Essen, Aalto Musiktheater, Lohengrin von Richard Wagner, IOCO Kritik, 12.12.2016
Vor Heilsbringern wird gewarnt
Entromantisierter politischer Lohengrin im Aalto-Musiktheater
Von Hanns Butterhof
Im Aalto-Musiktheater nützt Regisseurin Tatjana Gürbaca Richard Wagners romantische Oper „Lohengrin“ für ein deutliches politisches Statement gegen den Populismus.
Tatjana Gürbacas „Lohengrin“-Fassung spielt in der ortlos abstrakten Bühne Marc Weegers, einer weißen, sich nach oben verengenden Treppe. Deren übergroßen Stufen dementieren grundsätzlich, dass ein Herabsteigen aus dem Himmlischen ins Irdische überhaupt möglich ist.
Mit feinen Hinweisen hebt Gürbaca jenseits von Wagners religiösem Hintergrund die persönlichen Motive der Protagonisten hervor. Danach war Graf Telramund (Heiko Trinsinger) in Elsa (Jessica Muirhead) verliebt, die Tochter des verstorbenen Herzogs von Brabant. Als sie ihn abwies, war Ortrud (Katrin Kapplusch) seine zweite Wahl. Aus dieser Kränkung rührt ihr eifersüchtiger Hass auf Elsa, der in die Anklage mündet, Elsa habe ihren Bruder Gottfried getötet.
Elsa ist eine romantische Träumerin, die sich der Anklage nicht selbst erwehren kann. Vorverurteilt und in ein weißes Laken mit der Aufschrift „Hexe“ und „Mörderin“ gehüllt naht sie nicht licht und rein, sondern wird vor das von König Heinrich (Almas Svilpa) angeordnete Gottesgericht gezerrt. Als ein Unbekannter (Daniel Johansson) erscheint und siegreich für sie kämpft, ist sie willig, fraglos an ein Wunder zu glauben. Doch aus der naiven Jungfrau wird rasch eine vollsinnige Frau, auch weil Ortrud ihr blindes Vertrauen in Lohengrin untergräbt. Als dieser in der Hochzeitsnacht nicht auf ihr offenherziges Liebesangebot eingeht und sich ihr steif entzieht, stellt sie ihm die verbotene Frage nach seinem Namen und Stand. Es ist Lohengrins praktische Liebesunfähigkeit, an der die Beziehung nicht nur zu Elsa scheitert.
Die Katastrophe betrifft auch Land und Leute von Brabant. Ihnen hatte sich Lohengrin populistisch Heil versprechend als Schützer in unruhigen Zeiten und dem König als charismatischer Heerführer gegen die Ungarn angeboten. Daraufhin waren die anfangs wehrunwilligen Brabanter erst in quasireligiöse Verzückung verfallen und dann in Bundeswehruniformen (Kostüme: Silke Willrett) freudig in Heinrichs Heer zum Krieg angetreten. Als Lohengrin Elsa verlässt, lässt er auch die Brabanter allein. Dass er den blessierten, unbeholfenen Gottfried (Aron Gergely) als Ersatz zurücklässt, macht das Zerstörerische seines Auftritts in Brabant erst perfekt. Der einfältige Wunderglaube, der das verunsicherte Volk ergriffen hat, und sein blindes Vertrauen in eine charismatische Führerfigur führen es ins Unglück.
Es sind starke Thesen, die Tatjana Gürbaca aufstellt und mit eindringlichen Symbolen belegt. Aber sie verbinden sich nicht unbedingt bruchlos mit Text und Geist der Oper. Beeindruckende Bilder wie die Ankunft Lohengrins, als der Schwan/Gottfried auf Händen hereingetragen wird, stehen neben rätselhaften Albernheiten wie Ortruds angespanntem Lauschen an einem Miniaturhäuschen, während im Orchester das Fragemotiv rumort. Dass Lohengrin wohl als Folge von des Grales keuschem Dienst seine Liebesunfähigkeit in Gestalt Gottfrieds/des Schwans beständig mit sich führt, überzeugt szenisch nicht.
Die antiromantische Regie findet ihre Unterstützung im Dirigat Tomáš Netopils; flüssig und ohne großes Pathos begleiten die Essener Philharmoniker sehr genau das Bühnengeschehen, ohne die ganz große silbrig blaue Lohengrinstimmung aufkommen zu lassen.
Gesanglich ist der „Lohengrin“ hinreißend. Vor allem begeistern Jessica Muirhead mit silberrein fließendem Sopran, Heiko Trinsinger, der Telramund baritonale Statur verleiht, Katrin Kapplusch mit einnehmend lebensvollem Mezzo und Daniel Johansson mit verführerisch weichem Tenor. Martijn Cornet ist ein sehr präsenter Heerrufer, während Almas Svilpa rollenbedingt etwas königliche Tiefe fehlt. Der von Jens Bingert einstudierte Chor singt differenziert und überzeugt auch szenisch.
Nach viereinhalb fesselnden Stunden, die es schwer machen, fraglos in Wagners Märchenmelodien zu schwelgen, großer Premierenbeifall für alle Beteiligten, für die Regie Tatjana Gürbacas auch deutliche Buhs.
Lohengrin von Richard Wagner, weitere Vorstellungen 22.12.2016, 28.12.2016, 11.01.2017
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