Essen, Aalto- Theater, FAUSTO - Louise Bertin, IOCO Kritik
Wer sich jetzt fragt, ob er die Oper Fausto (der italienische Name für Goethes Faust) von der Komponistin Louise Bertin kennt, kann völlig zu Recht sagen: „Ist mir absolut unbekannt“. Diese Oper ist bisher nur im Jahr 1831 aufgeführt worden und danach tatsächlich nie wieder.
von Uli Rehwald
„Opern-Amuse-Gueule“ am Aalto-Musiktheater, moderiert von Götz Alsmann Auszüge der Oper Fausto von Louise Bertin, zur Vorstellung am 4.2.2024.
Heute gibt es ganz kleine Häppchen einer eigentlich schon verschollenen Oper. Als Appetitanreger für die ganze Oper, die aktuell auf dem Spielplan steht. Und diese kleinen Häppchen werden moderiert von Götz Alsmann. Als kurze und mal ganz andere Opern-Unterhaltung am Sonntagnachmittag.
Aber der Reihe nach. Wer sich jetzt fragt, ob er die Oper Fausto (der italienische Name für Goethes Faust) von der Komponistin Louise Bertin kennt, kann völlig zu Recht sagen: „Ist mir absolut unbekannt“. Und das muss auch der erfahrene, langjährige Opernkenner zugeben. Denn das Aalto-Theater in Essen bietet etwas an, was in der Karriere eines jeden Opernfreunds sicherlich ganz einmalig ist: Die Wiedererweckung einer seit 190 Jahren verschollenen Oper. Diese Oper ist bisher nur im Jahr 1831 aufgeführt worden und danach tatsächlich nie wieder. Bis zur deutschen Erstaufführung letzte Woche im Aalto-Theater, Essen. Und so kommt es, dass die üblichen Opernführer keine Auskunft über das Werk geben, und so jeder bei der Vorbereitung für die Oper zwangsläufig im Nebel tappt. Und sich der geneigte Opern-Veteran mal wieder fast als Neuling fühlen darf: Keiner weiß, was auf ihn zukommt.
Zudem ist auch Louise Bertin eine völlig unbekannte, eigentlich vergessenene Komponistin. Sie hat als eine der ersten Frauen überhaupt einige wenige Opern komponiert, die sich alle nicht durchgesetzt haben. Auch das Libretto hat sie selbst geschrieben und so die erste Oper über die klassische Tragödie von Goethe geschrieben (Gounod und Berlioz folgten mit ihren bekannten und oft gespielten Faust-Opern erst Jahre später).
Um so viel Unbekanntem zu begegnen, soll die Oper von Louise Bertin bei ihrer Wiederbelebung durch das neue Format „Mit Götz Alsmann in der Oper“ unterstützt werden. Die meisten werden Götz Alsmann natürlich aus der Fernseh-Serie „Zimmer frei“ kennen. Aber er ist als Honorarprofessor für Musik natürlich auch musikalisch bestens im Bilde, geht selbst auf Tournee und hat auch schon ähnliche Moderationen für klassische Musik gemacht. Und dass er beim Präsentieren der kleinen Opernhäppchen mehr als gelungen mit dem Publikum spielen kann, beweist er heute wieder einmal.
Mit einem Parforceritt, was es über die Oper und die Komponistin alles zu wissen gilt. Das Werk von Louise Bertin besteht aus 4 Akten und folgt weitgehend der klassischen Tragödie von Goethe. Aus jedem der 4 Akte wird eine Szene herausgenommen, die wie sonst üblich gespielt wird. Aber halt mit Moderation vorher und nachher. Jedes Häppchen wird von Götz Alsmann ganz individuell, mundfertig, witzig und manchmal auch hintersinning gereicht, als Amuse-Gueule eben.
Heute wird zwar nicht die gesamte Handlung klar und auch eine umfassende musikalische Beurteilung ist nicht möglich. Es sind ja nur 4 kurze Häppchen. Aber wie diese Häppchen gesungen, gespielt, inszeniert werden, das macht schon ganz klar Lust auf mehr.
- Die Inszenierung von Tatjana Gürbaca verlegt den ersten Akt in eine Klinik, in der Faust (Mirko Roschkowski) ein leitender Arzt ist und Leichen seziert. Mefistofele (Almas Svilpa) liegt hier auf dem Seziertisch und wird erst wach, nachdem Faust seine Arie über den fehlenden Sinn und seinen Lebensüberdruss gesungen hat.
- Jessica Muirhead fiel bei der Premiere letzte Woche in der Rolle der Margarita leider krankheitsbedingt aus. Heute aber zeigt sie wieder ihr überragendes Können, herzergreifend ihre Arie als die von Faust verlassene Geliebte.
- Wenn wir es nicht besser wüssten, wäre es durchaus glaubhaft, dass dieses Werk eine ganz normale, gut gelungene Repertoire-Oper sein könnte. Und das von einer Frau, die vor 200 Jahren das Opernkomponieren autodidaktisch gelernt hat. Da stellt sich doch die Frage, wieviel vergessene Opernjuwelen über dieses Stück hinaus noch schlummernd auf ihre Entdeckung warten.
- Und natürlich bersten auch schon allein die kurzen Häppchen vor dramatischen Zuspitzungen, turbulenten Chor-Szenen (die Hexen) und großem sängerischen Können der Künstler.
Wirklich erstaunlich ist, dass die heutige Aufführung fast ausverkauft ist. Und zwar im freien Verkauf, sogar ganz ohne Abo. Also muss irgendetwas richtig gemacht worden sein. Aber was ist es? Das Werk und die Komponistin sicher nicht, so bedeutend die Wiedererweckung des Stücks auch sein mag. Der Glanz von Goethes Faust? Unsicher. Vielleicht die kurze Form von nur anderthalb Stunden am Sonntagnachmittag. Der Abend ist danach noch lang genug für etwas anderes. Vier kleine mundgerechte Häppchen Kultur eben, sogar mit einer recht langen Pause. Richtig leicht konsumierbar, angenehm dargereicht und witzig erläutert. Eine Vorbereitung ist nicht erforderlich, das „macht ja der Alsmann“. Der Gegenentwurf zu einer 5-Stunden Oper, deren Inhalt umfassend und bis ins Detail als bekannt vorausgesetzt wird und die eisern abgesessen werden muss. Moderate Preise, sogar auch für die besten Sitze. Und ganz bestimmt sehr wesentlich für die gute Annahme durch das Publikum ist die Form der Moderation und der Name Götz Alsmann.
Die Vorstellung macht ganz sicher Appetit auf mehr – und darauf wird natürlich heute auch deutlich von Götz Alsmann hingewiesen: Wer wissen will, wie es ausgeht, muss dann doch die ganz Oper sehen. Sicherlich kann man dem Aalto-Theater nur gratulieren, diesen Versuch gewagt zu haben. Und hoffentlich sehen wir diese moderierte Form auch bei anderen Werken wieder. Und mit etwas Glück haben wir heute nicht nur die Wiederbelebung einer eigentlich schon gestorbenen Oper erleben dürfen, sondern vielleicht auch die Geburt eines neuen musikalischen Markenzeichens: „Mit Götz Alsmann in der Oper!“.