Essen, Aalto-Musiktheater, DIE MACHT DES SCHICKALS - Giuseppe Verdi, IOCO
Von Uli Rehwald
Die Macht des Schicksals ist eine der wenigen Opern von Verdi, welche die Krone der Publikumsgunst nicht vollständig errungen haben. Als schwierig zu inszenieren gilt sie zudem auch noch. In der Rangliste der am häufigsten gespielten Opern steht sie daher nicht weit vorn. Woran könnte es trotz unstrittig großartiger Musik liegen, dass die Gunst des Publikums nicht höher ausgefallen ist?
- Stört es, dass sich die 3 Hauptpersonen leider nur wenig als Sympathieträger eignen?
- Oder liegt es daran, dass die Handlung eigentlich 2 unterschiedliche Geschichten umfasst. Einerseits aus der unmöglichen Liebe zwischen Leonora und Alvaro. Und andererseits aus der Geschichte, in der Alvaro und Carlo von ewigen Freunden zu verschworenen Todfeinden werden.
- Sind es die umfangreichen Milieu-Schilderungen fern der Handlung (Kriegs-Szenen, Feldlager, die Marketenderinnen, Wahrsagen, Klostergeschehen)?
- Ist es die Zweiteilung der Oper in einen hochdramatischen Teil und rein buffonesken Szenen, welche die Handlung ebenfalls nicht weiterbringen?
Diese vielschichtige Handlung wäre eher eines Romans würdig, der auch ein ausführliches Sittengemälde der damaligen Zeit beinhaltet. In der Literaturkritik würde man von weitläufigen Nebenhandlungen sprechen. Eine knallige Kurzgeschichte, bei der die Handlung von einem Höhepunkt zu nächsten stürzt, sehen wir heute jedenfalls nicht.
Wie hat sich die Regisseurin Sláva Daubnerová diesem Werk genähert? Hauptsächlich hat sie 2 Deutungen neu aufgenommen:
- Eine Emanzipationserzählung der Leonora.
- Eine Antikriegserzählung.
Das kann man in der heutigen Zeit durchaus so inszenieren. Zugegeben, es ist schwierig, diese Kriegsverherrlichung zu inszenieren. Der Nachteil der dargestellten Lösung ist jedoch, dass nochmals zwei zusätzliche Ebenen in die Oper eingeflochten werden, welche die ohnehin schon weitläufige Handlung nicht stringenter machen.
Zu dem sehr gut gelungenen Teil der Inszenierung gehören die enorm wirkungsstarken Bilder, die auf der Bühne gezeigt werden. Das Bühnenbild (Volker Hintermeier) zeigt 2 große Entwürfe:
- Ein Bühnenbild mit der überdimensionalen Statue einer Schicksals-Göttin vor dem Kriegsgeschehen auf der Bühne. Dieses Bild entsteht genau dann, wenn Leonore ihren Vater erschießt. Die Statue ist umgeben von einem hohen Baugerüst. Alles deutet darauf hin, dass hier noch unfertiges Schicksal, vom Krieg gezeichnet, weiterproduziert wird.
- Das Bühnenbild der Kloster-Pforte wird dargestellt von 6 monumentalen, beleuchteten säulenähnlichen Gebilden. Sie stellen wohl eine Mischung zwischen religiöser Erleuchtung und der Endgültigkeit der Entscheidung für das Klosterleben dar. Sie zeugen aber auch von der klaustrophobischen Enge bei einer Entscheidung ohne Ausweg. Dieses Bühnenbild bereichert die Musik, die sich ohnehin musikalisch schon auf Weltniveau befindet, noch zusätzlich.
Wer ein wenig skeptisch bis zum Ende des 1. Aktes durch die Oper gekommen ist, hat wohl festgestellt, dass die Blechbläser in der Ouvertüre an einigen Stellen leicht daneben lagen. Und vielleicht, dass der 1. Akt nicht zu Verdis Schaffensgipfeln gehört.
