Düsseldorf, Rheinoper, EUGEN ONEGIN - P. I. Tschaikowsky, IOCO
EUGEN ONEGIN: Peter Iljitsch Tschaikowsky hat nur wenige Opern geschrieben, er ist eher für sein symphonisches Schaffen bekannt. Natürlich für die bekanntesten Bühnenwerke von ihm: Seine 3 Ballette von Weltrang (Schwanensee, Nussknacker, Dornröschen), ohne die die Ballettwelt eine andere wäre.
von Uli Rehwald
Peter Iljitsch Tschaikowsky hat nur wenige Opern geschrieben, er ist eher für sein symphonisches Schaffen bekannt. Wie z.B. das 1. Klavierkonzert in b-Moll und seine späten Symphonien. Und natürlich für die bekanntesten Bühnenwerke von ihm: Seine 3 Ballette von Weltrang (Schwanensee, Nussknacker, Dornröschen), ohne die die Ballettwelt eine andere wäre.
Seine bekannteste und am häufigsten gespielte Oper ist Eugen Onegin, die es auf die Top 50 der aufgeführten Opernkompositionen schafft. Seine weniger bekannte Oper, die Jungfrau von Orleans, stand ja erst kürzlich auf dem Spielplan. Der lyrische Charakter seiner Symphonien findet sich natürlich auch in seinen Opern wieder. Und so hat Tschaikowsky sein Werk Eugen Onegin auch selbst nicht als Oper bezeichnet, sondern als „lyrische Szenen“. Und in der Tat sticht diese Oper nicht durch eine mitreißende Handlung heraus. Es gibt auch keine glanzvollen Helden, die die schwierigsten Prüfungen bestehen und erfolgreich zu sich selbst finden. Es ist vielmehr eine unerfüllte Liebesgeschichte mit einer intensiven musikalischen Schilderung der Gefühlswelt der Protagonisten. Tschaikowsky wollte etwas komponieren, was jeder kennt, jeder selbst nachvollziehen kann – die unerfüllte Liebe.
Sehr viele Opern handeln von einer völlig unmöglichen Liebe, die durch äußere Umstände verhindert wird, obwohl die Liebe von beiden Seiten unsterblich ist. In dieser Oper ist die Liebe aber durchaus möglich, wird eben nicht durch äußere Umstände verhindert. Sie wird aber von beiden Personen des Paars immer verpasst. Und so kommen sie bis zum Ende der Oper nicht zusammen, weil immer nur einer brennt, während der andere kühl und rational bleibt. Es ist keine dramatische Erzählung von der großen Liebe. Sondern kleine Szenen vom Scheitern der Liebe, von der Bindungsangst, von verpassten Möglichkeiten.
Eine weitere Besonderheit ist, dass Tschaikowsky den Stoff zu Eugen Onegin parallel zum Schreiben der Oper auch selbst erlebt hat. Er heiratete eine Frau, die ihm ihre Liebe brieflich gestanden hat (die Parallel ist die große Briefszene der Tatjana im 1. Akt). Für ihn hat sich Oper und die eigene Lebensrealität bestimmt vermischt.
Die Figuren mit ihren vielschichtigen Emotionen werden von Tschaikowsky genau gezeichnet. Er hat so komponiert: Was fühlt der Sänger? Welche Musik muss er zu den Gefühlen schreiben? Bei der großen Liebe, der eine Zurückweisung droht. Beim Gegenüber, das sich nicht auf die Liebeserklärung einlassen will oder kann. So gesehen ist diese Oper die große Gefühlsschilderung der nicht erwiderten, verpassten Liebe.
Die großen Szenen sind natürlich
- die Briefszene im 1. Akt (mit dem wohl berühmtesten Liebesbrief der Operngeschichte),
- die Arie des Lenski vor dem Duell im 2. Akt,
- das leidenschaftliche Duett der beiden im Finale des 3. Aktes.
Man kann sagen, diese Oper besteht aus drei einzelnen Tragödien. Im ersten Akt ist es die Tragödie der verschmähten Liebe Tatjanas. Im zweiten Akt die Tragödie Lenskis, der im völlig überflüssigen Duell getötet wird. Und im dritten Akt die Tragödie Onegins, der dramatisch erkennen muss, dass er die große Liebe endgültig verpasst hat.
