Düsseldorf, Düsseldorfer Schauspielhaus, SERGE - Yasmina Reza, IOCO Kritik, 21.03.2023
SERGE – Schauspiel von Yasmina Reza
- Deutsche Erstaufführung - Regie Selen Kara, Dramaturgie Christopher-Fares Köhler -
von Rainer Maaß
- Eine Reise Widerwillen -
Yasmina Reza zählt zu den erfolgreichsten Schriftstellerinnen der Jetztzeit. Die Französin mit iranisch-ungarischen Wurzeln wurde bereits nach ihrem ersten Buch mit dem Prix Moliere als beste Autorin ausgezeichnet. Internationale Erfolge erzielte sie unter anderem mit dem Theaterstück Kunst, das auch in Düsseldorf zur Aufführung kam. Am bekanntesten von ihr ist wohl das Stück Gott des Gemetzels. Ein Stück, aus dem Roman Polanski einen international erfolgreichen Film machte. Christopher Waltz, Kate Winslet, Jodie Foster und John C. Reilly, treffen sich zum Versöhnungs-Essen, das voll aus dem Ruder läuft. Sie überbieten sich in dieser Story mit rüden Beschimpfungen und gegenseitigen Vorwürfen. Sehr zum Vergnügen der Zuschauer.
Auch in SERGE, deutsche Erstaufführung am 18.3.2023, dem neuen Theaterstück von Yasmina Reza, treffen sich Menschen zu einem Anlass, bei dem man nicht streiten sollte. Marta, die Mutter von Serge Popper (Andreas Grothgar) und seinen Geschwistern Jean (Thomas Wittmann) und Nana (Claudia Hübbecker), ist gestorben. Auch ihre Enkelin Joséphine (Sophie Stockinger) wohnt der Trauerfeier bei. Doch die Familie hält außer der Liebe zu Marta nichts zusammen. Selbst in der Stunde des Abschieds stichelt Serge gegen Ehemann und Sohn seiner Schwester und mokiert sich über die Berufswahl der eigenen Tochter. Kurz gesagt: Abgesehen vom duldsamen Jean, der in diesem Stück die Rolle des Erzählers hat, sind sich alle Spinnefeind.
Was die Familie wundert, ist der letzte Wunsch der Verblichenen. Sie verlangt eine Feuerbestattung. Für eine Jüdin ein sehr ungewöhnlicher Wunsch. Dass Marta nicht religiös war, wissen alle. Mehr ist aber über die Familiengeschichte nicht bekannt. Keiner hat sich bisher dafür interessiert. Doch Joséphine, die Enkelin, möchte jetzt mehr über das Leben ihrer Vorfahren wissen. Sie überredet deshalb Vater, Onkel und Tante mit ihr Auschwitz-Birkenau zu besuchen. So beginnt eine Reise in die Vergangenheit ihrer Familien.
Eine Reise Widerwillen! Sie bringt die Figuren so unausweichlich nah zusammen, dass verstecken unmöglich ist. Jetzt reden sie Klartext miteinander. Sie offenbaren, wie verletzt sie sich fühlen. Von Vorwürfen, Zurechtweisungen. Sie beklagen, worunter sie in ihrer Kindheit leiden mussten. Vor allem Serge, rüpelhaft dargestellt von Andreas Grothgar, lebt seine Wutanfälle ungebremst aus. Er hat sein Temperament von seinem cholerischen Vater geerbt. Selbst wenn er sich bemüht hilfsbereit und freundlich zu sein, genügt ein falsches Wort, und er fährt wieder aus der Haut. Wenn sie etwas verbindet, dann ist es das Gefühl unverstanden zu sein. In Birkenau beschreibt es Bruder Jean so: „Auf den völlig frei liegenden Gleisen standen zwei Eisenbahn-Waggons, sie wirkten verloren. Wir sind ebenso einsam wie dieses Gespann.“
Während der Zuschauer bei den früheren Stücken von Jasmina Reza über die menschlichen Ausraster den Kopf schütteln konnte. Gelegentlich sogar amüsiert. Kann man für Serge und seine Familie nur Mitleid empfingen.
Trotzdem hat das Ensemble den freundlichen Beifall der Besucher zum Ende der Vostellung voll und ganz verdient.