Düsseldorf, Rheinoper, DER FLIEGENDE HOLLÄNDER - R. Wagner, IOCO
Rheinoper - Düsseldorf: Mit dem Fliegenden Holländer sehen wir heute an der Rheinoper in Düsseldorf eine der am meisten gespielten und beliebtesten Werke, eine Stütze jeden Oper-Repertoires. Zusätzlich ist eine internationale Starbesetzung angesagt ......
von Iris Flender / Uli Rehwald
Am 16.6.2024 steht die Düsseldorfer Premiere des Fliegenden Holländers von Richard Wagner auf dem Spielplan. Die Deutsche Oper am Rhein hatte diese Aufführung bereits an ihrem zweiten Standort in Duisburg gezeigt.
Mit dem Fliegenden Holländer sehen wir heute eine der am meisten gespielten und beliebtesten Werke, eine Stütze jeden Oper-Repertoires. Zusätzlich ist heute eine internationale Starbesetzung angesagt. Das Haus ist fast ausverkauft, auch die vorherige Duisburger Aufführung hatte schon beste Kritiken erhalten. Und so ist alles für einen großen Opern-Abend im sommerlichen Düsseldorf angerichtet.
Um es gleich vorneweg zu sagen: Heute gelingt ein gemeinschaftlicher Höhenflug von allen Beteiligten, wie er nicht so oft zu erleben ist. Sänger, Musiker, Chor, Inszenierung, Publikum heben für über 2 Stunden gemeinsam ab und bleiben bis zum Schluss oben. Pausen zwischen den Akten gibt es nicht und braucht es heute auch nicht. Alle fliegen gemeinsam mit im Strudel der sich überschlagenden Ereignisse, Gefühle, Video-Installationen in die magischen Momente dieser Oper. Zusätzlich weiß man wirklich nicht, wohin man bei dieser opulent ausgestatteten Bühne zuerst hinschauen soll.
In seiner Inszenierung nimmt Vasily Barkhatov die Idee „Großes Kino“ auf, die mit einem ausgefeilten Psychogramm der Senta kombiniert wird. Nur, dass diesmal nicht die Musik zur Betonung des Films verwendet wird, sondern der dramatischen Musik Richard Wagners ein bildhaftes Geschehen zur Seite gestellt wird. Die Handlung wird sehr ideenreich aus der üblichen Darstellung in eine ganz neue Umgebung der Jetzt-Zeit versetzt.
Wir sehen Senta als Kind, als Teenager und als junge Frau als Dauergast in einem Kinosaal, wo ein alter Seefahrer-Film über die Mär vom „Fliegenden Holländer“ immer wieder läuft. Großartig gemacht mit einer Videoprojektion, durch die man den Kinosaal sieht. Das Publikum kann Teile des Films, den Senta im Kinosaal immer wieder sieht, auch mitverfolgen. Bei dieser Kino-Dauerschleife können wir verstehen, wie Senta immer mehr in der Geschichte dieses Films aufgeht, wie sie sich selbst in die Rolle der Erlöserin hineinträumt. Während in ihrer Realität ein schwacher Vater, eine fremdgehende Mutter, ein wenig eindrucksvoller Verehrer den Kinosaal bevölkern und auch sonst wenig Beeindruckendes passiert.
Viel beeindruckender wirken da die Matrosen aus dem Film, rau-kernige Typen, die sich dem Eismeer auf Segelschiffen stellen. Und natürlich sieht sie auch immer wieder den Holländer, beeindruckend männlich in seinem großen Fellmantel und verwegenem Aussehen.
Die jungen Frauen (traditionell würden sie am Spinnrad sitzen) sind nun im Gegensatz dazu junge Frauen oder junge Mütter der Jetzt-Zeit, die in erster Linie mit ihren Handys beschäftigt sind, bar jeglicher romantischen Träumerei.
Das Leben vor dem Kinosaal findet in einem billigen Vergnügungspark statt, mit einem Kebab-Laden und Pizzaimbiss, Karussell und Spielautomaten. Sie stellen die Symbole für Verheißungen und Träume dar, die nicht eingelöst werden.
Eine tragende Idee, die die folgende Handlung erklärt, ist die Einblendung einer bühnengroßen Computerseite, wo Sentas besorgter Vater eine E-Mail an den Darsteller des Film-Holländers schreibt. Er berichtet von der Wahnvorstellung seiner Tochter und bittet den Darsteller, die Rolle des fliegenden Holländers real für seine Tochter zu spielen. Und sie am Ende zu verlassen und damit dem Wahn der jungen Frau ein Ende zu setzen.
So wird es dann auch ab der Mitte des 2. Aktes „gespielt“: Die Szenen aus dem Film wiederholen sich in Kostüm und Handlungen des Holländers inmitten der Jetzt-Zeit. Senta geht dabei voll in der Illusion auf. Daran ändert auch nichts, dass das Fest zur „Verlobung“ in Wirklichkeit ein Public-Viewing-Event ist. Statt männlich-rauer Matrosen aus Vorzeiten gebaren sich nun Fußballfans mit wilden Gesichtsbemalungen, billigen Hornhelm-Attrappen und lautem Gegröle als ganze Kerle.
Erst als alles nichts hilft und der Schauspieler, der den Holländer darstellt, sich völlig demaskiert, erwartet man, dass Senta die Wirklichkeit ohne Wahn erkennt. Aber nein, sie verweigert auch hier die Aufgabe ihrer Illusion. Am Ende der Oper bleibt sie allein in ihrem Wahn, fern von der realen Welt, im Kinosaal zurück. Es fehlt nur noch eine Krankenschwester, die ihr ein Pillendöschen bringt.