Bei diesem Opernstoff handelt es sich um die Vertonung von bedeutender russischer Literatur. Puschkin hat einen Vers-Roman Eugen Onegin geschrieben, der russisches Nationalepos geworden ist. Dieser Roman symbolisiert den Übergang von der Romantik zum literarischen Realismus.
Wie nähert sich die Regie von Michael Thalheimer in Düsseldorf dieser Oper, besuchte Vorstellung 21.3.2024 ? Von der Tschaikowsky selbst sagt, dass sie handlungsarm ist, wenig bühnenwirksam. In seiner Inszenierung verzichtet er auf eine große Bebilderung, konzentriert sich, wie es Tschaikowsky ja auch gewollt hat, auf das Innenleben der Figuren. Dies geschieht hier, indem die Bühne (Henrik Ahr) zunächst mit einem großen Holzrahmen auf einen Guck-Kasten verkleinert wird. Und in diesem Kasten befindet sich eine flexible Wand aus 8 mal 16 Rechtecken, die eine rotbraune Färbung haben und eher an ein billiges Holzfurnier aus dem Baumarkt erinnern. Diese Rechtecke können so verschoben werden, dass darauf gespielt werden kann. Sie bilden manchmal eine begehbare Treppe, aber auch eine Mauer, von der Tatjana wie in einem Gefängnis eingeengt wird. Insgesamt kommt dieses reduzierte, meist statische Bühnenbild fast schon karg daher. So dass die Aufführung phasenweise schon fast konzertant wirkt.
Ekaterina Sannikova gelingt es, mit ihrem dramatischen, höhensicheren Sopran die Leiden der Tatjana überzeugend darzustellen. In der berühmten Briefszene wirkt sie spielerisch etwas bemüht - so ganz ohne Brief und Papier, allein auf der leeren Bühne. Bogdan Baciu zeigt als Eugen Onegin den Anti-Helden. Ungewöhnlich, dass das Liebespaar aus einem Sopran und einem Bariton besteht. Kernig kommt er daher, wenig verführerisch-romantisch, erst recht nicht heldisch, auch nicht als Bösewicht. Aber stets mit beeindruckendem Stimmvolumen. Ovidiu Purcel stellt in der Rolle des Lenski mit seinem lyrischen Tenor sehr glaubhaft seine Liebe zu Olga und seine Freundschaft zu Onegin dar. Ramona Zaharia glänzt mit einem selten sonoren Stimmregister in der tiefen Lage in der Rolle der Olga. Ihr gelingt es, als Gegenpol zu ihrer Schwester Tatjana, eine flirtende, leichtlebige Koketterie mitauffallender Bühnenpräsenz zu zeigen. Sami Luttinen als alter Fürst Gremin hat trotz der kurzen Rolle eine der ganz großen Parade-Arie in dieser Oper. Er meistert sein Liebesbekenntnis zu Tatjana mit seinem tiefen Bass sehr berührend. Auch Ulrike Helzel als Filipjewna und Katarzyna Kuncio in der Rolle der Larina überzeugen.
Die großen Chorszenen, von denen die Oper auch lebt (Chor der Deutschen Oper am Rhein unter der Leitung von Gerhard Michalski) und die Kostüme (Michaela Barth) kommen im Gegensatz zur reduzierten Regie durchaus angenehm und belebend daher. Man ist geradezu dankbar für die dann opulente Szene.
Es ist wohl nicht ganz so häufig der Fall, dass man sagen muss, das Orchester ist heute der Star des Abends. Aber den Düsseldorfer Symphonikern unter der Leitung von Vitali Alekseenok gelingt es, die Musik von Tschaikowsky in ihrer expressiven Melodik und ihrer farbigen Instrumentierung als das Haupterlebnis des Abends zum Klingen zu bringen.
Und obwohl Tschaikowsky eigentlich nur lyrische Szenen schreiben wollte, wird es im Finale dann doch ein hochdramatischer, großer Opern-Moment: Die Schluss-Szene, in der beide dann endgültig nicht zusammenkommen, hätte auch bei Verdi oder Wagner nicht dramatisch-mitreißender sein können. Aber immerhin - es gibt keine Toten, keinen Weltuntergang. Nur die gescheiterte Liebe, nein, schlimmer noch, das Scheitern der Hoffnung auf Liebe. Voll trostloser Verzweiflung stürzen beide von der Bühne.
Das Düsseldorfer Publikum dankt mit langanhaltendem Applaus.