Aber dann baut sich doch in der Kloster-Szene des 2. Akts gewaltig die Weltklasse von Verdi auf. Hier sind die Essener Philharmoniker unter der Leitung von Wolfram-Maria Märtig in der Lage, das Publikum zu einem magischen Moment mitzureißen. Leonora (gesungen von Astrik Khanamiryan) ist an die Klosterpforte getreten und ringt mit ihrem Entschluss, ihr Leben Gott zu weihen, in der Einsiedelei der Welt endgültig zu entsagen. Die Musik, die Sängerin, der Chor und das Bühnenbild finden sich bestens zu einem großen Opernmoment zusammen. Die Handlung steht still, Leonora kämpft sich durch ihre bodenlosen Gefühlswelten. Zusätzlich wird dabei noch großformatiges, Bühnenfüllendes Bild ihres Kopfes als Videoinstallation gezeigt, wie sie sich in Zeitlupe ihre Haare selbst abschneidet.
Astrik Khanamiryan hat sich zu Beginn des Abends ansagen lassen, dass sie krankheitshalber eingeschränkt ist. Davon ist aber rein gar nichts zu hören. Sie nimmt uns mit in ihre Verzweiflungs-Hölle, zeigt wie immer samtweiche Legato-Bögen und strahlenden Höhen in erstklassiger Stimmführung. Aber auch die Entwicklung von expressiver Verzweiflung hin zur religiösen Verzückung. Und schließlich gelingt es dem Priesterchor, die Verheißung einer völligen Hingabe an die Religion so greifbar zu machen, dass Leonora schließlich in der Lage ist, ihre Entscheidung zu treffen. Diese Szene hat heute sicherlich alle im Publikum mitgenommen: Eine Frau ganz allein mit ihrem Herzen auf dem Weg zu Gott. Einzig von Padre Guardiano (Almas Svilpa mit großartigem Bass) begleitet sie wie ein Kontrapunkt bei ihrer Entscheidung. Alle Pausengespräche zeigen: Hier war jeder mitgerissen – ein großer Moment im Aalto-Theater in Essen.
Auch zu Beginn des dritten Akts bäumt sich die Handlung wieder packend auf. Alvaro (gesungen von Antonello Palombi) und Carlo (gesungen von Massimo Cavalletti) auf ihrem Weg, der bei ewiger Freundschaft beginnt und doch in Todfeindschaft endet. Wirklich gut gesungen und dargestellt. Auch das gehört sicher zu den großen Verdi-Stellen: Carlos Entscheidung, die Briefe zu öffnen und die daraus folgende Rache-Arie, in der Massimo Cavalletti die Größe seines dämonischen Baritons zeigt.
Die Oper besteht auch aus gut gelungenen, riesigen Chor-Szenen (unter die Leitung von Klaas-Jan de Groot), bei der die Volksmenge von der Marketenderin Preziosilla (Bettina Ranch) angefeuert und zum Krieg verführt wird (die Rolle ist ihr offenbar auf den Leib geschrieben). Auch die Buffo-Teile der Oper sind gut dargestellt (u.a. Karel Martin Ludvik in der Rolle Fra Melitone). Überraschend endet die Oper dann aber doch geradezu meditativ still. Alvaro fragt sich, wieso ausgerechnet er als einziger des Trios alle Wirrungen des Schicksals überlebt. Die Geigen werden immer leiser und verschwinden schließlich schwirrend im Nichts.
Wie fällt das Urteil des Publikums am Ende der Oper diesmal aus? Nein, auch heute erfolgt keine Krönung in der Publikumsgunst - es wird ein kurzer, freundlicher Applaus gespendet. Immerhin, die Buh-Rufe für die Regie, wie bei der Premiere vor wenigen Wochen geschehen, blieben diesmal aus. Zwar verdienen die Meisterwerke von Verdi sicher große Verehrung. Aber vielleicht wäre es doch ein Experiment wert, die weitläufige Nebenhandlung zu straffen und die so die etwas inhomogene Wirkung des Stücks ein wenig zu glätten. Zweifelsfrei gab es genügend Momente heute Abend, die einen Begeisterungssturm verdient hätten.
Weitere Aufführungen sind in dieser Saison noch bis April zu sehen.