Vasily Barkhatov erzählt in seiner Inszenierung also nicht einfach nur die Geschichte, wie sie in der von Wagner geschriebenen Oper steht. Sondern er erzählt zusätzlich, wie Senta überhaupt zu ihrem Liebeswahn gekommen ist und wie es nach dem Ende der Oper für sie weitergeht.
Man muss sich die Frage stellen: Ist das noch Richard Wagners Werk?
- Die normalerweise zu erwartenden klassischen Segelschiffe und maritime Romantik sehen wir heute nicht. Jedenfalls nicht auf der Bühne, sondern nur in der Video-Installation.
- Auch das klassische Spinnrad im 2. Akt wird gestrichen, stattdessen wischen die Damen des Chors auf ihren Handys und Tabletts.
- Und ja, der Holländer fährt tatsächlich einige Runde auf diesem Vergnügungspark-Karussell bei der ersten Begegnung mit Senta. Sie schaut ihn dabei an, beide schweigen. Die strengen Wagner-Traditionalisten haben das offenbar heute ohne Proteste überstanden.
- Schlimmer noch: Der Holländer ist gar nicht der Holländer, sondern ein beauftragter Schauspieler, der ihn nur spielen soll.
Die beiden Autoren möchten die Frage, ob das noch Wagner ist, mit einem klaren „JA“ antworten. Die geänderte Geschichte und der verfremdete Ort (der Kinosaal) stützen das Werk durchaus, arbeiten nicht gegen den Kern des Stücks. Und es ist wirklich spannend, was alles an großen und kleinen Regie-Einfällen in diesem geänderten Setting zu sehen ist. Manchmal gerät die ausufernde Fülle, die hier gezeigt wird, allerdings nahe an einen optischen Overkill.
Dass Michael Volle ein Sänger von internationalem Format und gefeierter Bayreuth-Star ist, wissen wohl die meisten, die heute Abend da sind. Und auch heute zeigt er in der Rolle des Holländers die Gründe für die überaus große Wertschätzung: Sein gewaltiges Stimmvolumen, das über das gesamte Orchester zu hören ist. Das er aber auch ganz weich in seidigem Legato modulieren kann. Er stemmt die Töne nicht, singt sie auch nicht an, er ist auf dem Punkt in der richtigen Tonhöhe. Er kann es sich leisten, bei seiner Antrittsarie („Die Frist ist um“) im leichten Piano zu beginnen, ohne an Wirkung zu verlieren. Exzellent auch heute seine Textverständlichkeit, sein Spielen in der Rolle. Und dann hat er noch etwas, was ihn zusätzlich heraushebt: Er singt und spielt nicht einfach nur überragend. Er bietet dem Publikum zusätzlich etwas mit seiner besonderen Ausstrahlung an, nämlich sich selbst als Holländer in aller Tiefe fühlen zu können. Mit Gefühlen ohne Ende. Dafür gehen wir doch in die Oper, um das zu erleben.
Gabriela Scherer steht ihm in der Rolle der Senta nicht nach. Schließlich wird auch sie dieses Jahr in Bayreuth zu sehen sein. Sie bildet heute zusammen mit Michael Volle ein kongeniales Duo. Es wissen vielleicht nicht alle, dass die beiden auch im wahren Leben ein Traumpaar sind. Sie ist der großen Rolle spielend gewachsen, auch darstellerisch. Ihr dramatischer Sopran passt perfekt zur Rolle.
Die weiteren Rollen sind gut mit den heimischen Ensemble-Mitgliedern besetzt: Bogdan Talos als Daland, Jussi Myllys als Erik, Anna Harvey als Mary und David Fischer als Steuermann. Auch sie sind heute Teil des glanzvollen Abends.
Der Chor der Deutschen Oper am Rhein unter der Leitung von Patrick Francis Chestnut zeigt heute internationales Format und große Wucht. Er wird dem Anspruch gerecht, die der Holländer als große Chor-Oper stellt, zeigt sich zusätzlich enorm spielfreudig, auch mit vielen Klein-Szenen. Der Geisterchor kommt allerdings nur vom Band. Das ist zu verschmerzen, er wäre ja ohnehin nicht zu sehen.
Generalmusikdirektor Axel Kober verabschiedet sich mit seiner letzten Premiere aus Düsseldorf. Er führt seine Düsseldorfer Symphoniker durch einen großen Abend. Doch bei aller musikalischen Größe läuft die heutige Aufführung manchmal Gefahr, in die Nähe von Filmmusik zu rücken, wenn die Videoinstallation und die einfallsreich-bunte Bühne allzu sehr die Aufmerksamkeit binden. Das beginnt bereits bei der Ouvertüre, wo die gewaltigen, eindrucks-starken Bildsequenzen es sogar fast schaffen, die großartige Musik von Wagner in den Hintergrund zu verdrängen.
Alle Beteiligten verdienen sich heute den begeisterten, anhaltenden Applaus, auch die anhaltenden Bravo-Rufe. Glanz in allen Augen. Fragen, wozu es Oper überhaupt gibt, existieren heute Abend nicht mehr. Und auch auf der Bühne sollen die Darsteller es gemerkt haben (wie bei der anschließenden Premierenfeier zu erfahren war): Der heutige Abend gelingt überragend. Dieser Premieren-Flug wird sicher in großer Erinnerung bleiben. Und: Vor der Sommerpause gibt es noch weitere Aufführungs-Termine.