Essen, Aalto Musiktheater, AIDA in Essen - 27 Jahre Kult, IOCO Aktuell, 03.02.2016
AIDA im Aalto Theater
Farbenfrohe Abkehr von Pompösem
Von Viktor Jarosch
AIDA ist große Oper, Giuseppe Verdi einzigartiger Komponist. Nicht nur in Verona besitzt AIDA Kultstatus, auch im Aalto-Theater in Essen. In Verona inspiriert seit 100 Jahren die vom feinsinnigen ägyptischen Vizekönig Khedive Ismail Pasha in Auftrag gegebene klassische Volksoper AIDA. Ismail Pasha beauftragte Verdi 1870 für den astronomischen Betrag von 150.000 Goldfranken eine wahrhaft ägyptische Volksoper schreiben. Das Szenarium stammt von Auguste Mariette, Leiter der ägyptischen Antikenverwaltung, und, unbewiesen, aus einer alt-ägyptischen Papyrusrolle. Verdi jedenfalls schwärmt von seiner Ägyptenreise, als ihn die heiße Sonne inspirierte, die „glutvolle Thematik und das eigentümliche Wesen ägyptischer Volksweisen“ mit italienischem Belcanto-Kolorit zu füllen.
Dietrich Hilsdorfs inszenierte diese AIDA in Essen bereits 1989. Dort wurde sie Kult und reizt auch 2016 mit grandioser Beleuchtung, farbenreicher Vielschichtigkeit und der Abkehr von Monumentalem. Eine modern-gefällige Anti-Kriegs-Sicht bietet Hilsdorf im Programmheft, wenn er die Handlung, wenig Verdi-treu, mit eigener Rhetorik umwandelt: Ramphis facht dort „die kriegshetzerische Stimmung an“, „Vernichtungsauftrag wird in einem religiösen Akt abgesegnet“…. Doch mit farbig faszinierenden Bühnenbildern (Johannes Leiacker), auffälligen Lichteffekten und dunklen Schattenstrukturen (Jürgen Nase) verlässt Hilsdorf allzu flachen Populismus und verleiht Verdis Belcanto-Oper lebendig differenzierenden Geist der Jetzt-Zeit. Hilsdorfs beständige Neigung, AIDA in Anti-Kriegs-Pathos zu hüllen zeigt auch seine Bonner AIDA Inszenierung aus 2014.
Mit Beginn der Vorstellung stimuliert den Besucher bereits die Bildsprache eines riesigen in weichen Farben gemalten Bühnenprospekts (Bild). Wüste, Pyramiden, Schilf und Palmen bilden sich darauf im sommerlichen Sonnenuntergang ab. Zu den zarten Lauten der Ouvertüre wandeln am Bühnenrand Aida und Amneris in Prachtgewändern. Mit dem folgenden ersten Akt wird der Prospekt durch Lichteffekte durchsichtig, gibt dem Bühnebild mit aufregenden Schattenbildern lebendigen Charakter, wird zur Trennlinie von Liebe und Krieg. In einem großen einsichtigen Raum konspirieren planen Radames, Priester, Krieger. Hypnotische Faszination erzeugt auch das zweite Bild, im welchem Radames das heilige Schwert erhält und den Gott Ptha den Feldzug segnen läßt.
Der kompositorisch einzigartige Triumph-Marsch, ein Höhepunkt von AIDA, verfällt in Hilsdorfs Inszenierung leider zum anbiedernden Anti-Kriegsplüsch. Zu großartigen Orchesterklängen und AIDA-Trompeten defilieren nicht huldigende Kämpfer vor dem König. Stattdessen danken Priester aus den Rängen des Theaters, tanzen die Töchter gefallener Kämpfer RingelReihe, weihen Witwen ihre Kinder dem Krieg, feiern Industriemanager den Krieg, grüßen Veteranen mit Krücken, Jungfrauen überreichen dem König..... Zwei coole „Memphis Twins“ vertreiben tanzend Sorgen, dass Krieg doch etwas Schlechtes sein könnte. Texte, in Verdis Libretto nicht zu finden, sind gut gemacht und stärken die Authentizität der Bühnenhandlung als legitime Freiheiten moderner Inszenierungen. Mitreißend das letzte, sich im Unendlichen verlierende Bühnenbild, in welchem Aida mit ihrer Pace-Arie in dämonisch beklemmendem Halbdunkel Frieden für Radames und sich beschwört.
Das erfahrene Aalto-Ensemble meistert die hohen Anforderungen der Oper glänzend: Kelebogile Besong verleiht der vielschichtigen Partie der Aida mit romantisch-lyrischem Sopran, von zarten Piani hin zum dramatischen C einen ungewöhnlich reizvollen elegischen Klang; ihre Arie „O patria mia“ war ein Höhepunkt des Abends. Helena Zubanovich begegnet als Amneris dem lyrischen Duktus ihrer Gegenspielerin mit kultiviert dramatischem Mezzo.
Gaston Rivero gestaltet den Radames sicher mit verblüffend heller Tenorkraft. Die fordernde, frühe „Antrittsarie“ Celeste Aida meistert Rivero sicher und wohltimbriert, mitsamt des darin so gefürchteten hohen B. Tijl Faveyts ist als Hohepriester Ramfis ist mit schwerem Bass ebenso präsent wie Heiko Trinsiger mit wohlklingem Bariton als Amonasro und, aus den Rängen, Baurzhan Anderzhanov als König–Pharao. Yannis Pouspourikas leitet die Essener Philharmoniker mit gefühlsreicher Intensität. Zur zentralen Triumphszene des 2. Aktes gelingt Pouspourikas die komplexe Interaktion von Bühne und den in den Rängen des Aalto-Theaters verteilten großen Chöre (Patrick Jaskolka). So verbindet sich der Klangreichtum Verdis mit dem Bühnengeschehen und wird zu einem homogenen Gesamtwerk.
AIDA im Aalto-Theater, 1989 erstmals inszeniert, ist auch 2016 hochmodern, ansprechend und faszinierend. Ensemble, Chöre und Orchester wurden von den Besuchern lange und laut gefeiert.
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