ivanchey) mit Annina und Ciboletta einer Gondel entsteigend den lebensfrohen Lagunenwalzer singt „Ach, wie so herrlich zu schaun, sind all die lieblichen Fraun…“. Aller Verwechslungs-wirrwar der Handlung bleibt bis zu einem „offenen Ende“ bestehen, wo man sich für den Karneval des nächsten Jahres verabredet.
Das gesamte Ensemble bot in der detailreichen Produktion eine darstellerisch wie stimmlich starke Gesamtleistung. Doch Tamara Banjesevic als Annina und Christina Clark als Ciboletta waren in dem Potpourri der Clownerien durch hohe Präsenz, mit Charme, Esprit und romantisch timbrierten Stimmen besonders präsent. Johannes Witt und die Essener Philharmoniker begleiteten das Happening freier, hollywoodesken Lebensfreude in den bunten Orchesterfarben. So feiert das Publikum lebhaft ein modern boulevardeskes Happening wie dessen Protagonisten auf der Bühne wie im Graben.
Eine Nacht in Venedig im Aalto-Theater; die nächsten Vorstellungen: 30.9.; 7.10.; 28.10.; 3.11.; 11.11. und zu Sylvester am 31.12.2018
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